Lesen und besitzen

Was den äußeren und inneren Wert von Büchern ausmacht

04:18 Minuten
In einer Regalwand aus Holzkästen stehen alte Bücherbände.
In Sachen Wertanlage haben Bücher eindeutig verloren, meint Rolf Schneider. © Unsplash / Paul Melki
Eine Erkenntnis von Rolf Schneider · 11.03.2020
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Wer Bücher liebt und viele davon besitzt, sollte sie besser nicht in Euro und Cent taxieren: Er könnte enttäuscht werden! Der Schriftsteller Rolf Schneider hat es dennoch gemacht - und beklagt einen Werteverfall.
In meiner näheren Bekanntschaft wurde kürzlich ein Haushalt aufgelöst. Es gehörte dazu eine Privatbibliothek von etwa 7000 Bänden. Erst nach mehreren erfolglosen Versuchen fand sich ein Antiquar, der bereit war, die Sammlung zu übernehmen.
Er transportierte sie ab und zahlte dafür den Betrag von 100 Euro. Habe ich richtig gerechnet, erbrachte jedes der veräußerten Bücher den Erlös von 1,4 Cent.
Meine eigene Privatbibliothek umfasst um die 30.000 Bücher. Ich kann nicht sagen, was ich einst dafür ausgegeben habe. Veranschlage ich pro Exemplar sieben Euro, käme ich auf die Summe von 210.000 Euro. Bei einem Verkauf zu den soeben geschilderten Bedingungen schrumpfte sie auf runde 420 Euro.
Sind Bücher also nichts mehr wert?

Bücher sind keine Wertanlage mehr

Der Blick in eine beliebige Buchhandlung zeigt, dass dem ganz so nicht ist. Die meisten Preise dort bewegen sich zwischen zehn und 30 Euro pro Neuerscheinung. Ältere Bestände hingegen werden meist zu kräftigen Preisnachlässen angeboten, es gibt spezielle Buchhandlungen, die ausschließlich mit Ramschexemplaren handeln, und es gibt Verlage, die exklusiv diesen Markt beliefern: alles Indizien für einen Werteverfall.
Wer durch die Straßen unserer Städte geht, wird kaum noch auf Antiquariate treffen. Im Internet findet sich eine zentrale Adresse für gebrauchte Bücher, die nunmehr bei dem Versandriesen Amazon untergekrochen ist. Ein anderes Internetantiquariat ist "Medimops", wo die Preise zumal für den Ankauf sich im Billigsegment bewegen.
In Sachen Wertanlage haben Bücher also eindeutig verloren. Man darf fragen: wieso?

Digitalisierung und nachlassendes Leserinteresse

Als Antwort bietet sich zunächst die Überproduktion an. Allem lautstarken Branchengejammer zum Trotz werden viel mehr Bücher gedruckt als verkauft, was natürlich auf den Preis drückt. Freilich fanden solche Überproduktionen schon in der Vergangenheit statt, als es noch einen umsatzstarken Antiquariatshandel gab.
Eine weitere Antwort ist das nachlassende Leserinteresse. Alle entsprechenden Erhebungen belegen es und dies, beunruhigenderweise, zumal bei jüngeren Leuten. Für die Zukunft will das nichts Gutes bedeuten, und der Markt reagiert darauf.
Schließlich ist da noch die Digitalisierung. Fast jede Neuerscheinung wird heute gleichermaßen als E-Book angeboten. Digitalisierung bedeutet, dass Literatur auf ihren Content reduziert werden kann. Druckbild, Ausstattung, Papier, Typografie und Einband lassen sich davon ablösen, als mögliche Transportmittel, die scheinbar entbehrlich sind.
E-Books haben zudem den Vorteil der Platzersparnis. Meine private Bibliothek beansprucht ein eigenes Zimmer. Würde sie digitalisiert, hätte sie auf einem fingernagelgroßen Speicherchip Platz.

Gibt es irgendwann ein Revival des Antiquariats?

Allerdings: Die bloße Vorstellung davon widerstrebt mir, denn es würde nicht bloß eine vertraute Umgebung, sondern auch ein Stück Kultur abhandenkommen. Man erwirbt und sammelt Bücher nicht bloß, um sie zu lesen und wieder zu lesen und um in ihnen nachzuschlagen. Man liebt außerdem ihre Ausstattung, ihre Haptik, ihre Ästhetik, ihren Geruch.
Der Gegenstand Buch gehört zu unserer kulturellen Überlieferung, deren Anfänge zurückreichen bis in die Druckwerkstatt Johann Gutenbergs, bis in die Scriptorien und die kostbaren Handschriften mittelalterlicher Klöster. Das Buch schuf sich seine eigene Architektur, wofür etwa die Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und die Anna Amalia Bibliothek in Weimar stehen.
Weiterhin finden Wettbewerbe um schönste Bücher statt. Es gibt Vereinigungen und Aktionen für Bibliophile und für Sammler. Das gedruckte Buch wird also noch wertgeschätzt. Dass solche Wertschätzung irgendwann auch in das Antiquariatsgeschäft zurückkehrt, scheint keine ganz unbillige Hoffnung.

Rolf Schneider, geboren 1932 in Chemnitz, war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller und Essayist. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte.

Rolf Schneider, Schriftsteller, steht im Mai 2019 in einem Haus im Land Brandenburg. 
© picture alliance/dpa/Soeren Stache
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