Leon Degrelle: "Hitlers Jahrhundert"

Nazi-Literatur in polnischen Buchhandlungen

Der belgische Politiker und SS-Offizier Léon Degrelle auf einer nicht datierten Aufnahme in London.
Der belgische Politiker und SS-Offizier Léon Degrelle auf einer nicht datierten Aufnahme in London. © imago/ZUMA/Keystone
Martin Sander im Gespräch mit Andrea Gerk · 12.10.2016
Adolf Hitler mit roter Hakenkreuzarmbinde unter dem Buchtitel: "Hitlers Jahrhundert". Das Buch des belgischen SS-Offiziers Leon Degrelle liegt derzeit in polnischen Buchhandlungen. Es löste einen Skandal aus. Martin Sander, Experte für polnische Literatur, erklärt, warum.
In Polens Buchhandlungen wimmelt es nicht erst seit gestern von historischer Erinnerungsliteratur aus dem rechtsnationalen und rechtsextremen Milieu. Für diese Art von Titeln gibt es sogar Extra-Buchhandlungen. Das Buch, das uns Anlass zum Gespräch gibt, war allerdings darüber hinaus noch in den Auslagen großer und "weltanschaulich neutraler" Buchhandlungsketten zu betrachten. Adolf Hitler klassisch braun mit roter Hakenkreuzarmbinde und dazu der Titel: "Hitlers Jahrhundert". Gerade dieser Titel hat in Polen einen Skandal ausgelöst, obwohl dieses Buch "Hitlers Jahrhundert" in seinem vorliegenden ersten Band vor allem vom Ersten Weltkrieg handelt. Martin Sander, Experte für polnische Literatur und Kultur:
"Der Skandal wurde ausgelöst, weil es jetzt mit Bild Hitlers und Naziuniform, Hakenkreuzbinde in den großen Buchhandlungen und Buchhandlungsketten, also nicht nur in den sich eindeutig rechtsnational bezeichneten. Von Degrelle wurden bereits einige Bücher übersetzt. Er ist offensichtlich eine wichtige Figur."

Gründer der Rexistenbewegung

Der Autor von "Hitlers Jahrhundert" ist der belgische Publizist, katholische Verleger und SS-Führer Leon Degrelle, dessen autobiografische Schriften der Amerikaner Jonathan Littell in seinem Auschwitz-Täter-Roman "Die Wohlgesinnten" verarbeitet hat. Degrelle kam 1906 im belgischen Bouillon zur Welt und starb 1994 im spanischen Malaga - unter falschem Namen, denn in Belgien konnte er sich nicht mehr sehen lassen, genoss aber Schutz im Franco-Spanien, der ihm auch nach dem Tode Francos und der Demokratisierung des Landes nicht entzogen wurde.
Martin Sander: "Er war Belgier, Wallone, er war ein sogenannter Rexist, das heißt ein rechtsnationaler Katholik. In der Zeit zwischen den Weltkriegen hat er eine Partei gegründet, die sehr antisemitsch, totalitär war. (...) Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und dem Überfall auf Belgien war er kurzzeitig interniert, hat sich Hitler angeschlossen und als SS-General diesen Krieg beendet. Nach dem Krieg war er in Franco-Spanien im Exil, denn er war zum Tode verurteilt in Belgien, wo er viele Bücher geschrieben hat."

Er wollte einen autoritären, katholischen Staat

Worin liegt die Bedeutung dieses Mannes als Autor und was kann ein polnisches Lesepublikum dabei anziehen?
Martin Sander: "In einem stimmt Degrelle mit den rechtsnationalen Polen überein: Ihm schwebte so etwas wie ein autoritärer, katholischer Staat vor. Seine faschistische Prägung, seine Männlichkeit als SS-Mann, das ist etwas, was viele junge Leser in Polen anzieht. Das hat auch etwas mit der Anti-Gender-Kampagne der Rechtsnationalen in Polen zu tun, die weite Teile der Gesellschaft erfasst hat: gegen Homosexuelle, Gleichberechtigung und die offene Gesellschaft. (...) Was man versucht, sich ein bisschen schönzureden, dass dieser Degrelle auch sehr anti-polnisch war, auch anti-slawisch, darin Untermenschen erblickt hat. Das will man dann nicht zur Kenntnis nehmen oder man sagt: Das, was er geschrieben hat, das muss man in seiner Zeit betrachten."
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