Leonardo Padura: "Neun Nächte mit Violeta"

Einblicke in Kubas Seele

Der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura gestikuliert und spricht. Hinter ihm sind Regale mit Büchern.
Der kubanische Schriftsteller Leonardo Padura. © picture alliance / dpa / EFE / Juan González
Von Marko Martin  · 16.07.2016
In seinem Erzählband "Neun Nächte mit Violeta" erweist sich der kubanische Romancier Leonardo Padura erneut als ebenso präziser wie vitaler Chronist seines darbenden Landes und als Meister der kleinen Form. Ein Muss für Kuba-Interessierte.
Keine Zeit zum Sublimieren. "Neun Nächte mit Violeta" heißt die Titelerzählung des neuen Buchs von Leonardo Padura, und selbstverständlich hört der 18-jährige Protagonist während dieser neun Nächte nicht nur bezirzend rauchige Boleros, sondern erlebt auch die Liebe mit jener Frau, die die Boleros singt. Die Liebe und den Schmerz, denn anders als zu erwarten, betrügt die erfahrene Sängerin den jungen Schwärmer nicht etwa mit einem anderen, womöglich erfahrenerem Mann, sondern die sogenannte "Revolution" betrügt sie beide, bringt sie um ihr temporäres Glück.
Als der junge Mann nämlich in der zehnten Nacht erneut in jenen Bolero-Club eintreten will, in dem Violeta allabendlich singt, ist dessen Tür verriegelt - geschlossen auf Befehl des Regimes, das gerade zur "Zuckerrohrschlacht" gerufen hat, alle verfügbaren Arbeitskräfte hinaus auf die Felder beordert und die Gelegenheit nutzt, mit "dekadenten Überbleibseln der Vergangenheit" aufzuräumen. Dies war in der Nacht vom 9. zum 10. Oktober 1969 geschehen, und als die beiden sich schließlich 30 Jahre später per Zufall in einer Emigranten-Bar in Miami wiedersehen, erkennen sie einander kaum - und flüchten, um wenigstens ihre Erinnerungen zu bewahren.

Mit Wut und Zärtlichkeit erzählt

Es ist eine große Wut in den Erzählungen des kubanischen Schriftstellers, der im Unterschied zu vielen seiner Freunde und Kollegen die Insel nicht verlassen hat, dessen Bücher jedoch fast nur im Ausland erscheinen dürfen. Gleichzeitig erzählt Leonardo Padura mit einer Zärtlichkeit, die binnen weniger Sätze nicht nur eine Situation heraufbeschwört, sondern auch die physischen und seelischen Konturen all jener, die unter ihr leiden. Da ist etwa ein nach Angola strafversetzter Journalist, der im Januar 1990 im Gefolge der sich zurückziehenden kubanischen Truppen die Gelegenheit nutzt, bei einem Zwischenstopp in Madrid kurz auszuscheren, um den Prado zu besuchen. Leider ist gerade Montag, das Museum geschlossen, und die geliebten Velázquez-Bilder bleiben unsichtbar. Das unerwartete Wiedersehen mit einem einst aus Kuba geflüchteten Jugendfreund ist keine Kompensation: Beide Männer müssen sich eingestehen, in ihrer Umwelt Fremde zu sein.

Zupackend und nuanciert

Padura, im deutschsprachigen Raum bislang vor allem als Romancier bekannt, erweist sich hier auch als Meister der sogenannten "kleinen Form", zupackend und nuanciert, mit tropischen Exotismen gekonnt spielend und gleichzeitig mit dem Blick auf kubabegeisterte Westeuropäer von einer kühlen Präzision, der man gerade hierzulande viele Leser wünscht:
"Wie die gesamte alte europäische Linke versuchte auch Bruno, sein eigenes historisches Scheitern zu verdrängen, indem er von den anderen – vor allem von den Kubanern – verlangte, stoisch und mit Würde durchzuhalten, ihre Prinzipien nicht aufzugeben und all jene Parolen weiter hochzuhalten, die inzwischen jeden Sinn verloren hatten."

Leonardo Padura: Neun Nächte mit Violeta
Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein
Unionsverlag, Zürich 2016
304 Seiten, 20,00 Euro

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