Leben mit PTBS

Die Schatten der Vergangenheit

07:37 Minuten
Illustration einer Frau die niedergeschlagen in der Kontur ihres eigenen Kopfes sitzt
Die Auswirkungen einer Posttraumatischen Belastungsstörung sind für jede Person individuell: "Ich möchte kein Mitleid, sondern Verständnis", sagt Luisa Maier. © imago / John Holcroft
Von Susanne Hoffmann · 27.09.2021
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Oft wird sie mit Kriegserlebnissen in Verbindung gebracht. Eine Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS, kann aber auch nach anderen außergewöhnlich schlimmen Erfahrungen entstehen. Zwei jungen Frauen erzählen, wie sie mit der Erkrankung leben.
Nele Berg ist auf dem Weg zum Drogeriemarkt in ihrer Heimatstadt Höxter in Nordrhein-Westfalen.
"Ich merke jetzt – wir gehen auf recht viele Menschen zu, und wir müssen genau da mittig durch –, dass bei mir immer ein bisschen Panik aufkommt. Ich weiß, dass ich durchgehen kann, aber es ist mit Anspannung verbunden. Und jetzt vorgehen und zügig", erzählt sie.
Die vielen Menschen, der Baulärm, das Kopfsteinpflaster – das alles sind Reize, die für sie eine große Belastung darstellen. Denn die 23-Jährige leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung – ausgelöst durch jahrelanges Mobbing in der Schulzeit.

"Es gibt viele Trigger, die ich nicht kenne"

Bis heute bestimmt das Trauma ihren Alltag. "Es gibt viele Trigger, die ich nicht kenne", erklärt sie.
"Das können Gerüche sein. Das können Gedanken sein. Gefühle, die aufkommen. Es können Gegenstände sein, irgendeine Situation, die ich sehe, die bei mir einen Flashback auslöst. Viele Sachen gehen für mich einfach nicht. Also Supermarktbesuche schaffe ich zurzeit fast gar nicht. Auch Arztbesuche und solche Sachen: Das alleine schaffen, ist nicht drin."

Traumatisierte Ärzte – Wenn die Gefühle außer Kontrolle sind [ Audio ]
Die Arbeit von Klinikärztinnen und -ärzten hat sich in den letzten Jahren stark verdichtet. Wenn dann noch Ereignisse hinzukommen, die traumatisieren – wie jetzt in der Pandemie – ist die Belastungsgrenze schnell erreicht. So erklärt sich, dass Mediziner deutlich häufiger an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden als die Allgemeinheit. An der Leipziger Uniklinik ist nun eine Online-Therapie für die Betroffenen entwickelt worden.

Eine Ärztin kommt aus einem Stationszimmer im Krankenhaus. Aufnahme leicht verwischt. 
© dpa / Wolfram Kastl
Auch bei Luisa Maier lösen alltägliche Dinge großen Stress aus. Die 23-Jährige aus der Nähe von Würzburg stellt sich gern vorab auf Situationen ein. Wenn sie an einen neuen Ort fährt, sieht sie sich alle Gegebenheiten bei Google Maps an. Im Supermarkt braucht sie immer eine Einkaufsliste, weil sie von der Auswahl der Produkte völlig überfordert ist.
Das Leben anderer 23-Jähriger kann sie aufgrund ihrer PTBS nicht führen. "Wenn Freunde sagen, wir gehen feiern auf einem Volksfest oder so, bin ich eigentlich schon mal raus", sagt sie.
"Weil, auf Volksfesten kommt halt dieses: betrunkene Männer, Alkohol, Dunkelheit, laute Geräusche, Lichtreflexe. Das alles stell so eine Reizüberflutung dar – und kann dann auch Panik verursachen."

Angst, Panikattacken und Krampfanfälle

Luisa Maier wurde mit 13 Jahren von ihrem Stiefvater vergewaltigt. Zur Rechenschaft gezogen wurde er nie. Auch zehn Jahre später hat sie ständig das Gefühl, sich beschützen zu müssen. "Ich habe so ein ständiges Angstlevel", erklärt sie.
"Wenn ich es heftig ausdrücken muss, kann ich sagen: Ich weiß nicht, wie es ist, keine Angst zu haben. Ich kann nicht so normal leben, wie andere es selbstverständlich tun. Es macht mich auch traurig, dass eine Person es geschafft hat, mich so aus dem Leben rauszuwerfen."
Bis heute empfindet Luisa fremde Männer erst einmal als Bedrohung. Abends traut sie sich alleine nicht nach draußen. Das Trauma wirkt sich bei ihr aber nicht nur psychisch, sondern auch körperlich aus. Sie bekommt Panikattacken, erlebt sogenannte Dissoziationen und sogar Krampfanfälle.
"Eine Dissoziation ist so, dass man sich selbst fremd wird. Dass ich sehe, ich laufe eine Straße entlang, aber ich realisiere nicht mehr, dass das tatsächlich mir gerade passiert. Das ist eher wie ein Film, wo man teilnahmslos zusieht", erzählt sie.
"Und ein Krampfanfall ist so, dass ich komplett wegtrete und ich dann auch mit Erinnerungen zu kämpfen haben. Das kann man sich schmerzmäßig vorstellen, als hätte man einen Wadenkrampf am kompletten Körper."

Ein Assistenzhund als "Alarmanlage"

Die Auswirkungen von PTBS sind für jede Person individuell. Ungefähr ein Mal pro Woche hat auch Nele Berg aus Höxter mit Krampfanfällen zu kämpfen. Die können jederzeit völlig unvermittelt eintreten, weshalb sie zum Beispiel kein Auto und nur selten Fahrrad fährt.
Ein Mädchen mit Hund sitzt an ein Geländer gelehnt und schaut freundlich in die Kamera.
"Allein durch ihre Anwesenheit habe ich einfach ein viel größeres Gefühl von Sicherheit", sagt Nele über ihren Hund Amy Lou.© Thomas Garber
Seit gut zwei Jahren hat sie einen Assistenzhund, der sie vor Anfällen warnen kann. Der Mini Australian Sheppard Amy Lou erkennt an Neles Körpergeruch, wenn ein Anfall bevorsteht. "Wir nennen sie liebevoll meine Alarmanlage. Sie hat einfach eine unheimliche Bedeutung", erzählt sie.
"Allein durch ihre Anwesenheit habe ich einfach ein viel größeres Gefühl von Sicherheit, weil ich einfach weiß: Okay, wenn sie da ist, ist es bislang nie vorgekommen, dass sie einen Anfall verpasst hat. Und zum anderen: Durch sie traue ich mich wieder viel, viel mehr."
Lange hat Nele Berg ihr Trauma verdrängt, ihre Jugend war wie ausradiert. Erst mit 18 fing sie eine Therapie hin, es folgten auch mehrere Klinikaufenthalte. Doch, ob sie jemals wieder gesund wird, weiß sie nicht. "Durch die Therapie habe ich gelernt, mit manchen Dingen besser umzugehen", erklärt sie.
"Dadurch geht es mir ein Stück weit besser, aber es ist nicht so, dass es mir gut geht. Ich versuche auch alles, dass ich auch gegen meine Erkrankung definitiv ankämpfe. Aber ich will nicht tief fallen, wenn es nicht so ist, dass es mir wirklich irgendwann richtig gut gehen wird."

Kontakt mit anderen Betroffenen hilft

Was Nele Berg neben der Therapie hilft: der Kontakt mit anderen Betroffenen über soziale Medien. Auf Instagram gibt es mittlerweile eine große Community, die sich über das Leben mit PTBS und den Einsatz von Assistenzhunden austauscht. Auch Luisa Maier postet dort fast täglich ihre Erfahrungen. Das öffentliche Tagebuch ist für sie mittlerweile eine Art Ventil.
"Man sagt immer: Oh Gott, Instagram, diese Scheinwelt. Mir hat Instagram unglaublich geholfen, einfach offener umzugehen mit meinem Trauma", erzählt sie.
"Ich habe auch schon mit Freunden gesprochen und gefragt: Kennst du dieses Gefühl? Und die gucken mich an so: Nein. Bei genau bei so etwas kann es helfen, sich in die Instagram-Welt zu begeben, weil man im Privaten manchmal denkt: Ich bin der einzige Mensch, der sich so fühlt. Wenn man sein Handy anmacht, sieht man, dass es so viele Leute gibt, die mit einem kämpfen."
Auf den ersten Blick wirken Luisa Maier und Nele Berg nicht anders als andere 23-Jährige. Im Gegensatz zu einem Beinbruch ist ihr PTBS von außen nicht sichtbar. Das führt jedoch dazu, dass andere oft nicht verstehen, wie sehr sie unten den Folgen ihres Traumas leiden.

"Ich möchte kein Mitleid, sondern Verständnis"

Luisa hat schon oft erlebt, dass ihr ihre Erkrankung abgesprochen wird. "Dieses: Du lachst doch gerade, du bist unterwegs, dir muss es doch einfach gut gehen", erklärt sie.
"Dass, sobald ich die Wohnungstür zu mache, innerlich zusammenbreche, weil ich meinen imaginären Akku so leergefahren habe, dass ich keine Kraft mehr habe, will niemand sehen. Ich möchte kein Mitleid, ich möchte Verständnis. Wie heißt es: Dass es okay ist, nicht okay zu sein. Das wäre so unglaublich schön, wenn das in der Gesellschaft ankommen würde."
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