Lesart spezial

Im April kam der Film "John Rabe" in die Kinos. Er erzählt die Geschichte eines Deutschen, der 1937 zehntausenden Chinesen das Leben rettete. Auszüge aus John Rabes Tagebücher sind nun als Hörbuch erschienen. In "Tanz auf dem Vulkan" schildert Harry Graf Kessler den deutschen Revolutionswinter 1918/19. Und mit "Walden - Ein Leben mit der Natur" liegt nun auch das Kultbuch des alternativen Lebens als Audioversion vor.
Zur Lesart spezial mit Hörbüchern begrüßt Sie Norbert Wassmund.

Es ist schon erstaunlich, dass das Massaker der Japaner 1937/38 in der damaligen chinesischen Hauptstadt Nanking - heute Nanjing - bei uns so gründlich in Vergessenheit geriet. Erst der Film von Florian Gallenberger rief die schrecklichen Ereignisse dieser Episode des japanisch-chinesischen Krieges wieder wach – und lenkte den Blick auf die menschliche Leistung wie auch auf die Widersprüche der Person John Rabes.

Rabe war in Nanking Manager der Siemens-Niederlassung. Er war ein überzeugtes Mitglied der NSDAP und somit ein Vertreter des deutsch-japanischen Bündnisses. Es gelang ihm, den japanischen Invasoren eine Sicherheitszone in Nanking abzuringen und so zehntausenden Chinesen das Leben zu retten.

Ulrich Tukur verkörpert im Film John Rabe. Er hat sich mit der Figur des "guten Deutschen von Nanking" eingehend beschäftigt:

Ulrich Tukur über John Rabe: "Rabe, erklärtes Nazi-Mitglied …"

Der Film basiert auf den Tagebüchern, die John Rabe während der dramatischen Ereignisse in Nanking ab Herbst 1937 schrieb. Erst in den neunziger Jahren kamen sie aus amerikanischen Archiven an die Öffentlichkeit - herausgegeben von Erwin Wickert, der Rabe noch persönlich kannte.

Auszüge dieser Notizen und Gedanken sind in einem mehrteiligen CD-Hörbuch publiziert worden, gelesen von Ulrich Tukur:

Take Rabe: "21. September 1937. Alle reichen und besser situierten …"

Die japanische Armee hatte die chinesische Front bei Shanghai durchbrochen und rückte auf das 250 Kilometer entfernte Nanking vor. Die Bombenangriffe nahmen zu, ebenso die Brutalität der japanischen Soldaten: Sie quälten, vergewaltigten und töteten. John Rabe notierte in seinem Tagebuch:

Take Rabe : "10. Dezember. Die Nacht war sehr unruhig …"

Die Zahl der Opfer der japanischen Greueltaten wird auf 300.000 geschätzt. Fast ebenso viele Menschen überlebten - dank der "Sicherheitszone", die John Rabe einrichten konnte. Die Chinesen verehren ihn deshalb als Helden. Nicht so die Deutschen, die ihn, nach der Rückkehr 1938, von der Gestapo observieren ließen. Erst mit Kriegsende setzte er seine Aufzeichnungen fort, deprimiert, krank und an den Lebensumständen leidend:

Take Rabe: "Mittwoch, den 16.Mai. Japan soll auch kapituliert haben …"

Am 5. Januar 1950 starb John Rabe in Berlin. Seine Tagebücher sind ein einzigartiges Dokument der Zeitgeschichte. Hitler-Gläubigkeit, uneingeschränkte, ja geradezu rührende Hilfsbereitschaft für die leidende chinesische Bevölkerung und private Gedanken. Ein Dokument, das trotz oder wegen einer gewissen Naivität Rabes gängige Muster der Vergangenheitsbewältigung außer Kraft setzt. Inhaltlich fesselnd, trotz kleinerer technischer Mängel der Aufnahme.

Die Lesung "John Rabe – der gute Deutsche von Nanking" mit Ulrich Tukur. Ein Hörbuch von Random House Audio.


Tagebücher, entstanden in Phasen politischer Umwälzungen, dazu noch kenntnisreich und detailliert geschrieben, zählen zu den wichtigsten Zeugnissen der jeweiligen Epoche. Das auf umfangreichen Tagebüchern basierende Hörbuch, das wir Ihnen jetzt in Lesart spezial vorstellen, ist ein großartiges Dokument: "Tanz auf dem Vulkan - Tagebuchauszüge aus dem deutschen Revolutionswinter 1918/19", verfasst von Harry Graf Kessler, gelesen von Johannes Steck.

Harry Graf Kessler war Weltmann, Kunstmäzen und Diplomat und erlebte hautnah die Ereignisse jener Monate: die Novemberrevolution, die Ausrufung der Republik, den Spartakusaufstand, die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, den Beginn der Weimarer Republik. Kessler zeichnete in seinem Tagebuch ein anschauliches Bild des Geschehens auf der Straße und im Reichstag, beschrieb unverblümt seine Eindrücke. Für seine Verachtung des wilhelminischen Spießertums fand Kessler mehr als einmal drastische Worte.

Take Kessler: "Berlin, 17. November 1918. Erster Sonntag nach der Revolution …"

In diesen Tagen sympathisierte Graf Kessler mit der neuen revolutionären Regierung der Volksbeauftragten, und er machte sich stark für einen "wahren Völkerbund", durch den die Aussöhnung der Kriegsgegner vorangetrieben werden sollte. "Der rote Graf" wurde er nun genannt. Er galt als liberaler Geist mit starker Affinität zu einem utopischen Sozialismus.

Take Kessler: "Berlin, 6. Januar 1919. Ganz Berlin ist ein brodelnder Hexenkessel …"

Harry Graf Kessler war zwar ein politischer Amateur, aber er hinterließ mit seinen Überlegungen und Erinnerungen ein großes Zeugnis der Politik, Kultur und Mentalität im wilhelminischen Deutschland und der Weimarer Republik. Ab Mitte der zwanziger Jahre zog sich Kessler aus dem aktiven politischen Leben zurück und widmete sich ausschließlich der Schriftstellerei. Er starb völlig verarmt am 30. November 1937 in Lyon.

Das Hörbuch "Harry Graf Kessler – Tanz auf dem Vulkan – Der Revolutionswinter 1918/19 in Tagebuchauszügen" wird gelesen von dem Schauspieler Johannes Steck. Ihm ist es zu verdanken, dass auch die Ironie und die Zwischentöne des Textes adäquat zur Geltung kommen. Erschienen sind die beiden CDs im Audiobuch-Verlag.


Von einem der auszog, die Einfachheit zu leben: Henry David Thoreau … auch er redete mit den Tieren des Waldes, mit den Vögeln und mit den Fischen. Mitte des 19. Jahrhunderts wollte der amerikanische Dichter und Natur-Poet die Zwänge der Zivilisation abstreifen und wagte das Experiment der Einsiedelei. Da war er 28 Jahre alt. Am Walden-See, nahe des Städtchens Concord nordwestlich von Boston in Massachusetts, ließ er sich eine Zeitlang nieder. Thoreaus sehnlichster Wunsch: leben im Einklang mit der Natur. Mehr noch: eine Einsamkeit im "grünen" Universum. Er notierte, was er dachte, was er sah und welche Schlussfolgerungen er aus alledem zog.

Nun kann man "Walden – Ein Leben mit der Natur" auch anhören. Das Kultbuch des alternativen Lebens als mehrteiliges AudioBook, gelesen von Bernd Geiling:

Take Walden: "Wir sind geneigt, die Wichtigkeit unserer Arbeit zu überschätzen …"

Erfahrungen und philosophische Überlegungen eines Aussteigers. - Henry David Thoreau starb am 6. Mai 1862 in seiner Geburtsstadt Concord/ Massachusetts. Die von ihm vor mehr als 150 Jahren niedergeschriebenen sozialkritischen und sozial-utopischen Gedanken sind auch heute noch überaus lesens- oder hörenswert. Bernd Geiling las aus "Walden – Ein Leben mit der Natur" von Henry David Thoreau. Veröffentlicht wurde das vierteilige Hörbuch bei Hoffmann und Campe.

Kurz und kritisch – Hörbücher kompakt

"Was für ein wunderbarer Erzähler, was für ein herrlicher Schriftsteller!" urteilte Marion Dönhoff über Golo Mann. Da war sie nicht die einzige. Davon, dass er, der Sohn Thomas Manns, ein glänzender Historiker war, zeugt seine Sicht auf die deutsche Geschichte, die er entfaltet in einem seiner Hauptwerke. Auch heute, im Jahr des 100. Geburtstages von Golo Mann, besticht nicht nur dessen Mut zur historischen Wertung, sondern auch die kraftvolle und lebendige Sprache – als Audio in einer ungekürzten Edition, die man ohne Übertreibung als großen Wurf bezeichnen kann. Rund 40 Stunden vorgelesene Geschichte – und nicht eine Minute zu viel. Hier spricht kein Schulmeister, sondern ein Geschichtsphilosoph. Aus dem 11. Kapitel zum Nationalsozialismus ….

CD-Ausschnitt

… die Stimme von Claus Biederstaedt, dem es im Wechsel mit Achim Höppner gelingt, den richtigen Ton zu treffen. "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" von Golo Mann. Erschienen bei Diogenes Hörbuch.


Er war ein unerbittlicher Kritiker der gesellschaftlichen wie der politischen Verhältnisse und der wohl bissigste Satiriker der Weimarer Republik: Kurt Tucholsky. In zahllosen Feuilletons, Büchern und Briefen bekämpfte der Jurist und Schriftsteller Deutschtümelei, Behörden- und Spießertum sowie den erstarkten Nationalsozialismus. Einige seiner vor rund 80 Jahren erschienenen, wohldosiert ironischen und scharfzüngigen Reiseberichte finden wir jetzt in dem Hörbuch "Mit Tucholsky auf Reisen". Ob Eigenarten des Reisenden oder die einer Region: es wird seziert und amüsiert beschrieben. Ein Vergnügen, auch wenn die akustische Interpretation von Lutz Schäfer manchmal etwas aufgesetzt wirkt:

CD-Ausschnitt

"Mit Tucholsky auf Reisen – Impressionen von unterwegs", gesprochen von Lutz Schäfer. Erschienen ist das Hörbuch bei LangenMüller.


Konrad Lorenz – das war der Mann, der hockend in Kniebundhosen vor den Grauganskindern herwatschelte. Er prägte Begriffe wie "Kindchen-Schema" und "Schlüsselreiz". Zu seinen Lebzeiten war der österreichische Verhaltensforscher einer der bekanntesten Biologen. Zwar sind zwanzig Jahre nach seinem Tod viele seiner frühen Erkenntnisse wissenschaftlich überholt, dennoch zählen seine anschaulich beschriebenen Beobachtungen zu den naturkundlichen Klassikern. 1949 verfasste er seinen wohl berühmtesten Titel "Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen". Das Standardwerk für alle, die Tiere und ihr oft rätselhaftes Verhalten besser verstehen wollen, ist nun als Hörbuch erhältlich – und wenn Olaf Baden spricht, werden die früher beim Lesen entstandenen Vorstellungen wieder lebendig:

Ausschnitt CD

Olaf Baden mit einem Ausschnitt aus dem CD-Hörbuch nach Konrad Lorenz "Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen". Erschienen im Audio-Verlag.


Hörbücher:

Ulrich Tukur liest: John Rabe - Der gute Deutsche von Nanking
3 CDs / Random House Audio 978-3-8371-0078-5

Johannes Steck liest: Harry Graf Kessler - Tanz auf dem Vulkan - Der Revolutionswinter 1918/1919 in Tagebuchauszügen
2 CDs / audiobuch 978-3-89964-334-3

Bernd Geiling liest: Henry David Thoreau - Walden, Ein Leben mit der Natur
4 CDs / Hoffmann und Campe 978-3-455-30653-8
Übersetzung: Erika Zieha, überarbeitet von Sophie Zeitz

Lutz Schäfer liest: Mit Tucholsky auf Reisen - Impressionen von unterwegs
1 CD / Langen/Müller 978-3-7844-4193-1

Olaf Baden liest: Konrad Lorenz - Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen
2 CDs / Der Audio Verlag 978-3-89813-835-2

Klaus Biederstaedt und Bernd Höppner lesen: Golo Mann – Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
37 CDs / Diogenes Hörbuch 978-3-257-80057-9