Litauisches Nationales Sinfonieorchester

Sich kreuzende Klangballungen

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Der Komponist und Dirigent Beat Furrer © David Furrer/Website Beat Furrer
Moderation: Volker Michael · 05.08.2021
Der Komponist Beat Furrer gastiert als Dirigent beim Litauischen Nationalorchester. Eigene Werke stehen auf dem Programm und ein neues Stück von Marius Baranauskas, außerdem spielt der junge Pianist Lukas Geniušas das Klavierkonzert von Witold Lutosławski.
Beat Furrer ist spätestens seit der Auszeichnung mit dem Ernst-von-Siemens-Musikpreis 2018 ein gemachter Mann. International ist er gefragt als Dirigent und mit seinen eigenen Kompositionen.
Am 1. Juli gab es in Vilnius ein mehrfach verschobenes Konzert mit neuer Musik, das eigentlich im vergangenen November hätte stattfinden sollen. Anlass war ursprünglich das 30-jährige Jubiläum des Gaida-Festivals, des größten Musikfests für Zeitgenössisches in Litauen.

Gemachter Mann und gefragter Musiker

Beat Furrer war eingeladen, das Litauische Nationale Symphonie-Orchester in zwei eigenen recht frisch fertiggestellten Werke zu dirigieren, Außerdem konnte Furrer ein Orchesterstück seines litauischen Kollegen Marius Baranauskas zur Premiere zu bringen.
Ganz am Ende steht ein Klassiker der Moderne, das Klavierkonzert von Witold Lutosławski mit dem jungen litauischen Pianisten Lukas Geniušas. Er widmet sich in jüngster Zeit verstärkt der neueren Musik. In diesem Zusammenhang steht auch sein Auftritt im Klavierkonzert Witold Lutosławskis.
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Der Pianist Lukas Geniušas© Ira Polyarnaya/Website Lukas Geniušas
Der Abend beginnt mit dem Orchesterstück "Nero su Nero" – Schwarz auf Schwarz von Beat Furrer. Wie der Titel suggeriert, geht es um orchestrale Farben, um Abstufungen und Grade feinster Art. Furrer selbst sagt: "Es geht um das Entstehen von Melodie aus der Interpolation heterogener Elemente." Das sagt der Komponist über diese Musik. In dieser Sendung erläutert er seine Vorstellungen seiner Musik detailliert.

Schwarz auf Schwarz

Das Werk ist als Prolog eingegangen in Beat Furrers Oper "Violetter Schnee". Das mit Gefühlen der Apokalypse spielende Musiktheater kam vor zwei Jahren an der Deutschen Staatsoper in Berlin heraus. Die Musik erklingt darin in dem Moment, wo eine Schauspielerin die Farben auf einem Gemälde von Pieter Breughel beschreibt.
"Nero su Nero" hat drei Teile, der erste besteht aus zwei farbigen Schichten, die ineinander gefügt sind – der lange und langsame Mittelteil vollzieht die Farbvariation kaum merklich von Dunkel ins Helle. Im Finalteil geschieht eine absteigende Chromatik vor allem in den Streichern.
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Das Litauische Nationale Symphonie-Orchester in der Philharmonie Vilnius© D.Matvejevas/Litauische Nationale Philharmonische Gesellschaft
Wenn ein polnischer Komponist ein Klavierkonzert schreibt, dann steht immer mehr oder weniger unausgesprochen der Name Frédéric Chopin im Raum. Kein Wunder, dass Lutosławski, der Vater der polnischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts, viele Jahre wartete, bis er ein solches Stück schreiben konnte.
1988 bekam er von den Salzburger Festspielen den Auftrag dafür. Krystian Zimmerman spielte die Uraufführung. Für Beat Furrer hat dieses Konzert bis jetzt den hohen Rang der zeitlosen Neuigkeit.

Riesenstern im Orchester

Marius Baranauskas ist Jahrgang 1978 und hat in Vilnius Komposition studiert und europaweit Meisterkurse besucht und Preise bekommen. Er arbeitet akustisch und elektronisch, beschäftigt sich mit klanglichen Farbpaletten wie auch mit einem eigenen System, das Sprache in musikalische Klänge umwandeln kann.
"Alrediph" hat er sein neues Orchesterwerk betitelt – Ar-Radif heißt wörtlich im Arabischen der Nachfolger, bekannt ist Al-Rediph in der Astronomie als ein weit entfernter Riesenstern, den man aber von der Erde aus mit bloßem Auge erkennen kann.
Marius Baranauskas hat seine Doktorarbeit über folgendes Thema geschrieben: Die Strukturprinzipien und Kompositionsstrategien bei Sinfonie- und Gamelanorchestern. Dabei spielt auch sein eigenes Werk "Al-Rediph" eine große Rolle. In ihm wendet Baranauskas also Prinzipien sowohl aus dem europäischen wie dem indonesischen Orchester an.
Beat Furrer stellt das Werk in den Zusammenhang mit den anderen beiden Werken, die es danach zu hören gibt, ein Violinkonzert und ein Klavierkonzert, nämlich als Solokonzert für Tam-Tam und Orchester.

Schneller werdende Klanggirlanden

Die so wichtige zweite Aufführung des Violinkonzerts von Beat Furrer, die jetzt in Vilnius stattfand, spielte ein sehr erfahrener Musiker, der Geiger und Dirigent Ernst Kovacic, ehemals auch als Leiter des Leopoldinum Kammerorchesters im polnischen Breslau tätig.
Das Konzert beginnt mit einer flimmernden Klangballung im Orchester, und dann findet eine Kreuzbewegung statt: Die Geige kommt aus den hohen Registern immer tiefer, das Orchester nähert sich ihr und übertrifft sie an Höhe, bis alles in einem aktiveren Abschnitt kulminiert. Zumindest was den Teil der Geige angeht, das Orchester vollführt schließlich die gleichen nervösen Bewegungen.
Der erste Satz endet mit einem etwas ratlosen Verharren in einer Vermittlungsposition zwischen Solo und Orchester, was die gegenläufigen Bewegungen angeht. Annäherung und Entfernung sind gleichwertig. Der zweite Satz ist von insektenhafter Aktivität geprägt, kurze Melodiefiguren der Geige schrauben sich in die Höhe an einer akustischen Rankhilfe des Orchesters. Immer schneller werden die Klanggirlanden, bis sie plötzlich abbrechen.
Ähnlich motorisch hebt der dritte kurze Finalsatz an, die melodischen Gestalten sind jedoch gewichtiger und dramatischer. Am Ende verflüchtigen sich die Klänge von Geige und Orchester im Raum.

Orchester der jungen Freiheit

Das Litauische Nationale Symphonie-Orchester ist, anders als man vermuten mag, ein sehr junges Orchester. Erst kurz vor der Wende, die in Litauen als Befreiung erlebt wurde, fanden sich junge Musikerinnen und Musiker zusammen, um dieses landesweit tätige Ensemble zu gründen. Es ist also ein Wegbegleiter und ein Motor der sanften Revolution, die dem Land die Unabhängigkeit zurückbrachte.

Großer Saal der Litauischen Nationalphilharmonie, Vilnius
Aufzeichnung vom 1. Juli 2021

Beat Furrer
Nero su nero (2018)

Marius Baranauskas
"Alrediph" (Uraufführung)

Beat Furrer
Violinkonzert (2019)

Witold Lutosławski
Klavierkonzert

Ernst Kovacic, Violine
Lukas Geniušas, Klavier
Litauisches Nationales Symphonie-Orchester
Leitung: Beat Furrer

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