Liga-Alltag eines Fußballreferees

"Foul! Ey Schiri!"

Der Schiedsrichter zeigt bei einem Fußballspiel in der Oberligaeine gelbe Karte
Schiedsrichter © dpa
Von Wolf-Sören Treusch · 25.06.2016
Im Fußball sind die Schiedsrichterentscheidungen immer Thema. Jetzt bei der EM, und das ganze Jahr über in den Ligen. Allerdings ist dort der Kontakt zu Publikum und Mannschaftstross direkter. Zu Besuch bei einem Kreisliga-Spiel im Berliner Norden.
- "Wer sind wir?
- "Besiktas!"
- "Gewinnen wir?"

- "Ja!"
Besiktas gegen Normannia, als Gastmannschaft haben Sie die Wahl der Farbe. …
Ein Kunstrasenplatz im Norden Berlins. Dunkle Wolken türmen sich am Himmel. Es ist schwülwarm. Ideales Fußballwetter fühlt sich anders an.
Vorletzter Spieltag der Herren Kreisliga A, Staffel 2. MSV Normannia zu Gast bei Besiktas. Die einen aufgestiegen, die anderen im gesicherten Mittelfeld der Tabelle. Eigentlich geht es um nichts.
Doch was heißt das schon…
Nach drei Minuten steht es bereits 1:1. Es entwickelt sich ein intensives Spiel. Beide Mannschaften kämpfen um jeden Ball. Mit meist fairen Mitteln.
- "Auhh, Foul! Ey Schiri!"
- "Niemals, niemals! Schiri, Schiri, ey! Schiri!"
Jacob Slotta pfeift das Spiel. Er ist 20, seit drei Jahren Schiedsrichter. Er greift kaum ins Spielgeschehen ein und wenn doch, dann sehr energisch.
"Schiri, ah, guck mal, da pfeifst du. Super. … Karte musst du zeigen, Schiri: Karte!"

"Wer mich kennt, weiß, dass ich eigentlich eine sehr offene Linie habe und auch viel zulasse, viel laufen lasse, und das haben sie auch eigentlich angenommen, beide Mannschaften, …"
"Schiri, Mann ey, Schiri! Hör mal auf, Mensch!"
Ja, die Mannschaften haben es schon angenommen, nur der Betreuerstab von Besiktas und die Ersatzspieler von Normannia nicht. Die brüllen permanent ins Spiel hinein.

"Ein echt harter Job"

Dann ist Halbzeit. Unter großen, Schatten spendenden Bäumen steht die Fangruppe von Normannia, jeder mit einer Flasche Bier in der Hand. Wie sehen sie die Leistung des Schiedsrichters?
"Wunderbar."
"Nein, pfeift er gut, ist ein ruhiges Spiel hier allet. Wunderbar."
"Na ja, durchschnittlich würde ich sagen, wa? Na ja, er sieht einige Sachen nicht, o sich die Spieler zu Recht aufregen und trotzdem sehr ruhig bleiben noch."
Das hätten sie auch schon anders erlebt, sagt ein Dritter und fügt hinzu:
"Schiedsrichter in der Kreisliga ist ein echt harter Job."

Sie brauchen Nerven wie Stahl manchmal, wenn sie Spiele leiten, die hart an der Grenze von einem Abbruch sind und müssen sich denn wirklich überlegen, ob sie neutral und fair bleiben oder ob sie der lieben Ruhe willen nicht vielleicht doch die eine oder andere Entscheidung so treffen, dass sie denn für die Mannschaft, die fast am Ausrasten ist, vielleicht besser ist, um selbst körperlicher Gewalt noch zu entgehen, sage ich mal, die brauchen manchmal harte Nerven auf jeden Fall.
Auch zu Beginn der zweiten Halbzeit lässt Schiri Slotta den Spielern viele Freiheiten. Sie schubsen und grätschen, halten die Sohle drauf und setzen den Ellenbogen ein. Nie unfair, aber immer an der Grenze des Erlaubten.
"Hey, Schiri! Das kann doch nicht sein", ruft der Bsiktas-Trainer.
In der 60. Minute erzielt Normannia das 2:1. Dem Treffer geht ein Stürmerfoul voraus, so jedenfalls sieht es der Trainer von Besiktas. Seine Tirade geht unter im Lärm der Einflugschneise von Berlin-Tegel. Jacob Slotta kommentiert sie nach dem Spiel so:
"Was der hier gerade quatscht: vor dem zweiten Tor, habe ich den Spielern auch erklärt: ich pfeife seit 60 Minuten so, bisschen Schubser, bisschen Hände lässt man ja immer zu. Klar, wenn es ein Tor ist, dann fällt es ihnen erst auf, aber ich pfeife die ganze Zeit so."
"Hey, Schiri!"

"Der Scheiß-Schiri kommt hier!"

Das umstrittene Tor sorgt für Unruhe. Auch auf dem Spielfeld. Es kommt zur Rudelbildung. Der Schiedsrichter stellt einen Spieler pro Mannschaft vom Platz. Jetzt fährt er eine härtere Linie.
"So ein Pannen Schiri, immer. Der Scheiß-Schiri kommt hier!"
Den Trainer von Besiktas überzeugt das nicht. In der Coachingzone steht er schon lange nicht mehr. Der Schiedsrichter fordert ihn auf, dorthin zurück zu gehen. Vergeblich. Stattdessen packt ihn der Trainer am Arm.
- "Hey, nicht anfassen!"
- "Schäm dich 'n bisschen! Jedes Spiel machst du immer das Gleiche!"
- "Sie gehen bitte raus, Sie gehen bitte."
- "Ich bin hier draußen, da brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen!"
- "Nein, Sie gehen bitte sie gehen bitte raus. Ich warte solange!"
Unwillig begibt sich der Trainer hinter einen Eisenzaun – exakt einen Meter von der Coachingzone entfernt.
Jacob Slotta bringt die restliche Spielzeit gut über die Bühne. Die Temperaturen sind hoch, die Spieler werden müde, sie kämpfen nicht mehr um jeden Ball. Am Ende gewinnt Normannia mit 4:1, und der Trainer von Besiktas ist sauer:
"Nicht sauer, aber guck doch mal: Wir wollten, dass wir in Frieden nach Hause gehen, oder? Und: Was hast Du selber gesehen. Er hat das Spiel kaputt gemacht, oder nicht?"
Slotta zieht sein eigenes Fazit: "Is’n Hobby, klar, ist nicht jedermanns Sache, ist klar, manchmal muss man was einstecken können, aber es ist nie gegen einen persönlich gerichtet, und die meiste Zeit macht es ja Spaß, als Spielleiter, Chef unterwegs zu sein …"
… auch wenn er dabei wie heute fast jedes Wochenende zumindest verbale Fouls einstecken muss.
"… also man muss dafür gemacht sein, dass es einem Spaß machen kann, und dann macht es einem Spaß."
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