Literaturnobelpreis für Peter Handke

Die Verantwortung des Schriftstellers

04:48 Minuten
Schriftsteller Peter Handke auf der Pressekonferenz zum Literaturnobelpreis am 5. Dezember in Stockholm. Ein älterer Herr sitzt auf einem Stuhl, hat den Kopf gesenkt und hat die Augen geschlossen.
Lieber eine "Kalligraphie aus Scheiße" als "leere und ignorante Fragen": Schriftsteller Peter Handke auf der Pressekonferenz zum Literaturnobelpreis am 5. Dezember in Stockholm. © picture alliance / dpa / Karl Schöndorfer
Ein Kommentar von René Aguigah · 10.12.2019
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Peter Handke wird in Stockholm ausgezeichnet, die "Mütter von Srebrenica" wollen dagegen protestieren. Kritik an seinen Äußerungen zum Jugoslawienkrieg weist Handke scharf zurück. Damit mache er es sich zu leicht, meint der Journalist René Aguigah.
Gern benutzen wir das Wort im Radio nicht, aber es ist ein Literaturnobelpreisträger, der es gesagt hat: Eine "Kalligrafie aus Scheiße" – oder, im Original in österreichischem Englisch: "a calligraphy of shit" habe er kürzlich per Post bekommen, so erzählt Peter Handke bei der Pressekonferenz der Nobelpreisträger in Stockholm. Nach einer Viertelstunde stellt ein US-amerikanischer Journalist die Frage, wie Handke heute Srebrenica bewerte, das völkermörderische Massaker von 1995.
Das war zu viel für den Autor. Er ziehe jenen anonymen Brief mit dreckigem Toilettenpapier denen, wie er, Handke, meint, "leeren und ignoranten" Fragen des Journalisten vor. Heute, vier Tage später, wird der schwedische König Peter Handke die Urkunde für den Literatur-Nobelpreis 2019 überreichen.
Ob dieser Fäkal-Vergleich zu jener Medienkritik gehört, die Handkes Verehrer an ihrem Autor so loben und preisen? Oder erinnert er nicht eher an eine Medienverachtung, wie sie heute etwa die AfD und deren politische Verwandten praktizieren?

Die Debatte schwelt seit mehr als 20 Jahren

Am 10. Oktober hatte die Schwedische Akademie ihre Entscheidung verkündet, Handke die höchste Auszeichnung zu verleihen, die die literarische Welt zu bieten hat; einen Preis, der laut Statut erhalten soll, wer "das Vorzüglichste in idealistischer Richtung geschaffen hat". Seitdem wird gestritten – um Handkes Bewertung von Massakern während der jugoslawischen Sezessionskriege; um seine Parteinahme für das Serbien des Sloboban Milosevic. Wieder wird gestritten, muss man sagen. Denn die Debatte flammt und schwelt seit 1996, seit ein Text namens "Gerechtigkeit für Serbien" als Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" erschien – und später als Buch unter dem Titel "Eine Winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina".
Heute in Stockholm wird also nicht zum ersten Mal gegen Handke protestiert. Die Opferorganisation "Mütter von Srebrenica" hat zu einer Kundgebung aufgerufen. Was jetzt anders ist als in den Jahren zuvor? Neben dem abgründigen Erbe der Jugoslawienkriege handelt die Handke-Debatte 2019 nicht zuletzt von unterschiedlichen Arten der öffentlichen Rede. Literatur und Journalismus: Das sind nur die sichtbarsten Pole in diesem Widerstreit.

Eine lange Reihe von Journalistenbeschimpfungen

Handkes Ausfälligkeit mit der "calligraphy of shit" gehört in eine lange Reihe von Journalistenbeschimpfungen. Die "Winterliche Reise" – ebenso wie die benachbarten Texte – kämpft wütend gegen die damalige, von ihm als einseitig empfundene Berichterstattung der großen europäischen Medien. Und es waren Leute vom Fernsehen, denen er jetzt im Oktober entgegnete: "Ich bin ein Schriftsteller ... ich komme von Homer ... lasst mich in Frieden."
Der Schriftsteller als Gegenfigur inmitten der profanen Alltagsrede: Wenn diese Vorstellung noch intensiviert werden konnte, dann tat Handke genau das in seiner Nobelpreisrede vom Wochenende. Er sprach, indem er vor allem Literatur zitierte, nicht zuletzt seine eigene, und zwar aus einem dramatischen Gedicht namens "Über die Dörfer". "Geh über die Dörfer", sagte er, und man konnte kaum anders, als sich zu erinnern, dass das Über-die-Dörfer-Gehen die zentrale Methode auch der "Winterlichen Reise" ist.

Ein Friede scheint schwer vorstellbar

Eine Methode nicht zuletzt der eigenen Anschauung: "ich ziele", so heißt es im Text, "auf etwas durchaus ganz Wirkliches". Das ist keine Kleinigkeit, denn: Eigene Anschauung ist eine Methode, die zum Kernbestand auch vom so verachteten Journalismus gehört. Der Autor von "Eine Winterliche Reise", von "Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise", ist kein Autor von Märchen, wie manche seiner klügsten Verteidiger meinen, sondern von politisierenden literarischen Reportagen. Er steht dem Journalismus näher, als es seine Hassausbrüche vermuten lassen. Oder besser: So sehr nah, dass die Hassausbrüche fast schon verständlicher scheinen.
"Der ewige Friede ist möglich", so zitiert Handke eine Figur aus "Über die Dörfer". Für heute in Stockholm, im Streit mit Peter Handke, scheint Friede schwer vorstellbar. Sicher nicht mit den protestierenden "Müttern von Srebrenica". Und nicht mit jenen Teilen der Öffentlichkeit, die der Ansicht sind, dass auch "Literatur" genannte Texte und deren Autoren eine Verantwortung in dieser Welt haben.

René Aguigah, geboren 1974 in Würzburg, leitet bei Deutschlandfunk Kultur das Ressort "Literatur, Philosophie und Religion". Bis 2010 arbeitete er als Redakteur für Sachbücher bei der Zeitschrift "Literaturen"; bis 2005 als Redakteur und Moderator bei WDR 3 in Köln. Vorher Studium von Geschichte, Philosophie und Journalistik in Bochum und Dortmund. Literaturredakteur bei Deutschlandfunk Kultur.


© Foto: Deutschlandradio - Bettina Straub
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