Urteil zu E-Book-Weiterverkäufen

Was ist ein Buch wert, das ich nicht besitze?

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Ein Mann entnimmt ein E-Book-Reader aus einem Bücherregal.
E-Books können sich nicht abnutzen. Deshalb darf man sie auch nicht als "gebraucht" weiterverkaufen. © picture alliance/dpa/Zacharie Scheurer
Johannes Franzen im Gespräch mit Axel Rahmlow · 19.12.2019
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Gekaufte E-Books dürfen nicht weiterverkauft werden, hat der EuGH entschieden. Denn anders als gedruckte Bücher können sie sich nicht abnutzen. Der Wert eines Buches liege eher im Inhalt als im Material, sagt Lese-Forscher Johannes Franzen.
E-Books sind nicht wie gedruckte Bücher, also gelten für sie auch andere Regeln. Gelesene E-Books dürfen nicht ohne weiteres als "gebrauchte" Exemplare weiterverkauft werden. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Damit verlor das niederländische Unternehmen Tom Kabinet, das einen Online-Marktplatz für "gebrauchte" E-Books führt und Bücher für weniger als die Hälfte verkauft, einen Rechtsstreit. Zwei Verlagsverbände hatten dagegen geklagt.
Der Grund ist, dass es anders als bei gedruckten Büchern bei digitalen Produkten keine Abnutzung gibt. Deshalb muss man davon ausgehen, dass der Buchmarkt sehr leiden würde, wenn man gebrauchte aber gleichwertige Produkte für den halben Preis kaufen könnte, wie im Fall des niederländischen Anbieters. Die Buchbranche hat Angst vor Raubkopieren. Tom Kabinet fordert die Kunden zwar dazu auf, das eigene Exemplar zu löschen. Aber das ist nur schwer zu kontrollieren.
Für Bücher gilt das Erschöpfungsprinzip. Das bedeutet: Das Urheberrecht erlischt, sobald ein Autor ein gedrucktes Buch vervielfältigen lässt. Derjenige, der das Buch erwirbt, muss den Urheber also nicht um Erlaubnis fragen, wenn er das Buch weiterverschenkt, verkauft oder verleiht. Dem EuGH-Urteil zufolge gilt das Erschöpfungsprinzip nicht für digitale Produkte gilt. Das heißt: Der Urheber muss jeder einzelnen Nutzung zustimmen.

Nicht auf das Material, auf den Inhalt kommt es an

Johannes Franzen, Literatur-Wissenschaftler an der Uni Bonn, sieht in dem Konflikt ein "Krisenphänomen der Entmaterialisierung von Kunst". Da man auch Bild- und Tonträger nicht mehr in der Hand halte, entstehe eine "Irritation und eine gewisse kulturelle Panik in Bezug darauf, was das wert ist und wem das gehört". Einer von Franzens Forschungsschwerpunkte sind Phänomen des Lesens in Zeiten des Digitalen.
Es sei eine interessante Frage, wie stark der Wert eines Buches an die Materialität des Gegenstandes gebunden sei. "Denn eigentlich würde man streng genommen sagen müssen, dass der Wert eines Buches sich vor allem durch den Inhalt definiert", sagt Franzen. "Das heißt, die Art und Weise, wie wir über diese Gegenstände nachdenken, wird sehr stark davon bestimmt, was wir in der Hand halten können."
Daher sei Franzens Ansicht nach die Ungerechtigkeit zu vernachlässigen, dass E-Book-Leser ihre Bücher nicht weiterverkaufen dürfen, weil sie genauso wie die Leser von Papierbüchern in den Genuss des Inhalts kommen. Die Entmaterialisierung sei eine Möglichkeit, mehr über den Inhalt nachzudenken.
Ob man Bücher oder E-Books lese, sei eher eine Sache der Gewohnheit, sagt der Literaturwissenschaftler. "Ich würde vermuten, dass sich dadurch einen gesellschaftlichen Gewöhnungsprozess angleichen wird."
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