Lisa Halliday: "Asymmetrie"

Miss Alice und ihre Affäre

Cover von Lisa Hallidays Roman "Asymmetrie", im Hintergrund in den Himmel ragende Hochhäuser.
Cover von Lisa Hallidays Roman "Asymmetrie", im Hintergrund in den Himmel ragende Hochhäuser. © Hanser Verlag / B.K Heleth, Unsplash
Von Sonja Hartl · 01.08.2018
Es ist eine Affäre, in der es um Sex und ästhetisch-literarische Unterweisung geht. Die Figuren in Lisa Hallidays Roman "Asymmetrie" erinnern an die Beziehung, die die Autorin selbst mit Philip Roth hatte.
"Also gut, Miss Alice. Sind Sie dabei?" Mit dieser harmlosen Frage beginnt in Lisa Hallidays "Asymmetrie" die Affäre der 25-jährigen Lektorin Alice Dodge mit dem rund 45 Jahre älteren, berühmten Schriftsteller Ezra Blazer Anfang der 2000er Jahre in New York. Es ist eine Affäre, in der es um Sex und ästhetisch-literarische Unterweisung geht, in der Alice für Ezra Eis und Medikamente besorgt und er ihr 600 Dollar für eine Klimaanlage gibt.
Alice und Ezra unterscheiden sich in Alter, Status und Bekanntheit. Er diktiert die Bedingungen, ruft an, wenn er sie sehen will, und singt "The party’s over", sobald sie gehen soll. Wie die Alice des Lewis Caroll gerät Hallidays Alice in eine surreale Welt mit eigenen Regeln und Machtverhältnissen, nicht durch ein Kaninchenloch, sondern durch einen "von oben bis unten in polierten Messing verkleideten" Aufzug, der langsam fährt, so dass sie "viel Zeit" hat, "ihren unendlich vielen Spiegelkabinettgesichtern stirnrunzelnd skeptische Blicke zuzuwerfen".
Sie spielt mit den Erwartungen
Alice könnte eine der jungen Frauen sein, die in Erinnerung geblieben sind durch die Liebe, die ein Schriftsteller für sie zu empfinden glaubte. Eine Projektionsfläche – im Leben und in der Literatur. Einst war auch Lisa Halliday Mitte 20, arbeitete bei der Literaturagentur Wylie und hatte eine Affäre mit Philip Roth. Alice trägt Züge von ihr, Ezra von Roth. Sie spielt mit den Erwartungen an einen Schlüsselroman voller Details zu seinem vernarbten Körper und dem Sex, bei dem er kommt "wie ein kraftloser Trinkbrunnen". Doch letztlich erfährt man mehr über Alice als über Ezra, der ständig beschrieben wird.
Lisa Halliday setzt sich in ihrem Roman ähnlich wie Rachel Cusk mit dem autobiographischen Schreiben und der Verlässlichkeit von Erinnerungen auseinander und fragt nach deren Stellung und Funktion innerhalb der Literatur. Auch Alice will schreiben, sie fragt sich, ob "ein ehemaliges Chormädchen aus Massachusetts wohl in der Lage wäre, sich in die Gedankenwelt eines männlichen Muslims hineinzuversetzen".

Asymmetrie zwischen dem Westen und dem Nahen Osten

Auf den autobiographisch gefärbten ersten Teil folgt dann ein stilistisch ganz anderer, politisch ausgerichteter zweiter Teil. Er erzählt von Amar Ala Jafaari, einem Wirtschaftswissenschaftler mit einem amerikanischen und irakischen Pass, der auf dem Weg von den USA in die Türkei in Heathrow festgehalten wird. Während er sich einer absurden Befragungs- und Untersuchungsroutine unterziehen muss, erinnert er sich an sein bisheriges Leben, das voller Asymmetrien steckt. Nicht zwischen Ansehen und Unbekanntheit, sondern zwischen dem Westen und dem Nahen Osten, dem amerikanischen und irakischen Pass.
Der Roman stellt die Fragen, die Alice formulierte: Kann eine Frau aus Massachusetts über einen muslimischen Mann schreiben? Legimitieren Recherche und Empathie im gleichen Maße wie unterstelltes Erleben? Lisa Halliday bejaht dies – und weiß zugleich, wie der literarische Markt funktioniert. So antizipiert sie in dem kurzen Schlussteil bereits die Rezeption ihres vielschichtigen und klug angelegten Romans, der für das Debüt einer Autorin bemerkenswerte Resonanz erfährt. Entscheidend dafür dürfte indes diese eine Affäre sein.

Lisa Halliday: "Asymmetrie"
Aus dem Amerikanischen von Stefanie Jacobs
Hanser Verlag, München 2018
320 Seiten, 23,00 Euro

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