Leben auf dem Bauernhof

"Wir Deutschen neigen dazu, Landwirtschaft zu verklären"

Kühe stehen in einem Melkstand und werden gemolken.
Kühe stehen in einem Melkstand und werden gemolken. © imago/BildFunkMV
Imke Edebohls im Gespräch mit Ute Welty · 21.03.2018
Ein Bauernhof sei nie ein idyllischer Ort gewesen, sagt Imke Edebohls, landwirtschaftliche Beraterin aus Niedersachsen. Auch in früheren Jahrhunderten sei die Bewirtschaftung der Höfe Knochenarbeit gewesen. Die Veränderung zu früher: Der Bauer müsse noch mehr rechnen können.
Ute Welty: Glückliche Kühe, niedliche Ferkel und eine Katze, die das Mausen lässt. Unser Bild vom Bauernhof ist oft geprägt von einer Idylle, die es schon lange nicht mehr gibt, womöglich nie gegeben hat. Wie Kinder auf dem Bauernhof aufwachsen und was Erwachsene dann daraus machen, damit befasst sich heute die NDR-Dokumentation "Unsere Geschichte. Als die Kühe noch durchs Dorf liefen". Auch Imke Edebohls ist für diese Dokumentation von der Kamera begleitet worden. Einen guten Morgen Ihnen!
Imke Edebohls: Schönen guten Morgen!
Welty: Sie sind auf einem Hof in Niedersachsen aufgewachsen, haben dann Landwirtschaft studiert und arbeiten inzwischen als Landwirtschaftliche Unternehmensberaterin. Was genau muss ich mir darunter vorstellen?
Edebohls: Wir sind Berater, die Landwirte, also landwirtschaftliche Unternehmen oder Unternehmer in ihrer Betriebsentwicklung begleiten. Also rundum alles, angefangen von Stallbau, Finanzierungsfragen, strategische Planung, Umweltfragen, teilweise auch produktionstechnische Fragen eben begleiten.
Welty: Welche Rolle hat Ihre Kindheit bei der Berufswahl gespielt?
Edebohls: Meine Kindheit hat mich sehr geprägt – ich bin der Landwirtschaft einfach ganz eng verbunden, und ich bin da ganz eng drin verwurzelt. Das ist einfach nicht mehr wegzudenken bei mir aus dem Kopf.
Welty: Was haben Sie denn als Kind besonders genossen, und was fanden Sie eher doof?
Edebohls: Was ich sehr genossen habe, ist, dass wir im Vergleich zu vielen anderen Kindern einen sehr großen Abenteuerspielplatz mit sehr vielen Freiheitsgraden hatten. Solange wir niemandem unter den Füßen herumgestanden haben und nichts kaputt gemacht haben und nicht zu Schaden gekommen sind, konnten wir auch tun und lassen, was wir wollten. Was eher lästig war, war, dass wir ab und an auch mal mithelfen mussten. Es hat nie was Existenzielles gehabt, aber Kinder haben eben auch immer was anderes im Kopf, das ist wie Kinder heute auch noch. Spielen ist immer schön.

"Bauern müssen rechnen können und ein Gefühl für Natur haben"

Welty: Und warum haben Sie sich dagegen entschieden, selbst einen Hof zu führen?
Edebohls: Wir hatten einen Hof. Den habe ich auch ein paar Jahre selbst bewirtschaftet, aber der ist einfach zu klein geworden und hätte den Erfordernissen der heutigen Landwirtschaft dann auch nicht mehr gerecht werden können.
Welty: Müssen Bauern und Bäuerinnen heute vor allem rechnen können?
Edebohls: Ja, sie müssen rechnen können. Sie müssen aber nicht nur rechnen können, sie müssen auch ein gewisses Gefühl für Dinge haben.
Welty: Was denn für ein Gefühl, und für welche Dinge?
Edebohls: Sie müssen ein Gefühl für Tiere haben, sie müssen nach wie vor auch ein Gefühl haben für Natur und für Pflanzen. Das kann man nicht herrechnen, das muss einfach ein bisschen da sein, so dieses kleine bisschen in den Fingerspitzen, das muss da sein.
Welty: Wie viel Idylle steckt denn noch im Bauernhof?
Edebohls: Es ist immer die Frage, ob diese Idylle auch tatsächlich da gewesen ist, ob sie jemals da gewesen ist. Es war ja auch immer ein Arbeitsort. Ob ein Ort idyllisch ist oder nicht, das bestimme ich ja selbst, so wie ich mir das Umfeld auch gestalte. Es ist harte Arbeit geworden, es ist noch härtere Arbeit geworden, weil das Rechnen mehr geworden ist. Das Umfeld ist schwieriger geworden. Wir sind mehr in der Diskussion, wir haben einen sehr hohen politischen Druck, wir haben einen sehr hohen Druck aus der Umweltszene, und da ist nicht mehr so viel Idylle drin. Das ist jeden Tag Existenzkampf.
Welty: Gab es denn diese Idylle tatsächlich irgendwann einmal Ihrer Einschätzung nach?
Edebohls: Nicht wirklich. Es ist ein bisschen, dass wir Deutsche dazu neigen, Landwirtschaft zu verklären. Das haben Deutsche auch im 19. Jahrhundert schon getan, das hat sehr lange Gründe. "Das Volk gedeiht auf dem Lande und verdirbt in der Stadt" hat man früher mal gesagt, und da wurde was Schönes hergeredet, was eigentlich gar nicht da gewesen ist. Und natürlich kann man das heute mit Bildern und Musik schön unterlegen, dass das so gewesen sein muss. Es war harte Arbeit, das war Knochenarbeit.

"Unser Imageproblem hat auch mit Subventionen zu tun"

Welty: Wenn wir jetzt mal das 19. Jahrhundert zurücklassen und uns wieder auf das 21. Jahrhundert konzentrieren, da fallen Bauern und Bäuerinnen ja vor allem in der Öffentlichkeit am ehesten auf, wenn sie mit ihren Traktoren demonstrieren. Hat die Landwirtschaft auch ein Imageproblem?
Edebohls: Ich denke schon, dass wir mittlerweile ein Imageproblem haben. Es ist nur die Frage, wie weit das zurückreicht und wer dafür letztendlich verantwortlich ist. Ich glaube gar nicht mal, dass es der Landwirt heute ist, der das verursacht, sondern dass die Wurzel schon viel länger zurückliegt. Was auch viel mit Subventionen zu tun gehabt hat, dass wir in der Vergangenheit auch Politiker hatten, die so ein bisschen auch die Tränendrüse drückten, weil es dem armen Bauern ja so schlecht geht. Und ich glaube, das hängt uns noch so ein bisschen nach.
Welty: Erleben Sie auch viel Frust, weil an jedem Lebensmittelskandal erst mal die Landwirtschaft schuld ist?
Edebohls: Ja, erlebe ich.
Welty: Wie drückt der sich aus?
Edebohls: Er drückt sich bei mir natürlich auch erst mal persönlich aus, wenn ich selber lese. Aber spätestens beim nächsten Kundengespräch habe ich auch den Frust des Landwirts, und mit dem muss ich mich dann auch auseinandersetzen.
Welty: Haben es Frauen nach wie vor in der Landwirtschaft besonders schwer?
Edebohls: Nein, nicht mehr so wie früher mal. Nicht mehr so wie zu der Zeit, als ich gelernt habe.
Welty: Das heißt, Sie haben auch keine Probleme, wenn Sie als Frau auf den Hof kommen und eine klare Ansage machen, hier geht es jetzt in Zukunft lang?
Edebohls: Nein, habe ich nicht. Nein. Kann ich für mich total verneinen. Allerdings kommen zu mir Landwirte ja freiwillig. Sie müssen ja nicht mit mir arbeiten. Und wer zu mir kommt, hat diese Frage für sich längst vorher beantwortet.

Veränderung kann nicht von heute auf morgen klappen

Welty: Der sture Bauer ist ja sprichwörtlich. Als wie groß schätzen Sie die Bereitschaft ein, auch natürlich neue Wege zu gehen?
Edebohls: Das hat nicht viel mit Sturheit zu tun. Das hat damit zu tun, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb eine ganze träge Masse ist. Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen und morgen etwas anderes machen. Das ist ein System, und da hängt ein Rattenschwanz dran. Oder ich habe mal Investitionen getätigt, mit denen muss ich ja auch erst mal fertig werden. Die Bereitschaft zur Veränderung, die ist schon da. Aber manchmal ist das nicht so einfach, wie man sich das wünscht.
Welty: Landwirtschaft gestern und heute. Das ist das Thema für Imke Edebohls, aufgewachsen auf einem Bauernhof und heute Landwirtschaftliche Unternehmensberaterin. Frau Edebohls, haben Sie besten Dank!
Edebohls: Bitte schön!
Welty: Und wenn Sie Imke Edebohls nicht nur hören wollen, sondern auch sehen – Gelegenheit dazu ist heute Abend um 21 Uhr im NDR-Fernsehen. Titel der Dokumentation von Kati Grünig ist "Unsere Geschichte. Als die Kühe noch durchs Dorf liefen".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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