Lesemarathon in Klagenfurt
Zum Auftakt des Wettbewerbs um den Ingeborg-Bachmann-Preis haben drei der sieben Nachwuchsautoren die Messlatte für die Konkurrenz sehr hoch gelegt. Die Jury sprach von Stilsicherheit und Tiefsinnigkeit. Andere Texte ernteten weniger Beifall: Das sei "absoluter Schmarrn" hieß es in einem Fall.
Schlag 9.00 Uhr füllte sich am Morgen das ORF-Theater in Klagenfurt. Per Losentscheid waren heute Autorinnen und Autoren aus Deutschland unter sich: Und der literarische Vormittag war Erfolg versprechend wie selten in der Geschichte des Preises. Die sehr unterschiedlichen Texte sind im Hier und Heute verankert, die Autoren erzählen sprachlich meist ausgefeilt von großen, wiederkehrenden Themen, von Liebe, die nicht gelebt werden kann, von Leere, von Fremdheit, aber auch von Sehnsucht und Gefühlen.
Den Auftakt machte der 34-jährige Münchner Nikolai Vogel, Gewinner des Open Mike 2004. "Plug in" heißt sein Romanauszug, der in die heutige Computer dominierte Welt eintaucht. Ein Rohrbruch weicht das fest gefügte Umfeld eines jungen Mannes auf. Banalitäten im Alltag. Die Flut an Mails, die Überflutungen mit Werbepost im Briefkasten erzeugen Leere.
Nikolai Vogel erzählt pointiert über ein ernstes Thema und machte den Juroren hörbar Vergnügen. Trotz ständiger Beschleunigung erscheint das Leben als Stillstand, als bloße Wiederholung. Die Hauptfigur versucht sich an ihrem Werte- und Erinnerungsvokabular anzudocken, ruft sich Evolutions- und Kulturgeschichte in Erinnerung.
Ein gelungener Auftakt, dem sich der Auftritt der favorisierten Julia Schoch aus Potsdam anschloss, die auf Einladung von Iris Radisch nach Klagenfurt gekommen ist.
Julia Schoch, die bereits einen viel beachteten Erzählband und einen Roman veröffentlicht hat, lässt ihre Protagonistin auf dem Ticket des Goethe-Instituts aus dem märkischen Buckow nach Südamerika reisen. Im Rucksack hat die Autorin preußische Geschichte, selbst verfasste Sekundärliteratur, mit der sie ihr Geld verdient. Dazu spürt die junge Frau eine unangenehme Berührtheit gegenüber Erwartungen, die sich mit Massendemonstrationen und Ideen von Senhor Marx und Senhor Engels südlich des Amazonas verbinden. Die Erfahrungen in der DDR schimmern nur noch schemenhaft durch und gehören dennoch zum Erfahrungskosmos der Erzähl-Figur. Eine unstillbare Sehnsucht, versucht die Protagonistin in sich zu ersticken.
Trotz einiger Einsprüche, die sich an überzogenen Metaphern fest machten, überwog der Beifall, "großartig", ein Bachmannscher-Text lobte Ilma Rakusa und verwies auf die Sehnsucht und auf die Abgründigkeiten im Text.
Dieser erste Wettbewerbstag war auch der Tag des Leipziger Literaturinstituts. Der Zufall schickte nacheinander zwei derzeitige Schüler und einen Absolventen des Leipziger Literatur-Instituts auf die als "Mensch-ärgere-dich-nicht"-Spiel aufgebaute Bühne.
Susanne Heinrich, die äußerlich Schwarz-Weiß-Kontraste bevorzugt, ist mit gerade 20 Jahren die jüngst des Wettbewerbs. Abgründig, dennoch berührend, erzählt sie eine Dreiecksgeschichte.
Die Möglichkeit der großen Liebe bleibt bis zum Schluss im Konjunktiv. Während einige Juroren dem gut komponierten Text Beifall zollten, den authentischen Blick auf die gefühlte Gefühllosigkeit hervorhoben, konterte Norbert Miller.
Dennoch: Ein großes literarisches Talent, ein überzeugender Auftritt ist das Fazit dieser Lesung. Susanne Heinrichs Erzählung erscheint in einem Erzählband im Herbst bei DuMont.
Geboren in Bosnien, kam Sasa Stanisic mit 14 nach Deutschland. Nach einem Philologiestudium in Heidelberg, hat er in sich am Leipziger Literaturinstitut eingeschrieben. Sein Text erinnert an traumatische Erlebnisse der Kindheit, als Bosnien Kriegsschauplatz war.
Kinder in Zeiten des Krieges. Ein Text der unter die Haut geht - meinte Jurorin Ursula März.
Der Nachmittag des Wettlesens konnte den überzeugenden Auftakt nicht mehr Fortsetzen: Der Dramatiker Kristof Magnusson, inzwischen sind seine Stücke auf Bühnen in Berlin und Dresden zu erleben, konnte am Nachmittag mit seinem Romanauszug "Zuhause" nicht überzeugen: Obwohl der Text Publikum und Juroren beim Zuhören erheiterte, bleiben die kritischen Anmerkungen im Ohr: Hier werde ein "Kunstisland" inszeniert. Der Anspruch des Schelmenromans nicht durchgehalten.
Die Stärke des Textes zeigte sich in Dialogen: Der Roman "Zuhause" erscheint im Herbst bei Kunstmann.
Meine Sehnsucht nach Island wuchs mit jeder Seite, meinte Burghard Spinnen, der zunächst den Text von Helmut Kuhn durchwinken wollte, sich aber nicht gegen die Jury-Vorsitzenden durchsetzen konnte: Als Kitsch und Kunstblabla frühstückte Iris Radisch die Lesung ab und ließ eine kleine gynäkologische Aufklärung über die beschriebene Zangengeburt und anatomische Ungereimtheiten folgen.
Alle Erwartungen richteten sich abschließend auf die Werbetexterin Nathalie Balkow, die wiederum eine "Nachbarschaftsgeschichte" erzählt. "Ein allegorischer Text, der gleichzeitig Alltag einfängt", lobte Ursula März, "und das Warenangebot, aber auch Betrachtungen über Natur, über das Alter.
Atempause für die Autoren und für die Juroren. Jetzt geben die angereisten Journalisten, Agenten, Verlagsleute den Ton an in den Gartenkneipen der Renaissancestadt und im berühmt gewordenen Maria Loretto am Wörthersee, das sich damit rühmt, dass Ingeborg Bachmann hier einst mit den Eltern zum Kaffeetrinken eingekehrt ist. Nach sieben Stunden Literatur und Literaturdebatte sind nun auch die Juroren Gesprächsthema. Open end in Klagenfurt in Sachen Literatur und Kritik. Und Fortsetzung folgt: morgen.
Ingeborg-Bachmann-Preis 2005
Den Auftakt machte der 34-jährige Münchner Nikolai Vogel, Gewinner des Open Mike 2004. "Plug in" heißt sein Romanauszug, der in die heutige Computer dominierte Welt eintaucht. Ein Rohrbruch weicht das fest gefügte Umfeld eines jungen Mannes auf. Banalitäten im Alltag. Die Flut an Mails, die Überflutungen mit Werbepost im Briefkasten erzeugen Leere.
Nikolai Vogel erzählt pointiert über ein ernstes Thema und machte den Juroren hörbar Vergnügen. Trotz ständiger Beschleunigung erscheint das Leben als Stillstand, als bloße Wiederholung. Die Hauptfigur versucht sich an ihrem Werte- und Erinnerungsvokabular anzudocken, ruft sich Evolutions- und Kulturgeschichte in Erinnerung.
Ein gelungener Auftakt, dem sich der Auftritt der favorisierten Julia Schoch aus Potsdam anschloss, die auf Einladung von Iris Radisch nach Klagenfurt gekommen ist.
Julia Schoch, die bereits einen viel beachteten Erzählband und einen Roman veröffentlicht hat, lässt ihre Protagonistin auf dem Ticket des Goethe-Instituts aus dem märkischen Buckow nach Südamerika reisen. Im Rucksack hat die Autorin preußische Geschichte, selbst verfasste Sekundärliteratur, mit der sie ihr Geld verdient. Dazu spürt die junge Frau eine unangenehme Berührtheit gegenüber Erwartungen, die sich mit Massendemonstrationen und Ideen von Senhor Marx und Senhor Engels südlich des Amazonas verbinden. Die Erfahrungen in der DDR schimmern nur noch schemenhaft durch und gehören dennoch zum Erfahrungskosmos der Erzähl-Figur. Eine unstillbare Sehnsucht, versucht die Protagonistin in sich zu ersticken.
Trotz einiger Einsprüche, die sich an überzogenen Metaphern fest machten, überwog der Beifall, "großartig", ein Bachmannscher-Text lobte Ilma Rakusa und verwies auf die Sehnsucht und auf die Abgründigkeiten im Text.
Dieser erste Wettbewerbstag war auch der Tag des Leipziger Literaturinstituts. Der Zufall schickte nacheinander zwei derzeitige Schüler und einen Absolventen des Leipziger Literatur-Instituts auf die als "Mensch-ärgere-dich-nicht"-Spiel aufgebaute Bühne.
Susanne Heinrich, die äußerlich Schwarz-Weiß-Kontraste bevorzugt, ist mit gerade 20 Jahren die jüngst des Wettbewerbs. Abgründig, dennoch berührend, erzählt sie eine Dreiecksgeschichte.
Die Möglichkeit der großen Liebe bleibt bis zum Schluss im Konjunktiv. Während einige Juroren dem gut komponierten Text Beifall zollten, den authentischen Blick auf die gefühlte Gefühllosigkeit hervorhoben, konterte Norbert Miller.
Dennoch: Ein großes literarisches Talent, ein überzeugender Auftritt ist das Fazit dieser Lesung. Susanne Heinrichs Erzählung erscheint in einem Erzählband im Herbst bei DuMont.
Geboren in Bosnien, kam Sasa Stanisic mit 14 nach Deutschland. Nach einem Philologiestudium in Heidelberg, hat er in sich am Leipziger Literaturinstitut eingeschrieben. Sein Text erinnert an traumatische Erlebnisse der Kindheit, als Bosnien Kriegsschauplatz war.
Kinder in Zeiten des Krieges. Ein Text der unter die Haut geht - meinte Jurorin Ursula März.
Der Nachmittag des Wettlesens konnte den überzeugenden Auftakt nicht mehr Fortsetzen: Der Dramatiker Kristof Magnusson, inzwischen sind seine Stücke auf Bühnen in Berlin und Dresden zu erleben, konnte am Nachmittag mit seinem Romanauszug "Zuhause" nicht überzeugen: Obwohl der Text Publikum und Juroren beim Zuhören erheiterte, bleiben die kritischen Anmerkungen im Ohr: Hier werde ein "Kunstisland" inszeniert. Der Anspruch des Schelmenromans nicht durchgehalten.
Die Stärke des Textes zeigte sich in Dialogen: Der Roman "Zuhause" erscheint im Herbst bei Kunstmann.
Meine Sehnsucht nach Island wuchs mit jeder Seite, meinte Burghard Spinnen, der zunächst den Text von Helmut Kuhn durchwinken wollte, sich aber nicht gegen die Jury-Vorsitzenden durchsetzen konnte: Als Kitsch und Kunstblabla frühstückte Iris Radisch die Lesung ab und ließ eine kleine gynäkologische Aufklärung über die beschriebene Zangengeburt und anatomische Ungereimtheiten folgen.
Alle Erwartungen richteten sich abschließend auf die Werbetexterin Nathalie Balkow, die wiederum eine "Nachbarschaftsgeschichte" erzählt. "Ein allegorischer Text, der gleichzeitig Alltag einfängt", lobte Ursula März, "und das Warenangebot, aber auch Betrachtungen über Natur, über das Alter.
Atempause für die Autoren und für die Juroren. Jetzt geben die angereisten Journalisten, Agenten, Verlagsleute den Ton an in den Gartenkneipen der Renaissancestadt und im berühmt gewordenen Maria Loretto am Wörthersee, das sich damit rühmt, dass Ingeborg Bachmann hier einst mit den Eltern zum Kaffeetrinken eingekehrt ist. Nach sieben Stunden Literatur und Literaturdebatte sind nun auch die Juroren Gesprächsthema. Open end in Klagenfurt in Sachen Literatur und Kritik. Und Fortsetzung folgt: morgen.
Ingeborg-Bachmann-Preis 2005