Ausstellung über Liebe

Ein Stofftiger als Rettung

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In der Ausstellung „Liebe. Was uns bewegt" sind verschiedene Hochzeitsroben zu sehen.
„Liebe. Was uns bewegt" - damit schafft es die Landesausstellung in Stuttgart, Menschen in ihre Räume zu holen, die sonst vielleicht eher selten ins Museum oder zu Ausstellungen gehen. © Haus der Geschichte Baden-Württemberg / Daniel Stauch
Von Rudolf Schmitz · 16.10.2022
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Nach Ausstellungen zum Thema „Gier“ und „Hass“ zeigt das Haus der Geschichte in Stuttgart, wie Liebe auf Gesellschaft und Politik wirkt, aber auch, wie Liebe missbraucht oder reglementiert wird. Das erlaubt eine andere Sicht auf Geschichte.
Der Bogen dieser Ausstellung ist weit, reicht von der Liebe des baden-württembergischen Königs Wilhelm I. zur Zarentochter Catharina Pawlowna zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad, die zu einem Sonderkontingent jesidischer Frauen und Kindern gehörte, das Baden-Württemberg aufgenommen hatte.
Liebe als starkes, elementares Gefühl wird in dieser Ausstellung nicht sentimentalisiert, sondern immer an gesellschaftliche, politische Vorgänge gebunden. Außer vielleicht beim in Calw geborenen neusachlichen Maler Rudolf Schlichter.

Braut und Bräutigam im Bordell

„Er kommt dank einer Liebe aus einer Schaffenskrise", erklärt Ausstellungsleiter Rainer Schimpf. "Er lernt Speedy kennen, und Speedy ist Muse, ist Förderin, ist aber auch diejenige, die den Lebensunterhalt sichert. Nicht zuletzt durch Prostitution schafft sie Schlichter genügend Geld, um seiner Kunst nachgehen zu können.“
Das Spektrum dieser „Amour fou“ zeigen Fotos, Zeichnungen von Braut und Bräutigam im Bordell, ein Tempera-Bild von Speedy als „Madonna von der Schwäbischen Alb“ und ein Ausschnitt aus dem Papst-Film „Tagebuch einer Verlorenen“ von 1929. Dort nämlich spielt Speedy an der Seite von Louise Brooks.

Ein Brautkleid aus bedrucktem Papier

Rote, von der Decke hängende Stoffbahnen umhüllen die Themeninseln, das Ganze hat einen Hauch Bordellatmosphäre. Beim Thema „Heirat“ wird es allerdings schnell politisch: Ein Brautkleid aus bedrucktem Papier erzählt eine bestürzende Geschichte von Bürokratenmacht.
„Es gibt die Ehe für alle, und wenn wir denken, jetzt können ja alle Menschen heiraten, dann ist es eine Täuschung", ordnet Rainer Schimpf ein und nennt ein Beispiel.
"Wir haben hier das angehende Ehepaar Wolber, das nicht heiraten kann", so Schimpf, "weil der Mann aus Gabun stammt und seine Identität nicht ausreichend nachweisen kann, und deswegen untersagen die Behörden bislang eine Verehelichung. Und Frau Wolber hat uns ein wunderbares Objekt zur Verfügung gestellt, sie hat nämlich aus den ganzen Schreiben der Behörden, aus den ganzen Absagen und Nachfragen ein Hochzeitskleid angefertigt.“ 
Ein Hochzeitskleid aus behördlichen Ablehnungsschreiben
Liebe und Bürokratie: Protestkleid aus behördlichen Ablehnungsschreiben© Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Foto: Bernd Eidenmüller
Ob es um „Führerliebe“ geht, um die missbräuchliche Verwendung von Hölderlingedichten im Zweiten Weltkrieg, die den Tod junger Sturzkampf-Flieger verbrämen, oder um jüdische Eltern, die ihre Kinder aus Liebe wegschickten, in Kindertransporten in die Schweiz: Liebe wird missbraucht, schneidet ins Herz, kann in entsprechenden Zeiten todunglücklich machen.
Zentrales Kapitel der Ausstellung ist „Krieg und Pazifismus“. Angesichts der aktuellen Situation wundert man sich fast über die symbolischen Aktionen der Friedensbewegung, die gegen NATO-Doppelbeschluss und Stationierung von Pershing II Raketen mit einer Pflugschar in US-Stützpunkte eindrangen, um sich der Logik der Aufrüstung zu widersetzen.

Freiheit dank eines Stofftigers

Auch der im oberschwäbischen Rot geborene Greenpeace-Aktivist Gerd Leipold hat seinen Auftritt: 1983 startet er mit einem Heißluftballon zum Flug über das geteilte Berlin, um gegen Atomwaffentests der vier Siegermächte zu protestieren. Er landet auf DDR-Gebiet, Soldaten wollen ihn festnehmen. Rainer Schimpf erzählt, wie es weitergeht:
„Er hat aber ein ganz besonderes Stück dabei, seine Freundin hat ihm einen Stofftiger mitgegeben, aus Liebe. Und als die DDR-Grenzer diesen Stofftiger finden, brechen sie auch in Lachen aus, und Leipold wird relativ schnell abgeschoben.“ 
Die Stuttgarter Ausstellung zeigt nicht nur diesen niedlichen Stofftiger unter einem Glassturz, sondern lässt in einer Hörinsel den Physiker Gerd Leipold auch erzählen: „Natürlich sind die Emotionen eine ganz starke Triebfeder in solchen Aktivitäten. Die Wut oder der Ärger, Zorn über das, was falsch läuft in der Welt. Und ich glaube auch, ganz allgemein, so eine Liebe zur Menschheit, ein Glaube an die Zukunft.“ Liebe zur Menschheit, Glaube an die Zukunft – wäre nicht schlecht, wenn wir uns daran wieder erinnerten.

Große Geschichten statt verstaubter Vitrinen

Die vergangenen Ausstellungen zu „Gier“ und „Hass“ haben die Geschichtsmächtigkeit dieser Emotionen schlagend vorgeführt. Auch mit dem Schlüssel der „Liebe“ lassen sich Geschichten erzählen, die eine neue, eine andere Sicht auf Geschichte erlauben.
Das Stuttgarter Haus der Geschichte Baden-Württemberg hat mit diesen Sonderschauen Menschen ins Museum gebracht, die normalerweise nicht in historische Ausstellungen gehen. Da werden und wurden eben nicht verstaubte Vitrinen präsentiert, sondern Themen, die direkt bewegen und berühren. Erzählt über Objekte, die banal erscheinen mögen, aber für großartige Geschichten sorgen. Wie der Stofftiger, der sogar die DDR zum Lachen brachte.  

Die Ausstellung "Liebe. Was uns bewegt" im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart läuft bis zum 23. Juli 2023.

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