Leben mit Behinderungen

Wie weit sind wir mit Inklusion und Barrierefreiheit?

94:07 Minuten
Illustration: Eine Frau und ein Mann laufen mit Beinprothesen durch einen Wald.
Rein in die Mitte der Gesellschaft: Die Redakteurin Judyta Smykowski fordert bessere gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderung. © imago images/ fStop Images / Malte Mueller
Moderation: Vladimir Balzer  · 04.12.2021
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13 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Behinderung, darunter rund acht Millionen Schwerbehinderte. Wie kommen sie und ihre Familien im Alltag zurecht? Wird genug getan, damit sie gleichberechtigt leben können?
„Ich bin behindert – und ich werde behindert“, diesen Satz hört man oft von Menschen, die mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung leben. Ein kaputter Aufzug in der U-Bahn, eine nicht barrierefreie Toilette – sie sind Alltag für Menschen im Rollstuhl.
Eltern, die darum kämpfen müssen, dass ihr behindertes Kind eine Regelschule besuchen kann und nicht die vorgeschlagene Förderschule. Zermürbende bürokratischen Wege, wenn es um die Bewilligung von Hilfsmitteln oder einer Assistenz geht. Durch die Coronapandemie werden Menschen mit Behinderungen einmal mehr an den Rand gedrängt.

"Ich bin eine Diagnose"

„Wo will der Rollstuhl raus?“, eine Frage, die Judyta Smykowski in ihrem Alltag nur allzu oft hört. „Ich bin eine Diagnose, eine Behinderung. Bei Frauen mit Behinderung ist es noch heftiger. Sie werden nicht als Frauen gesehen“, so Smykowski, die als Redakteurin und Referentin beim den Projekten Leidmedien und Die Neue Norm des Vereins Sozialhelden arbeitet. Dort setzt sie sich für eine klischeefreie Berichterstattung über Menschen mit Behinderung ein.
Knapp zehn Prozent hätten in Deutschland eine schwere Behinderung. „Aber das spiegeln die meisten Bekanntenkreise gar nicht. Menschen ohne Behinderung haben einfach wenig Kontakt zu Menschen mit Behinderung.“ Auch in der Arbeitswelt. Ihr geht es darum, das Thema Behinderung in einen neuen Kontext zu setzen: „Raus aus der Charity- und Wohlfahrtsecke, rein in die Mitte der Gesellschaft.“

„Die Nicht-Sichtbarkeit ist das Problem“

„Von einer echten Teilhabe behinderter Menschen in allen Lebensbereichen sind wir in der Europäischen Union weit entfernt“, sagt Katrin Langensiepen. Sie ist seit 2019 Abgeordnete im Europaparlament für die Fraktion Die Grünen/EFA. „Weniger als 50 Prozent der Menschen mit Behinderungen haben Arbeit, 29 Prozent leben in Armut und erfahren soziale Ausgrenzung. Frauen mit Behinderungen sind fünf Mal häufiger von Gewalt betroffen als Frauen ohne Behinderung.“
Katrin Langensiepen hat das TAR-Syndrom. Bei dieser Erbkrankheit fehlen die Speichen in den Unterarmen, sie sind dadurch verkürzt. Ihre Erfahrung: „Die Nichtsichtbarkeit ist das Problem. Im Kindergarten, in der Schule sind behinderte Kinder noch sichtbar, dann tauchen sie nicht mehr auf. Dann hast du sie nicht mehr in den Berufsschulen, sie sind in einer Werkstatt und damit in einer Sonderwelt, wo sie keinen Arbeitnehmerstatus haben und nur unter sich arbeiten. Das ist ein gesellschaftliches und politisches Problem. Es ist ein Verstoß gegen Menschenrechte – speziell gegen die UN-Behindertenrechtskonvention, zu der sich die EU-Mitgliedstaaten vor über zehn Jahren verpflichteten.“

Leben mit Behinderungen – Wie weit sind wir mit Inklusion und Barrierefreiheit?
Darüber diskutiert Vladimir Balzer von 9:05 bis 11 Uhr mit der EU-Abgeordneten Katrin Langensiepen und mit Judyta Smykowski vom Verein Sozialhelden. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de.

(sus)
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