Literatur jüdischer "Displaced Persons"

Unbekannte Schätze der Staatsbibliothek Berlin

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Jüdische Flüchtlinge im "Poppendorf Camp for displaced persons" der britischen Alliierten. Hamburg 1947.
Jüdische Flüchtlinge in Hamburg, 1947. Zeugnisse dieser Existenz zeigt die Sammlung von Literatur jüdischer "Displaced Persons" in der Berliner Staatsbibliothek. © Picture alliance / Everett Collection
Von Gerd Brendel · 17.03.2021
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Etwa sieben Millionen Vertriebene lebten nach 1945 in Deutschland, unter ihnen über 200.000 jüdische Überlebende des Holocausts. Zeugnisse dieser Existenz zeigt die Sammlung von Literatur jüdischer "DPs" in der Berliner Staatsbibliothek.
"Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. So sollen sagen, die erlöst sind durch den HERRN, die er aus der Not erlöst hat, die er aus den Ländern zusammengebracht hat von Osten und Westen, von Norden und Süden. Die irregingen in der Wüste, auf ungebahntem Wege, und fanden keine Stadt, in der sie wohnen konnten."
So beginnt der 107. Psalm, und so steht er auf Englisch und Hebräisch in einem Tehilim, einem Psalter, gedruckt in den ersten Nachkriegsjahren in Deutschland für jüdische Displaced Persons. In den Vignetten am Rand hat der Illustrator zerbrochene Eisenketten abgebildet. Aus der Not erlöst waren die ersten Leser und Leserinnen in der Tat. Sie waren Überlebende des Holocaust, zusammengebracht vor allem aus dem Osten, untergebracht in Lagern, heimatlos – ohne Stadt, in der sie wohnen konnten.

Nur weg aus Deutschland

Die Literaturwissenschaftlerin Gwendolyn Mertz erklärt die Lage der Displaced Persons: "Es gab keine Heimat mehr. Die Familie war in der Regel ermordet oder verschleppt, die Freunde ebenso. Das Haus, der ganze Besitzstand – geraubt, weggenommen, verbrannt. Sie hatten keine Arbeit mehr. Wohin? Das war für diese Menschen die große Frage. Und eigentlich war natürlich klar: weg, weg aus Deutschland. Wer wollte denn hier bleiben?"
Die heimatlosen Displaced Persons in den Lagern trieb vor allem eine Frage um, so Merz: "Wo können wir hingehen? Wer nimmt uns? Und natürlich war da die Hoffnung: Wenn wir noch ein bisschen hierbleiben, dann finden wir vielleicht noch jemanden, der zu unserer Gemeinschaft gehört."

Die Heimat der Sprache: Jiddisch

Gwendolyn Merz leitet die Geschäftsstelle der Freunde der Berliner Staatsbibliothek. In deren Bestand befindet sich die einmalige Sammlung von Zeitschriften, Gebetbüchern und Romanen aus den Lagern jüdischer Displaced Persons. Ihre Heimat hatten sie verloren. Geblieben waren die Erinnerungen und die Heimat der Sprache, das Jiddisch des osteuropäischen Judentums. Über 400 schriftliche Zeugnisse gehören zur Sammlung der "displaced persons literature", verfasst in Hebräisch, Englisch und vor allem in Jiddisch – geschrieben in hebräischen Buchstaben.
Petra Figeac, in der Staatsbibliothek verantwortlich für hebräische Literatur, entziffert die Überschrift einer der ersten Ausgaben einer Lagerzeitung: "Dos jiddische Wort". Auf den ersten Seiten finden sich Nachrichten aus dem Lagerleben, aus der Welt, von zionistischen Kongressen in Marienbad oder London, Biografien bedeutender Rabbiner, Reportagen über jüdische Siedler und Siedlerinnen im damals noch britischen Mandatsgebiet Palästina. Im letzten Teil: Suchanzeigen. Unter den Büchern der Sammlung sind vor allem religiöse Schriften, Thora-Ausgaben und "siddur" – Gebetbücher – oder Psalter. Außerdem Erinnerungsliteratur, wie zum Beispiel ein Bildband, der vom Zentralkomitee der befreiten Juden in der britischen Zone herausgegeben wurde.

Zeugen von Leid, Tod und Sehnsucht

"Unsr Churbn in Bild", "Unsere Verwüstung in Bildern", steht auf dem Titelblatt der Lagerzeitung, wie so oft in mehreren Sprachen geschrieben. Im Vorwort heißt es: "Hinter den Mauern der Ghettos vergehen Millionen. Jammer und Leid sind der Inhalt ihres dem Tode geweihten Lebens."
Die Fotografien dokumentieren den Alltag unter dem nationalsozialistischen Terror, von zerstörten Synagogen über das alltägliche Elend in den Ghettos bis hin zu Bildern von Erschießungen und von Erhängten. "Sterbn hob ich nit gewelt, hob lib die Sun, di Stern, dem Licht, dem Lid. A Glanz fun oijgn. Ich hob in nit gewelt, den Krig."
Dieses Gedicht der ungarisch-jüdischen Widerstandskämpferin Hanna Szenes erschien im Almanach einer zionistischen Organisation. "Erez Israel" war für viele Displaced Persons der Sehnsuchtsort schlechthin, für die ersehnte Reise dorthin harrten sie mitunter jahrelang in den Lagern aus. Das letzte Camp in Bayern wurde im Jahr 1957 geschlossen. In der Staatsbibliothek Berlin hat das, was von der Literatur der Displaced Persons übrig geblieben ist, eine neue Heimat gefunden. Bislang bleibt sie allerdings unter Verschluss.

Finanzierung tut Not

Die Papierrestauratorin Britta Schüttrump erklärt, warum: "Es war alles auf furchtbar schlechtem, das heißt säurehaltigem Papier, das schnell verbräunt und brüchig wird. Das zerfällt einem förmlich in den Händen."
80.000 Euro veranschlagt Schüttrumpf für die Restaurierung – 80.000 Euro, die im Etat der Staatsbibliothek fehlen. Dabei ist die Restaurierung bitter notwendig. Damit die Literatur der Heimatlosen wirklich heimisch wird und für das Publikum zugänglich gemacht werden kann. Endlich.
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