Lektor Jacob Teich über Deutsch-Rap

Auf dem Weg zur neuen Sprache

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Ein Promotionfoto zeigt den Deutschrapper Apache207 direkt angeblitzt mit Sonnenbrille vor weißer Wand und scenetypischer Geste.
"Cruis‘ mit offenen Haaren und hinter mir sitzt eine Bitch like Barbie, Hood-Safari": Lektor Jacob Teich sieht im Werk des Rappers Apache 207 eine Ähnlichkeit mit Clemens Brentano. © Four Music / Peter Kaaden
Moderation: Andreas Müller · 27.11.2019
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In deutschen Rap-Texten werden oftmals harte Worte verarbeitet. Für Verlagslektor Jacob Teich sind sie aber reine Poesie. Im Gespräch erzählt er, inwiefern Literatur und Deutsch-Rap zusammenkommen und was daraus entstehen kann.
Jacob Teich: "Deutschsprachiger Rap überholt deutschsprachige Literatur", hat Jacob Teich einmal geschrieben. Er ist Lektor im Suhrkamp Verlag und spricht nun mit uns darüber. Zunächst einmal muss ich sagen, dass nicht nur ich das behaupte. Das ist ein O-Ton aus einem Feuilleton. Das war meiner Meinung nach bei "Spiegel Online" über das letzte Haftbefehl-Album zu lesen. Deutschrap unterscheidet sich tatsächlich aber von dem, was ich als Lektor im Suhrkamp Verlag zu lesen bekomme.

Andreas Müller: Der Rapper Apache 207 hat ebenso wie viele Deutschrapper einen Migrationshintergrund, seine Familie kommt aus der Türkei. Er selbst ist in Ludwigshafen geboren, hat dort Abitur gemacht und ist jetzt mit Anfang 20 einer der erfolgreichsten Deutschrapper. Haben seine Texte auch einen literarischen Wert?
Teich: Was ich an diesem Text im Song "Roller" von Apache 207 interessant finde, ist zum einen, dass man tatsächlich Ähnlichkeiten zu bestimmten stilistischen Merkmalen der Lyrik findet, nämlich zu Gedichten. Man könnte sagen, dort tauchen Dinge auf wie Doppelreime, die schon Clemens Brentano verwendet hat. Ich finde es interessant, welches Sprachmaterial er verwendet und welchen Wortschatz er hat: Es tauchen Worte auf wie Abi, die mir in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik nur selten untergekommen sind.
Müller: Ich weiß es nicht, was das heißt.
Teich: Ein Abi ist der Bruder, glaube ich.
Müller: Ich dachte, Bro wäre Bruder.
Teich: Beides.

"Let’s go Barbie"

Müller: Schauen wir einmal auf den Text von "Roller": "Eins-gegen-eins, er kriegt ′ne Bombe, ruft seinen Bro, aber vergisst meinen Abi, box‘ seinen Abi, cruis‘ mit offenen Haaren und hinter mir sitzt eine Bitch like Barbie, Hood-Safari, steig auf den Speedfight, scheiß auf Kawasaki, let’s go Barbie". Ich komme mir wie ein Typ in den 50er-Jahren vor, der versucht, Rock’n’Roll-Texte auseinanderzunehmen und zu diffamieren - und der dann von jemandem gesagt bekommt "Du hast den Beat vergessen", weil "Whuapabeluda Whuapbambum" funktioniert nur im Zusammenhang mit dem Beat. Sie sagen, dass sei eine tolle Lyrik.
Müller: Als zweites Beispiel haben wir Ebow, die eigentlich Ebru Düzgün heißt, mit ihrem Song "K4L". Was macht Ebow aus literarischer Perspektive interessant?
Teich: Ich weiß gar nicht, ob das vornehmlich die literarischer Perspektive betrifft, aber was natürlich an ihr – gerade im Unterschied zu Apache 207 – interessant ist, ist in meinen Augen der Umstand, dass sie feministische Themen in den Rap bringt und ihre Herkunft vielleicht nochmal anders verhandelt, als es vielleicht bei Apache 207 der Fall ist. Da taucht das wenn, dann hintergründig auf und es ist gar nicht so vordergründig, woher er kommt. Bei Ebow und "K4L" ist das ein fundamentales Thema.

Wer soll das lesen?

Müller: Wenn Sie als Lektor arbeiten, müssen Sie überlegen, für wen Sie Bücher machen und ich frage mich: Wer soll denn solche Texte oder eine Literatur, die mit so etwas gespickt ist, lesen?
Teich: Ich glaube, dass wir schon versuchen, möglichst viele Dinge abzubilden und divers zu bleiben in unserer Wahrnehmung und unserer Literatur. Das ist eigentlich das Großartige, von dem ich sagen würde, das verbindet die Raptexte und die Literatur, dass sie Welten aufschließen können. Wenn ich einen Text oder ein Romanmanuskript lese, bekomme ich eine Welt präsentiert, die ich vorher vielleicht nicht kannte. Und genauso passiert es mir hier mit Ebow "K4L". Ich kenne diese Welt nicht, aber vielleicht schafft sie es so, davon zu erzählen, dass es mich doch interessiert, was in dieser Welt passiert und was da vor sich geht, weil ich selbst ja immer nur einen sehr beschränkten Einblick in die Gesellschaft habe, die mich umgibt.
Müller: Was würden Sie sich wünschen, dass sich junge Autorinnen und Autoren von Deutsch-Rappern abgucken?
Teich: Ich habe manchmal den Eindruck, dass es in Rap-Musik eine etwas dynamischere, flexiblere, lebendigere Sprache gibt. Dass die Grenzen zwangsläufig ausgetestet werden, aufgrund verschiedener Herkünfte – eben weil andere Sprachschätze mit einfließen. Ein streitbares Beispiel wäre vielleicht der Rapper Haftbefehl, dessen Song "Chabos wissen wer der Babo ist" beim ersten Hören gemeinhin vielleicht unverständlich sein könnte, weil so viele verschiedene Vokabeln verschiedener Sprachen Einfluss finden. Aber das war etwas, dass mich beispielsweise beim Hören gereizt hat. Ich fand es interessant, dass da Vokabeln verändert werden oder aus anderen Sprachschätzen dazukommen. So wird deutsche Sprache lebendiger, vielfältiger und einzigartig.
Müller: Im Suhrkamp-Verlag sind zum Beispiel Gedichte der britischen Spoken-Wort-Künstlerin Kate Tempest erschienen. Wenn die Deutsch-Rapper auf so einem hohen Niveau schreiben, warum gibt es da noch nichts in Ihrem Verlagskatalog?
Teich: Ich glaube, dass das einfach zwei verschiedene Kunstarten sind. Das eine ist ein Rap-Text, der bestimmte Gepflogenheiten hat oder Stilistiken bedient und auch bestimmten Moden unterliegt. Auch in der Literatur gibt es bestimmte Kriterien, Moden und Stilistiken. Das eine lässt sich nicht so leicht auf das andere übertragen. Ich würde auch keinen Autoren und keine Autorin bitten, demnächst einen Rap-Song aufzunehmen und damit auf die Bühne zu treten. Das Ergebnis wäre bestimmt nicht das, was man erwartet. Genauso funktioniert dieser Transfer andersherum auch nicht. Kate Tempest ist vielleicht das eine Beispiel, das es gibt, bei dem beide Welten gut zusammenkommen. Sie schafft es, diese zu verbinden.

Interessante Ansätze

Müller: Es gab in den 70er-Jahren tatsächlich deutsche Autoren, die beflügelt vom US-amerikanischen Sound, ihren Stil änderten und plötzlich anders klangen. Das kann man gut finden oder auch nicht. Was meinen Sie, wie wird Deutsch-Rap die deutschsprachige Literatur verändern? Wird dieser Sound Einklang finden?
Teich: Bislang beobachte ich nur Referenzen in Texten, also dass Künstler, Alben oder Songs genannt werden oder Teil einer Handlung eines Romans sind. Aber ich würde mir tatsächlich wünschen, dass es Überlegungen, Bemühungen oder Anstrengungen gibt, inwiefern bestimmte Rap-Eigenheiten auf die Literatur übertragen werden können. Ob das passieren wird, kann ich nicht sagen. Es gibt bestimmte Ansätze, bei denen ich denke, das ist interessant. Aber, was die Zukunft bringen wird, werden wir sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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