Liebe zählt nicht in der Politik
Von Sylke Tempel · 19.07.2012
Angela Merkels Mantra vom Sparen sorgt dafür, dass Deutschland immer heftiger kritisiert wird. Aber geht es überhaupt darum, ob Deutschland sich beliebt oder unbeliebt macht?
Schmeichelhaft konnte man das Titelbild des linken britischen Politikmagazins "The New Statesman" nun wirklich nicht nennen: Abgebildet war Angela Merkel als Terminator, komplett mit Lederjacke und halb zerfetztem Robotergesicht wie einst Arnold Schwarzenegger. Betitelt war das Cover mit der Überschrift: "Europas gefährlichste Politikerin".
Das war die vielleicht schärfste, aber keineswegs eine vereinzelte Kritik. Der ebenfalls britische "Economist" fand es im Juni spaßig, ein sinkendes Schiff mit dem Namen "Weltwirtschaft" abzubilden und darüber die Sprechblase eines verzweifelten Matrosen: "Frau Merkel, dürfen wir jetzt endlich die Maschinen anwerfen?"
Paul Krugman, Kolumnist der New York Times und Nobelpreisträger für Wirtschaft, betreibt jede Woche "Germany-Bashing". An dem ist eigentlich nur eines bemerkenswert: dass er nicht müde wird, die immer gleiche Botschaft in die Welt zu posaunen. Fiskale Disziplin, wie Kanzlerin Merkel sie einfordert, sei Gift. Und nur große, nein allergrößte Geldspritzen wären die richtige Medizin für die krankende Weltwirtschaft. Dass man in Griechenland ab und an deutsche Fahnen verbrennt oder Merkel mit Hitlerbärtchen abbildet – das gehört schon fast zur Routine.
Natürlich wurde Deutschland auch früher kritisiert. Und zwar immer dann, wenn Neonazis ihr Unwesen trieben oder ausländerfeindliche Anschläge die Republik erschütterten. Aber noch nie wurde die Bundesrepublik für eine Politik gescholten, die die europäische Gegenwart und Zukunft betraf. Es geht also nicht mehr um die Bewältigung der Vergangenheit. Es geht um die Gestaltung der Zukunft.
Nach Jahrzehnten, in denen Deutschland diese ganz gerne dem großen Verbündeten jenseits des Atlantiks überließ – der übrigens auch reichlich kritisiert wird – hat Berlin nun selbst Verantwortung übernommen. Und zwar nicht nur für und innerhalb Europas: Denn wie und ob Europa die Schuldenkrise überwindet, welches institutionelle Rahmenwerk gelegt wird, um mehr Integration bei größerer Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Mitgliedsländer zu ermöglichen, das alles hat enorme globale Wirkungen. Auch eine gesundende Weltwirtschaft und ein weiteres Wachstum in den Schwellenländern sind von einem wirtschaftlich gesunden Europa abhängig.
Und wie reagiert man in Deutschland auf die neue gestalterische Rolle und das Scheinwerferlicht, das damit einher geht? Die meisten Kommentatoren zuckten zusammen wie verunsicherte Teenager. Noch nie sei Deutschland so unbeliebt gewesen, wird da mit zitterndem Tremolo in der Stimme festgestellt. Das müsse der Regierung, generell "uns Deutschen", doch zu denken geben! Einem großen Teil des deutschen "Kommentariats" ist anzumerken: Nichts irritiert es mehr, als vom Ausland nicht geliebt zu werden.
Die Regierung und vor allem die Kanzlerin, an der sich die ganze Schärfe der Kritik entzündet, bleiben hingegen recht unbeeindruckt. Frau Merkel ist jedenfalls kein bisschen Einschüchterung anzumerken, wenn sie wie neulich im Sommerinterview des ZDF fröhlich feststellt, es sei schon noch einiges zu tun, aber die Arbeit mache ihr viel Spaß.
Sind die deutschen Medien einfach sensibler als die allzu robuste Politik? Nicht ganz. In den Redaktionen wie im Kanzleramt sind die Folgeerscheinungen des politischen Erwachsenwerdens noch nicht ganz durchgedrungen: Wer über größere Gestaltungsmacht verfügt und sie einsetzen will, muss auf Kritik auch der heftigsten Art gefasst sein. Um Beliebtheitsgrade geht es dabei nicht, denn Liebe ist nun einmal keine Kategorie der Politik. Vielmehr geht es um die Überzeugungskraft des Arguments.
Die Frage muss also nicht heißen: Machen wir uns gerade unbeliebt? Sondern: Sind wir selbst überzeugt von den vorgebrachten Argumenten und können diese Argumente auch andere überzeugen?
Wer solch einen internationalen Aufschrei hervorruft wie derzeit die Kanzlerin, obwohl ihre Argumente womöglich gut sind, der hat seine Hausaufgaben nicht gemacht; er kommuniziert nicht plausibel genug. Wer Politik gestalten will, sollte wissen: Man muss vom eigenen Argument überzeugt sein, und zwar im richtigen Maße. So sehr, dass man selbst es für die bessere oder wenigstens weniger schlechte Alternative hält – und so wenig, dass man es immer wieder auf den Prüfstand der Kritiker stellt.
Dr. Sylke Tempel, Jahrgang 1963, studierte Politologie, Geschichte und Judaistik, bevor sie für verschiedene Zeitungen als Korrespondentin aus dem Nahen Osten berichtete. Derzeit ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift Internationale Politik in Berlin, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird. Zuletzt hat sie zwei Bücher geschrieben: "Israel – Reise durch ein altes neues Land" (2008) und "Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert" (2010), beide im Rowohlt Verlag erschienen.
Das war die vielleicht schärfste, aber keineswegs eine vereinzelte Kritik. Der ebenfalls britische "Economist" fand es im Juni spaßig, ein sinkendes Schiff mit dem Namen "Weltwirtschaft" abzubilden und darüber die Sprechblase eines verzweifelten Matrosen: "Frau Merkel, dürfen wir jetzt endlich die Maschinen anwerfen?"
Paul Krugman, Kolumnist der New York Times und Nobelpreisträger für Wirtschaft, betreibt jede Woche "Germany-Bashing". An dem ist eigentlich nur eines bemerkenswert: dass er nicht müde wird, die immer gleiche Botschaft in die Welt zu posaunen. Fiskale Disziplin, wie Kanzlerin Merkel sie einfordert, sei Gift. Und nur große, nein allergrößte Geldspritzen wären die richtige Medizin für die krankende Weltwirtschaft. Dass man in Griechenland ab und an deutsche Fahnen verbrennt oder Merkel mit Hitlerbärtchen abbildet – das gehört schon fast zur Routine.
Natürlich wurde Deutschland auch früher kritisiert. Und zwar immer dann, wenn Neonazis ihr Unwesen trieben oder ausländerfeindliche Anschläge die Republik erschütterten. Aber noch nie wurde die Bundesrepublik für eine Politik gescholten, die die europäische Gegenwart und Zukunft betraf. Es geht also nicht mehr um die Bewältigung der Vergangenheit. Es geht um die Gestaltung der Zukunft.
Nach Jahrzehnten, in denen Deutschland diese ganz gerne dem großen Verbündeten jenseits des Atlantiks überließ – der übrigens auch reichlich kritisiert wird – hat Berlin nun selbst Verantwortung übernommen. Und zwar nicht nur für und innerhalb Europas: Denn wie und ob Europa die Schuldenkrise überwindet, welches institutionelle Rahmenwerk gelegt wird, um mehr Integration bei größerer Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Mitgliedsländer zu ermöglichen, das alles hat enorme globale Wirkungen. Auch eine gesundende Weltwirtschaft und ein weiteres Wachstum in den Schwellenländern sind von einem wirtschaftlich gesunden Europa abhängig.
Und wie reagiert man in Deutschland auf die neue gestalterische Rolle und das Scheinwerferlicht, das damit einher geht? Die meisten Kommentatoren zuckten zusammen wie verunsicherte Teenager. Noch nie sei Deutschland so unbeliebt gewesen, wird da mit zitterndem Tremolo in der Stimme festgestellt. Das müsse der Regierung, generell "uns Deutschen", doch zu denken geben! Einem großen Teil des deutschen "Kommentariats" ist anzumerken: Nichts irritiert es mehr, als vom Ausland nicht geliebt zu werden.
Die Regierung und vor allem die Kanzlerin, an der sich die ganze Schärfe der Kritik entzündet, bleiben hingegen recht unbeeindruckt. Frau Merkel ist jedenfalls kein bisschen Einschüchterung anzumerken, wenn sie wie neulich im Sommerinterview des ZDF fröhlich feststellt, es sei schon noch einiges zu tun, aber die Arbeit mache ihr viel Spaß.
Sind die deutschen Medien einfach sensibler als die allzu robuste Politik? Nicht ganz. In den Redaktionen wie im Kanzleramt sind die Folgeerscheinungen des politischen Erwachsenwerdens noch nicht ganz durchgedrungen: Wer über größere Gestaltungsmacht verfügt und sie einsetzen will, muss auf Kritik auch der heftigsten Art gefasst sein. Um Beliebtheitsgrade geht es dabei nicht, denn Liebe ist nun einmal keine Kategorie der Politik. Vielmehr geht es um die Überzeugungskraft des Arguments.
Die Frage muss also nicht heißen: Machen wir uns gerade unbeliebt? Sondern: Sind wir selbst überzeugt von den vorgebrachten Argumenten und können diese Argumente auch andere überzeugen?
Wer solch einen internationalen Aufschrei hervorruft wie derzeit die Kanzlerin, obwohl ihre Argumente womöglich gut sind, der hat seine Hausaufgaben nicht gemacht; er kommuniziert nicht plausibel genug. Wer Politik gestalten will, sollte wissen: Man muss vom eigenen Argument überzeugt sein, und zwar im richtigen Maße. So sehr, dass man selbst es für die bessere oder wenigstens weniger schlechte Alternative hält – und so wenig, dass man es immer wieder auf den Prüfstand der Kritiker stellt.
Dr. Sylke Tempel, Jahrgang 1963, studierte Politologie, Geschichte und Judaistik, bevor sie für verschiedene Zeitungen als Korrespondentin aus dem Nahen Osten berichtete. Derzeit ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift Internationale Politik in Berlin, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird. Zuletzt hat sie zwei Bücher geschrieben: "Israel – Reise durch ein altes neues Land" (2008) und "Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert" (2010), beide im Rowohlt Verlag erschienen.

Sylke Tempel© Marco Limberg