Die Pickelhaube ist wieder da

Von Reinhard Mohr · 19.12.2011
Die Ressentiments in Europa gegen "deutsche Führung" greifen hiesige Meinungsmacher begierig auf. Dieser infantile Selbsthass, der das Schreckgespenst des hässlichen Deutschen beschwört, ist eine peinliche Donquichotterie.
Pickelhaube is back. Der deutsche Untertan als autoritärer Sack mit Hang zur Weltherrschaft. Und das, obwohl eben noch alles so schön friedlich und bunt schien. Ausgerechnet in einer Studie der BBC vom März 2011 erklomm Deutschland Platz 1 der weltweiten Beliebtheitsskala. Bemerkenswert an dem Wiederaufflammen des Deutschen-Bashing ist, dass sein akuter Auslöser nicht etwa die jüngst aufgedeckte Mordserie ostdeutscher Neonazis ist. Motto: Die braune Brut, sie lebt. Tatsächlich aber sind es gerade die Erfolge der Bundesrepublik, die zu den grotesken Abwehrreflexen führen.

Nach Art eines psychologischen Double-binds wird deutsche "Führung" bei der Krisenbewältigung verlangt und zugleich vor ihr gewarnt. Im Bann dieser verqueren Logik argumentieren aber nicht nur ausländische Politiker und Medien. Deutsche Meinungsmacher greifen die Ressentiments geradezu begierig auf: "In der Euro-Krise erhebt das deutsche Schreckgespenst sein Haupt", weissagt Jakob Augstein, Erbe des SPIEGEL-Gründers. "An ihrem uckermärkischen Dickkopf zerschellt jetzt Europa". Doch selbst wenn die Kanzlerin mit ihrem Kurs Recht hätte, wäre es für Deutschland besser, "mit den Partnern in Europa das Falsche zu tun, als allein auf dem Richtigen zu beharren.”

Potzblitz. Augstein formuliert hier nicht nur den notorisch linken Selbstverdacht à la "Der Schoß ist fruchtbar noch", der sich moralisch stets auf der sicheren Seite weiß. Auch die RAF malte stets das Medusenhaupt eines "neuen Faschismus" an die Wand. Zugleich etabliert er einen ganz neuen kategorischen Imperativ, den man post-Kantianisch oder auch proto-germanisch nennen könnte. Er gilt allerdings nur für die elenden Nachkommen der Teutonen, die immer irgendwie auf dem Marsch ins Vierte Reich unterwegs zu sein scheinen. Würde man Franzosen, Engländern oder Griechen ähnliche Ratschläge erteilen, wäre Herr Augstein der Erste, der dies als "blanken Rassismus" geißeln würde. Und ehrlich: Wer könnte sich schon einen "hässlichen Franzosen" vorstellen, gar einen "hässlichen Italiener"?

Doch Augstein und andere Germanophobe aus Deutsch-Nordwest haben einen prominenten Kronzeugen: Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Auf dem letzten SPD-Parteitag warnte er eindringlich vor "schädlicher deutschnationaler Kraftmeierei" und betonte, auf "absehbare Zeit" werde Deutschland "kein normales Land" sein. Da fällt es auch journalistischen Nachwuchskräften leicht, Deutschland als "Schulmeister der Nationen" zu bezeichnen, der "Macht und Moral" verwechsle. Im Hintergrund leuchtet dabei die furchterregende Flammenschrift von Jürgen Habermas und Günter Grass, die zu Zeiten der deutschen Wiedervereinigung 1990 vor "Neokolonialismus" und "D-Mark-Imperialismus" warnten.

Wie sehr der "hässliche Deutsche" immer auch eine Selbstkonstruktion made in Germany ist, belegt seit Jahren schon der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer, der gerade wieder seine neueste Studie über "Deutsche Zustände" vorgelegt hat. Überall nur Düsternis und Verfall, Rechtsradikalismus und Wutbürger, die im Lodenmantel Modell "Sarrazin" ihre "rohe Bürgerlichkeit" an Minderheiten und Migranten austoben. Heitmeyers Schlüsselsatz aber – "Unsere Demokratie ist eine funktionierende Hülle" – entlarvt allein ihn und seinesgleichen. Denn dieses Zerrbild, das an die intellektuelle Selbstverachtung der Weimarer Republik erinnert, passt zur Karikatur des hässlichen Deutschen wie der Augstein’sche Imperativ zur Untergangsseligkeit der missgelaunten Salonlinken. Es ist ein Selbstbild als Schutzschild. Bloß nicht erwachsen werden! Schon gar nicht normal!

So gebiert der Schlaf der Vernunft tatsächlich Ungeheuer. Ohne die Fortdauer dieses infantilen Selbsthasses wäre das Schreckgespenst der preußischen Pickelhaube kaum mehr als eine peinliche Donquichotterie, schlicht Folklore, Gegenstand multikulturellen Gelächters.

Reinhard Mohr, geboren 1955, ist freier Journalist. Zuvor schrieb er für "Spiegel Online" und war langjähriger Kulturredakteur des Spiegel. Weitere journalistische Stationen waren der "Stern", "Pflasterstrand", "die tageszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Buchveröffentlichungen u. a.: "Das Deutschlandgefühl", "Generation Z", "Der diskrete Charme der Rebellion. Ein Leben mit den 68ern" und "Meide deinen Nächsten. Beobachtungen eines Stadtneurotikers".
Reinhard Mohr
Reinhard Mohr© dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler
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