Leben im Netz

Von Jörg Schieb · 24.02.2011
80.000 Menschen aus 197 Ländern haben ihr Leben gefilmt und die Videos auf youtube hochgeladen - das einzigartige Ergebnis heißt "Life in a Day". Auf docyoument.org findet man 99-Sekünder mit Tiefgang. Und das ZDF beweist mit seinen "Mashups" Selbstironie.
youtube.com_lifeinaday - die Welt am 24.Juli 2010

Es ist ein einzigartiges Projekt: Menschen in aller Welt wurden dazu aufgerufen, einen Tag in ihrem Leben festzuhalten. In Videos. "Zeigt uns, was ihr liebt, was ihr fürchtet und was euch zum Lachen bringt", so lautete der offizielle Aufruf. 80.000 Menschen aus 197 Ländern sind dem Aufruf gefolgt. Sie haben am 24. Juli 2010 Momente festgehalten mit der Videokamera.
Sie haben einen Einblick in ihr Leben gegeben. Jeder auf seine Art. Mal still, mal laut, mal diskret, mal ganz nah dran: Die Menschen haben unzählige Videos gedreht und sie bei Youtube hochgeladen. Filmschnipsel, die das Leben zeigen, auf allen Kontinenten, in allen Ländern.

Zwei Vollprofis aus Hollywood, Ridley Scott und Kevin Macdonald, stecken hinter dem Projekt. Beides erfahrene Regisseure und Produzenten. Sie haben aus 4600 Stunden Videomaterial ein Kunstwerk gemacht, einen packenden Dokumentarfilm. "Life in a day" zeigt das Leben, gewährt Einblicke ins Leben der Menschen. Im Januar wurde der Film "Life in a day" auf dem Sundance Filmfestival gezeigt. Demnächst kommt er in die Kinos.

Aber wer sind die Menschen, die die Videos eingereicht haben, wer sind die eigentlichen Filmemacher? Unter http://www.youtube.com/user/lifeinadayerfährt man das. Hier werden Menschen gezeigt, die einfach Spaß an der Idee hatten – und in Interviews erklären, warum sie mitgemacht haben. Das ist sympathisch und wirkt verbindend.

"Life in a Day" soll kommenden Generationen zeigen, wie das Leben an einem Tag im Jahr 2010 ausgesehen hat. Eine Momentaufnahme der Erde. Das ist gelungen.


mashups.zdf.de - Selbstironisches aus Mainz

Nein, die Krimiserie "Derrick" wird keineswegs neu aufgelegt – zumindest nicht im Fernsehen. Im Internet kann man allerdings sehr wohl Derrick-Folgen sehen, die – zumindest so – noch nie ausgestrahlt wurden. Mit Dialogen, die erst mal ein wenig befremdlich klingen.

Was ist da los? Oberinspektor Derrick ist schwul, er liebt seinen Harry und gibt es auch öffentlich zu, will ein Kind von ihm. Peter Lustig aus der Kinderserie "Löwenzahn" muss sich als Arbeitsloser durchschlagen. Und Professor Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik ist korrupt und erpresst gnadenlos seine Patienten.

Das ZDF kramt selbstironisch in seinem üppigen Archiv, schneidet und vertont Ausschnitte aus Fernsehklassikern neu. "Mashup" wird so etwas genannt, wenn zwei oder mehr Inhalte miteinander vermischt werden. Auf diese Weise entsteht etwas ganz Neues.

Im Internet haben Mashups Tradition. Jetzt hat auch die ZDF die bewährte Kunstform aufgegriffen. Der Sender stellt die Clips ab sofort unter dem Titel "ZDF Mashups" online, unter mashups.zdf.de. Das Ergebnis: Jede Menge witziger, skurriler und unterhaltsamer Kurzfilme.

Auch andere ZDF-Klassiker sollen dran glauben, etwa "Der Alte" oder "Forsthaus Falkenau". Bis zum 11. März sollen jeden Freitag drei neue Mashup erscheinen. Am Ende stehen dann 15 neu-gemixte ZDF-Serien zum Anschauen bereit – es dürften eigentlich gerne mehr sein, denn die Idee ist einfach gut, das Ergebnis überzeugt.


docyoument.org - die Welt in 99 Sekunden

Zwei junge Frauen mit Burka gehen durch südeuropäische Straßen – und ziehen die Blicke der Männer auf sich, verursachen beinahe ein Verkehrschaos. Der Grund ist klar: Die verhüllenden Kleider sind etwas anders geschnitten als sonst. Es handelt sich um Mini-Burkas. Sie verdecken das Gesicht und den Kopf, gehen aber ansonsten nur bis zur Hüfte. Darunter: Sexy Minipants, lange Beine, elegante Schuhe. So stolzieren die beiden Frauen durch die Straßen.

Nur einer von diversen Kurzfilmen, die man sich unter docyoument.org anschauen kann. Docyoument.org ist eine Videoplattform, auf der jeder Videodokumente hochladen kann. Einzige Bedingung: Die Filme dürfen maximal 99 Sekunden lang sein.

Anders als auf anderen Videoplattformen gibt es bei docyoument.org allerdings keine oder kaum belanglose Videos. Denn das Portal will Videos zeigen, die dokumentarischen Charakter haben, einen journalistischen Ansatz. Und so bekommt man Kurzfilme zu sehen, die berühren, bewegen oder zum Nachdenken anregen. Etwa ein Video, in dem Übergriffe von Teherans paramilitärischer Polizei auf Demonstranten zu sehen sind.

Jeder Film lässt sich bewerten: Ein Klick auf Plus oder Minus macht deutlich, ob man das Video schätzt oder nicht. Auf diese Weise entsteht ein Chart: Eine Bestenliste mit den populärsten Videos. Die Besucher stimmen ab. Docyoument.org ist noch recht neu, das Angebot überschaubar. Doch der Ansatz, eben Videos zeigen zu wollen, die einen dokumentarischen Anspruch haben, ist interessant und spannend.
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