Lili Körber: „Abschied von gestern“

Kulturschock im amerikanischen Exil

Das Cover des Buchs zeigt die geschwungenen Schienen einer Hochbahn, im Hintergrund Gebäude und Hochhäuser.
© Verlag Das Kulturelle Gedächtnis

Lili Körber, Aus dem Englischen von Beate Swoboda

Abschied von gesternDas Kulturelle Gedächtnis, Berlin 2025

317 Seiten

26,00 Euro

Von Helmut Böttiger |
Mit so neugierigem nüchternen Blick wurde das Exil in den USA selten beschrieben: 80 Jahre nach Entstehung erscheint der Roman „Abschied von gestern“ von Lili Körber. Eine Entdeckung.
Wenn die Geschichte ein bisschen anders gelaufen wäre, würde man den Namen der Schriftstellerin Lili Körber bestimmt kennen. Mit ihrem Roman „Farewell to Yesterday“, auf Deutsch „Abschied von gestern“, versuchte sie sich Mitte der 40er-Jahre auf dem amerikanischen Buchmarkt zu etablieren. Doch sie fand nicht einmal einen Verlag.
Der Verleger Peter Graf hat das unveröffentlichte Manuskript nun im Deutschen Exilarchiv in Frankfurt am Main aufgestöbert und ließ es durch Beate Swoboda so übersetzen, dass man denkt, das Original sei auf Deutsch. Es ist wirklich eine Entdeckung, und wenn alles so wäre, wie es sein sollte, müsste man künftig den Namen Lili Körbers in einem Atemzug mit vergleichbaren Autorinnen wie Gabriele Tergit oder Irmgard Keun nennen.

Eine zupackende, sinnliche Sprache

Das Buch hat eine zupackende, direkte und sinnliche Sprache, aber man merkt sofort auch Zwischentöne und Ambivalenzen. Es handelt davon, wie das Ehepaar Genia und Robert Schlicht, aus dem Wiener Kulturbürgertum stammend, mittellos in New York ankommt und sich dort über Wasser zu halten versucht. Genia, wie die Autorin aus einer osteuropäisch-jüdischen Familie stammend, ist Pianistin, Robert ein österreichischer Arzt. Sie landen in einer schäbigen Pension, und Genia hat zunächst einen Job als Putzfrau bei Mrs. Berg, die die Realität in den USA sehr prägnant verkörpert. Genia merkt zwar, dass es vor allem darum geht, den kleinen Sohn von Mrs. Berg zu bewundern, aber sie kriegt das nicht so ganz hin:

„Offenbar hatte es nicht sehr überzeugend geklungen, denn wenig später, sie war gerade dabei gewesen, Möhren und Kartoffeln fürs Abendessen zu schälen, hatte Mrs. Berg sie unvermittelt gefragt: 'Sind Sie eigentlich Kommunistin?'“

Aus Lili Körbers "Abschied von gestern"

Alle Klischees vermieden

Die blonde Mrs. Berg hat eigentlich nichts anderes zu tun, als blond und adrett zu sein und einkaufen zu gehen. Die Autorin Lili Körber zeichnet wie nebenbei ein Bild des normalen US-amerikanischen Alltags, das für die ganz anders geprägten Exilanten fremd und grotesk wirkt, und schon das Suchen danach, was sich unter der Oberfläche verbergen könnte, verrät sie als Europäer.
Genia ist verblüfft über die Unmengen an Fleisch, die die Amerikaner im Supermarkt einkaufen, und die Verschwendung von Material – hier die Unmengen an Papiertüten, in die die Einkäufe verpackt werden – wirkt auf sie geradezu obszön. Amerikanerinnen nehmen prinzipiell keine Einkaufstasche mit. Lili Körber vermeidet allerdings alle Klischees. In ihrem verwunderten Blick stecken immer wieder Überraschungen.

„Carl Willinger hatte bereits das gemacht, was ein Europäer auf amerikanischem Boden als Erstes tat: die Ärmel seines Hemdes aufkrempeln und seine Hosenträger abnehmen. Aber die Hosen mit europäischem Schnitt ließen sich von einem Gürtel allein nicht halten – es sei denn, man schnürte sich gnadenlos den Bauch ein. Also erhob sich der junge Mann mit ängstlichem, aber diskreten Griff an seine Taille.“

Aus Lili Körbers "Abschied von gestern"

Exilanten auf der Suche nach amerikanischer Bodenhaftung

Die Rasanz dieses Romans liegt in den ständig wechselnden Szenen und dem charakteristischen Personal. Die Mitbewohner in Genias und Roberts Pension sind in ihren Eigenarten sehr differenziert dargestellt, alle sind Exilanten auf der Suche nach amerikanischer Bodenhaftung: die Krankenschwester Frau Sternfeld, der träumerische Künstlertyp Gino, die tschechischen Schwestern mit ihren Liebhabern.
Eine neue Dynamik entsteht, als Genia einen etwas besseren Arbeitsplatz als Haushaltshilfe findet und bei der Russin Mrs. Muraviov auch die Hausaufgabenbetreuung von deren Sohn George übernimmt. Im osteuropäischen Milieu kennt sich Lili Körber bestens aus, und sie entwirft ständig neue Gesprächssituationen und Personenkonstellationen, selbstverständlich auch mit Liebeswirren und Beziehungsproblemen. Die Versuche Roberts, in den USA als Arzt anerkannt zu werden und seine Approbation zu bekommen, haben etwas äußerst Prekäres. Entnervt sagt er zu Genia:
„Das Elend ist, dass du jung in dieses Land kommen musst. Solche Einwanderer wie uns hat es hier noch nie gegeben. Die Männer, die früher hierherkamen, suchten Abenteuer, Weite, Chancen. Sie waren jung, sie konnten anfangen, Land zu roden oder Massagen zu geben und sich langsam emporarbeiten. Aber wir – alt, müde und desillusioniert – was wir suchten, war nur ein sicherer Ort zum Ausruhen, und in Amerika kannst du alles haben, nur keine Ruhe. Alt, müde und desillusioniert – das ist unamerikanisch bis auf die Knochen.“

Nationale Traumata und Gefühlschaos

Tragisches und Komisches liegen in diesem Roman nah beieinander. Es gibt nationale Traumata, Verhärtungen und Gefühlschaos. Doch so alltäglich, mit neugierigem nüchternen Blick, hat man das Exil selten wahrgenommen. Als Genia bei ihrem ersten Putzjob ein Klavier sieht und heimlich darauf Chopins Revolutionsetüde spielt, bricht alles aus ihr hervor, was sie an Sehnsüchten mitgebracht und mühsam hintangestellt hat.
Das Frappierende ist, dass Lili Körber ihren Roman sehr amerikanisch konzipiert hat, er ist unterhaltsam und versteckt die Tiefe virtuos an der Oberfläche, sie kokettiert sogar mit einer Art Happy End. Aber was sie transportiert, ist eine sehr europäische Sehnsucht, für die sich die Amerikaner nicht so sehr interessieren. Dass „Abschied von gestern“ in seiner Originalsprache damals nicht gedruckt wurde, hat wohl doch etwas mit diesem Blick von außen zu tun, in dem sich die Amerikaner nicht wiedererkennen konnten.
Lili Körber schlug sich jahrzehntelang mit Gelegenheitsjobs durch und starb 1982 in New York. Ein sehr eigenartiges, schillerndes Autorenschicksal des 20. Jahrhunderts.
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