Literarischer Adventskalender (14)

Roman: "Solenoid"

02:30 Minuten
Cover von Mircea Cărtărescu: Solenoid, vor aquarelliertem Hintergrund
Am Ende von "Solenoid" gibt es eine irre Szene: Bukarest erhebt sich in die Lüfte. © Cover: Hanser / Collage: Deutschlandradio
Von Jörg Plath  · 14.12.2019
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Ein abenteuerliches Buch voller fantastischer Situationen und ungeheurer Bilder hat Mircea Cărtărescu hier verfasst. Gegen die Fadheit im Leben. Literaturredakteur Jörg Plath schenkt das Buch seiner Freundin Barbara.

Worum geht´s?

Ich verschenke dieses Jahr den Roman "Solenoid" von Mircea Cărtărescu: Ein Lehrer im ruinösen sozialistischen Bukarest schreibt auf, was ihm zustößt, um es später mal zu verstehen. Denn sein Alltag in der Schule Nr. 86 ist ziemlich gewöhnlich, das Drumherum aber höchst ungewöhnlich. Der Lehrer verirrt sich immer im großen eigenen Haus, weil die Zimmer nie dort liegen, wo sie zuletzt waren. Es gibt sechs gewaltige Elektromagnete, Solenoid genannt, unter Bukarest, und einer befindet sich unter dem Haus des Lehrers. Auf Knopfdruck hebt er das Haus und alles in ihm ein wenig in die Luft, was dem Lehrer und seiner Geliebten wunderbaren Sex erlaubt. In einer Kathedralen-gleichen Fabrikhalle neben der Schule stößt der Lehrer auf riesige Röhrenaggregate und zahllose Vitrinen mit mutierten Parasiten: Milben, Läuse, Zecken so groß wie Tiger und Elefanten. Es geht um die 4. Dimension, um den Rubik-Würfel mit den farbigen Quadraten, um Götter, Milben, Zecken und Läuse. Und am Ende gibt es eine irre Szene: Bukarest erhebt sich in die Lüfte.

Was ist das Besondere?

Das ist Überwältigungsliteratur par excellence. Auf üppig fantasmagorische Weise verschmilzt Mircea Cărtărescu Fantasy und Insektenkunde, Hochkultur und Horror, Mystik und Moderne miteinander. Es ist ein grausames, körperliches Buch – und ein liebevolles Buch, aber auch ein absurd-komisches, wenn der Auftrag an die Schüler, Altglas und Altpapier zu sammeln, so erfolgreich erfüllt wird, dass sich erst alle Räume der Schule füllen und den Unterricht lahmlegen und dann die Fabriken die Produktion einstellen, weil der Weiterverkauf der kostbaren Altmaterialien viel mehr einbringt.

Wem wollen Sie es schenken?

Ich schenke diesen schwarzen Ziegelstein – der Buchschnitt ist schwarz eingefärbt – voller nie gelesener, ungeheuer fantastischer Situationen und Bilder meiner Freundin Barbara, die seit Jahren eine gewisse Fadheit in ihrem Leben beklagt. Das ist hoffentlich ein Altersphänomen. Dieses Buch lässt sie hoffentlich lesen, wie man früher als Kind las: gebannt und gefesselt, hineingezogen in das Buch und verschlungen von ihm.

Mircea Cărtărescu: "Solenoid"
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner
Zsolnay/ Wien 2019, 912 Seiten, 36 Euro

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