Literaturkritik beim WDR

Snackability beißt sich mit dem Bildungsauftrag

04:12 Minuten
Vor dem WDR-Funkhaus leuchtet eine rote Ampel
Nicht nur Kathrin Röggla befürchtet, dass beim WDR für die Literaturkritik bald die rote Ampel leuchtet. © imago/Jürgen Ritter
Ein Kommentar von Kathrin Röggla · 26.01.2021
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Angeblich plant der WDR 3, seine tägliche Buchkritik abzuschaffen. Kulturschaffende protestieren in einem offenen Brief an den Sender. Die Schriftstellerin Kathrin Röggla erklärt im Kommentar, warum auch sie den Brief unterschrieben hat.
Nun also die tägliche Buchrezension von WDR 3 in der Sendung Mosaik. Wegen einer gestrichenen Buchrezension täglich machten wir mit unserem offenen Brief so einen Aufstand? Wenn man bedenkt, dass im Jahr 250 Bücher weniger rezensiert werden, ist das nicht unbedeutend.
Mir sind zudem die Stimmen aus der Kollegenschaft im Ohr, die im letzten Jahr wie ich ein Buch veröffentlicht hatten. Die ausgefallenen Veranstaltungen bedeuteten nicht nur Honorareinbußen, sondern auch den Verlust von Sichtbarkeit. Und jetzt das! Man könnte eigentlich gleich verstecken, dass man Bücher macht, so lautete ein zynischer Kollegenkommentar.

Sichtbarkeit und Vielfalt gehen verloren

Und wenn es auch darum geht, gerade in Zeiten der Krise, in der die Insolvenz zahlreicher Kulturunternehmen zu erwarten ist – ein Drittel lautet die aktuelle Auskunft der deutschen Industrie- und Handelskammer – wenn es also darum geht, Diversität zu bewahren, essenziell für den Kulturbetrieb, ist das enorm.
Als mein Hausverlag mir im letzten Corona-Frühjahr mitteilte, dass sich nur noch wenige Titel verkauften, bekam ich einen Schreck. Die Lage hat sich Gott sei Dank wieder verändert. Aber dieser Moment hat mir klar gemacht, dass nicht nur die Literatur, sondern auch der Buchmarkt von Vielfalt lebt.
Wenn nur noch wenige Bücher zugänglich werden, leiden auch die wenigen darunter, aber vor allem natürlich das Publikum, das jetzt mehr denn je zum Lesen braucht und auch vorgestellt haben möchte. Bücher sind eine der wenigen künstlerischen Äußerungen, die wir in dieser Krise wahrnehmen können.

Wo bleibt der Bildungsauftrag?

Und was ist eigentlich mit dem Kultur- und Bildungsauftrag unserer öffentlich-rechtlichen Anstalten? Denn sie sind ja unsere, oder etwa nicht? Dieser Auftrag wird jedenfalls nicht mehr allzu oft in den Mund genommen.
Von Snackability ist dagegen die Rede. Von schwelgerischer Unterhaltung, weniger vom demokratischen Feuer und sozialem Kitt. Auch nicht von den vielen Perspektiven, die sich durchaus mit einem lustvollen Kritikbegriff verbinden lassen. Diversität ist etwas, das über das hinausgehen sollte, was bei Netflix läuft.

Sparen an der Kultur

"Um das lange Wort zu retten, müssen wir es kürzen" war eine der absurdesten Aussagen, die ich aus dem Jahr 2020 mitgenommen habe, anlässlich einer Krisenbesprechung eines anderen Senders – es ging auch dort um die Kürzung der Kulturberichterstattung.
Natürlich, sie erschien im Moment plausibel, wie diese Maßnahmen immer eine momenthafte Plausibilität haben mögen. Da sind die Sparzwänge, auf die die Feststellung folgt, dass Kultur am teuersten ist und dort am leichtesten gespart werden kann. Quoten werden ins Feld geführt. Und alles läuft vor dem Hintergrund der Debatte zur Rundfunkgebühr.

Für eine Sprache des Reichtums!

Warum kann an dem einen Ort, dem des öffentlichen Hörfunks, der alle gleichermaßen und in allen möglichen und unmöglichen Situationen erreicht, nicht einmal die Sprache des Reichtums herrschen? An dem Ort, der die demokratische Öffentlichkeit repräsentiert und dem Eigensinn wie den sozialen Bindekräften gleichermaßen, der Auseinandersetzung verpflichtet ist?
An welchem politischen Hebel wäre anzusetzen, um das in Gang zu bringen.
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