Lina Gustafsson "Die Schlachthaus-Tagebücher"

Erschreckender Bericht vom Leid der Schweine

05:44 Minuten
Buchcover: "Die Schlachthaus-Tagebücher" von Lina Gustafsson
Um klarzumachen, was im System Schlachthof schiefläuft, braucht die Autorin keine moralische Belehrung. © Deutschlandradio / Ullstein
Von Carolin Born · 13.03.2021
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Grausamkeiten in Schlachthöfen dringen höchstens durch heimliche Videos von Tierschützern nach außen. Anders ist es mit Lina Gustafssons Schlachthaus-Tagebüchern. Nüchtern gibt sie Einblicke in ihre Arbeit als Veterinärin – bis sie nicht mehr kann.
Ihr Anliegen ist ehrenwert: Den Tieren helfen, und zwar ganz praktisch. Lina Gustafsson hat einen neuen Job als Veterinärin bei der schwedischen Lebensmittelaufsichtsbehörde. Meistens arbeitete sie in einem großen Schweineschlachthof, in dem über 3000 Tiere pro Tag geschlachtet werden. Ihre Aufgabe ist es, dabei den Tierschutz zu kontrollieren.
In ihren "Schlachthaus-Tagebüchern" notiert sie, wie sie sich Tag für Tag besser zwischen Entladung, Entblutung und der Organentnahme zurechtfindet. Manche Schweine lahmen oder haben Bisswunden am Schwanz. Mit der Autorität ihres blauen Helmes kann Lina Gustafsson besonders schlimme Fälle den Behörden melden.

Schnell erschießen, damit sie weniger leiden

Aber sie begutachtet nicht nur die Tiere. Gleich an ihrem ersten Tag fällt ihr auf: Viele Mitarbeiter gehen ruppig mit den Schweinen um. Immer wieder berichtet sie von LKW-Fahrern, die die Schweine mit Gewalt aus dem Transporter treiben. Sie schlagen ihnen mit einem Kunststoffpaddel auf Kopf und Rücken, obwohl das eigentlich nicht erlaubt ist. Immer wieder weist sie die Kollegen darauf hin, dass sie ihr Paddel nur zum Sortieren benutzen dürfen. Und immer wieder erntet sie dafür Unverständnis oder Wut.

Lina Gustafsson lässt nicht locker. Sie mag die Schweine und will etwas erreichen. Doch dabei stellt sie fest, dass das schon andere vor ihr versucht haben. Oder dass das Stallpersonal nur deshalb nicht zuschlägt, weil sie direkt danebensteht. Oftmals ist das Einzige, was sie für die Schweine tun kann, diese direkt erschießen zu lassen, damit sie nicht länger leiden.

Es riecht nach Tod

Trotz der zunehmenden Resignation der Autorin sind die Tagebuchaufzeichnungen nicht eintönig. Mal beschreibt sie den Schlachthaushumor, über den sie selbst nicht lachen kann.
Ein anderes Mal ist sie sehr bewegt davon, wie die Schweine mit Gas betäubt werden: Entgegen dem Rat eines Kollegen sieht sie sich den Teil des Schlachtbetriebs an, in dem die Tiere in Stahlgondeln in einen mit Kohlendioxid gefüllten Schacht herabgelassen werden, um sie vor der Entblutung bewusstlos zu machen. Manchmal fährt sie in andere, kleinere Betriebe. Die Kollegen warnen sie, sie solle alte Kleidung tragen, denn dort rieche es nach Tod. Nachts beginnt Lina Gustafsson vom Schlachten zu träumen.
Ihre Tagebuchaufzeichnungen zeigen außerdem, wie sie mit ihrer Rolle hadert: Sie steht als Neuling daneben, überwacht und kritisiert die Angestellten, während diese körperlich schwer schuften müssen. Ihr Blick richtet sich nicht nur auf das Leid der Tiere, sondern auch auf die Arbeiter, die dem Takt des Transportbandes ausgeliefert sind.
Um klarzumachen, was im System Schlachthof schiefläuft, braucht die Autorin keine moralische Belehrung und keine erschreckenden Videos. Allein durch ihre Schilderungen entstehen Bilder im Kopf, die man nicht so schnell vergisst. Auch sie selbst wird das Erlebte wohl noch weiter beschäftigen, obwohl sie nach 85 Tagen kündigt. Als Abschiedsgeschenk hat sie für die Kollegen vegane Vanilleschnecken gebacken.

Lina Gustafsson: "Die Schlachthaus-Tagebücher"
Übersetzung: Maike Barth
Ullstein, 2021
240 Seiten, 14,99 Euro

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