Linda Boström Knausgård: "Oktoberkind"

Roman einer Selbstermächtigung

05:50 Minuten
Cover von Linda Boström Knausgårds Roman "Oktoberkind".
© Schöffling

Linda Boström Knausgård

Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein

OktoberkindSchöffling & Co., Frankfurt/Main 2022

222 Seiten

24,00 Euro

Von Jörg Magenau · 29.07.2022
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Mit einem autofiktionalen Roman erobert Linda Boström Knausgård die Deutungshoheit über ihr Leben zurück. Er erzählt von Depressionen, Elektroschocks und einer schwierigen Kindheit, ist aber auch eine Liebeserklärung an ihren berühmten Ex-Mann.
In ihrer Heimat Schweden ist Linda Boström Knausgård bekannt als Lyrikerin und Erzählerin. Hierzulande kennt man sie vor allem als Figur aus den Romanen von Karl Ove Knausgård, mit dem sie von 2007 bis 2016 verheiratet war und vier Kinder hat. Nicht nur den Alltag der Familie, die Streitereien um Haushalt und Kindererziehung hat Knausgård in den sechs Bänden seiner radikalautobiografischen Lebensmitschrift publik gemacht, sondern auch ihren Selbstmordversuch während der vierten Schwangerschaft und ihre manisch-depressive Verfassung.
Es ist nicht leicht, die Frau eines berühmten Schriftstellers zu sein, zumal eine, die selber schreiben will. Sie habe, sagte Linda Boström Knausgård in einem Interview mit dem englischen „Guardian“, immer das Recht ihres Mannes respektiert, sein Leben als Material zu betrachten und zu schreiben, worüber er wolle. Aber es habe sie wütend gemacht, wie eingeschränkt sein Blick auf sie gewesen sei: „Es war, als würde er mich überhaupt nicht kennen. Es zu lesen, fühlte sich an, als würde man einen Verlust erleiden.“

Mit den Mitteln von Karl Ove

Ihr Roman „Oktoberkind“ ist angesichts dieser Ausgangslage eine Selbstermächtigung. Es ist der Versuch, die literarische Deutungshoheit über das eigene Leben zurückzugewinnen.
Boström Knausgård macht das mit den Mitteln ihres Ex-Mannes, indem sie einen autofiktionalen Roman vorlegt, der in den Jahren spielt, als sie sich einer Elektroschocktherapie unterzog. Auch in der „Fabrik“, wie sie die Klinik nennt, wurde sie wie in den Büchern ihres Mannes zum Objekt: Die Ärzte sagten ihr, die Elektroschocktherapie sei dem Neustart eines Computers vergleichbar.

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Sie hielt diese Behandlung dagegen für eine neurologische Katastrophe, hatte aber nicht die Kraft, sich zu widersetzen, obwohl zunächst beide, ihr Mann und sie selbst, dagegen waren. Zu den Neben- oder vielmehr Hauptwirkungen gehört ein umfassender Gedächtnisverlust, gegen den anzuschreiben der wohl wichtigste Teil der Therapie gewesen ist.
Doch auch ihre Depressionen erlebte sie als Zustand der Sprachlosigkeit, wo es „keine Wörter gibt, kein Gewissen, nur den zähen Schlaf, morgens, mittags, abends, und die Angst, die jede Zelle meines Körpers befällt“.

Erinnerungen an den bipolaren Vater

Literarisch funktioniert es außerordentlich gut, die eigene Geschichte aus dem Schock der Ausgelöschtheit heraus zu rekonstruieren. Unter der Anleitung einer verständnisvollen Krankenschwester tauchen zögerlich die Erinnerungen auf, die von der Kindheit mit einem ebenfalls bipolaren und zudem alkoholsüchtigen Vater und einer berühmten Schauspielerin als Mutter bis in die Endphase ihrer Ehe mit Karl Ove Knausgård und zu dem Entschluss der Trennung reichen.
Diese schonungslose Wiederaneignung verläuft nicht chronologisch, sondern so, dass die Zeitebenen parallel geführt werden und offensichtlich wird, wie sich die Angst vor dem unberechenbaren Vater und das Leiden unter seiner Abwesenheit Jahre später wiederholen, wenn sie die Angst und die Traurigkeit ihrer eigenen Kinder bemerkt.
Linda Boström Knausgård braucht viel weniger Raum als ihr ehemaliger Mann. Sie muss nicht jeden Augenblick mitstenografieren, um das Leben zu fassen zu bekommen, wie er es versucht hat, sondern lässt mit kurzen, präzisen Bildern und Szenen einen Eindruck des Ganzen entstehen.

Scheitern und Scheidung

Der Respekt vor ihm, der alles, auch das Familienleben, dem eigenen Schreiben unterordnete, ist ungebrochen. Bei aller Kritik und allem Leiden an diesem gemeinsamen Leben bleibt doch die Zusammengehörigkeit spürbar. „Oktoberkind“ ist auch ein Liebesroman, wenn auch einer, der vom Scheitern und von Scheidung handelt. Dafür hat Linda Boström Knausgård eine präzise, hart zupackende, gefühlvolle, doch nie gefühlige Sprache gefunden.
Der Titel „Oktoberkind“ bezieht sich auf eine eindrucksvolle Szene aus der Kindheit, wo Linda, die sich während eines Ferienaufenthalts auf dem Land vor den Erwachsenen blamiert hat, heulend auf ein Plumpsklo zurückzieht. Dort entdeckt sie in einer Zeitung das Foto eines sowjetischen Mädchens in Uniform. So eine Uniform will sie auch, etwas Festes, das die Sehnsucht verkörpert, Teil eines Kollektivs zu sein.
Monatelang trägt sie Uniform, geht damit zur Schule, lässt sich als „Kommunistenkind“ beschimpfen und entdeckt, dass „Form zu Freiheit führt“. Auch wenn sie die Uniform dann wieder ablegte: Dieser Kampf und diese Sehnsucht nach Form und Freiheit machen das Leben aus, so wie Linda Boström Knausgård es in diesem dichten, traurig-schönen Roman begreift.
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