Von einer Krise zur nächsten

Milchbauern fürchten um ihre Existenz

Ein Milchbauer bereitet eine Kuh zum Melken vor.
40 Cent muss ein Liter Milch kosten, damit Bauern davon leben können. © dpa-Bildfunk / Peter Steffen
Von Dietrich Mohnhaupt · 19.02.2018
Gerade erst hat die Milchwirtschaft die letzte große Krise überstanden - da droht schon die nächste: In den letzten Wochen ist der Preis pro Liter um rund zehn Cent gefallen - auch weil die Branche an alten Strukturen festhält.
180 Kühe melkt Dieter Rempe auf seinem Hof in Wagenfeld im Landkreis Diepholz. Ein moderner Milchviehbetrieb – keiner von den ganz großen, aber wirtschaftlich überlebensfähig in einem Umfeld, das vor allem in den vergangenen zehn Jahre extrem schwierig für die Milchbauern war. Von einer Krise zur nächsten – so schildert Dieter Rempe diese Jahre seit etwa 2009 mit immer wieder dramatisch einbrechenden Milchpreisen.
"Krise eins musste durchgestanden werden – da wird Tafelsilber genommen, sprich das wird aus den Rücklagen bezahlt. Krise zwei war leider Gottes zwei/drei Jahre später und kam ganz heftig – da war das mit den Rücklagen vorbei, ist sicherlich von den Banken auch wohlwollend mit finanziert worden, allerdings mit relativ hohen Raten. Und Krise drei – da sind wir jetzt davor … wie das sich auswirkt, das wissen wir alle nicht so genau."
Die ersten Anzeichen jedenfalls lassen nichts Gutes ahnen – es geht, wieder einmal, abwärts mit dem Milchpreis. Bis in den Dezember hinein zahlten die Molkereien im Schnitt noch 38 bis 40 Cent pro Kilo Milch an die Bauern aus, allerdings seien in den vergangenen Monaten auch die Anlieferungsmengen deutlich angestiegen, erläutert Frank Feuerriegel von der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen, das habe den Auszahlungspreis bereits erkennbar unter Druck gesetzt.
"… so dass wir für Januar schon deutliche Preisrücknahmen haben und vielleicht jetzt so auf einem Auszahlungspreisniveau zwischen 35 und 37 Cent liegen – und auch weitere Ankündigungen sind da für Februar, dass nochmal Preiskorrekturen nach unten kommen, so dass wir vielleicht auf einem Preisniveau zwischen 31 und 35 Cent im Februar liegen werden."

Die Bauern brauchen 40 Cent pro Liter

Erst einmal – so die sehr vorsichtige Prognose – könnte sich der Milchpreis für die nächsten Monate auf diesem Niveau einpendeln. Für die Bauern eigentlich zu wenig – man brauche dauerhaft mindestens 40 Cent pro Kilo, um wirklich wirtschaftlich arbeiten zu können und vor allem die verheerenden Folgen der vergangenen Krisen zu bewältigen, betont Dieter Rempe. Aber – es ist einfach so wie immer: Kaum steigt der Milchpreis etwas an, wird mehr gemolken und es geht wieder abwärts mit dem Preis. Das wirkt beinahe wie eine Art Naturgesetz – eigentlich hättet ihr das doch wirklich wissen müssen, möchte man den Bauern vorhalten!
"Ja – wir haben es alle gewusst. Nur … jeder Mensch ist ein Individuum und jeder denkt anders, jeder hat auch einen anderen Betrieb und infolgedessen ist es ganz oft ein Unterschied, wie man betrieblich reagiert und wie man eigentlich verbandsmäßig auf den Markt reagiert und das werden immer zwei Paar Schuhe bleiben."
Zugegeben etwas vereinfacht könnte man also sagen: Wenn der Milchpreis einigermaßen stimmt, wird gemolken, was das Euter hergibt, um so die Kosten der vorherigen Krise zu begleichen. Und das ist dann auch schon wieder der Beginn der nächsten Krise. Diesen Teufelskreis will der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter – BDM – mit seinem europaweiten Marktverantwortungsprogramm durchbrechen. Märkte genau beobachten und frühzeitig reagieren – das ist auch für Dieter Rempe der richtige Weg.
"Wir müssen marktgerecht produzieren, das ist eigentlich in allen Branchen so, das ist auch bei der Milch so! Wir haben das in der Vergangenheit gesehen, da wurde versucht, Menge vom Markt zu nehmen bei einem geringen Preis und das hat sich bewahrheitet, dass der Markt sich dadurch erholt hat! Es funktioniert, nur man muss es machen, und nicht nur zeitlich begrenzt, es muss eine Dauereinrichtung sein. Das Marktverantwortungsprogramm hat eine Beobachtungsstelle, es wird scharf geschaltet, wenn der Bedarf da ist, wird aber auch wieder ausgeschaltet, wenn der Markt sich alleine trägt und das ist unser Ziel, da müssen wir hin!"

Rot-Schwarz schafft die "Weideprämie" wieder ab

Zu diesem "marktgerecht produzieren" gehört für den ehemaligen Landwirtschaftsminister Christian Meyer von den Grünen auch die Weidehaltung von Milchkühen. Deshalb hatte er gemeinsam mit Umwelt- und Naturschutzverbänden, dem Groß- und Einzelhandel und dem Bauernverband ein "Weidemilchlabel" eingeführt.
"Wir hatten uns auf klare Kriterien geeinigt. Wie oft steht die Kuh dann draußen, dass sie frisches Gras hat, Tierschutzkriterien, gentechnikfreies Futter und Ziel war, dass der Milchbauer – der höheren Aufwand hat – fünf Cent mindestens mehr kriegen soll für den Liter Milch."
Unterstützen wollte Christian Meyer das mit einer sogenannten "Weideprämie" – 30 Millionen Euro pro Jahr wollte die rot-grüne Landesregierung aus dem Haushalt für Kühe auf der grünen Wiese zur Verfügung stellen.
"Da hatten wir uns vorgestellt, dass man 60 Euro pro Kuh zahlt und wir könnten damit eben endlich mal die Fördermittel, die gegeben werden für die Landwirtschaft für das einsetzen, was die Gesellschaft will. Wir würden was für die Umwelt tun, wir würden was gegen Überdüngung tun, wir würden was für das Tierwohl tun und wir würden das kombinieren mit einem Marktprogramm, also dass die Verbraucherinnen und Verbraucher auch bewusst Butter, Käse, Milch von weidenden Kühen kaufen können und damit auch die hohen Leistung unserer Landwirte honorieren."
Rot-Grün ist in Niedersachsen inzwischen Geschichte. Meyers Nachfolgerin im Agraressort, Barbara Otte-Kinast von der CDU, hat diese "Weideprämie", die als Ersatz für die auslaufende Förderung von Dauergrünland gedacht war, ersatzlos gestrichen. Eine fragwürdige Entscheidung, vor allem vor dem Hintergrund des wieder schwächelnden Milchmarktes, kritisiert Christian Meyer.

Milchbauern fürchten um ihre Existenz

"Ja … da entlarvt sich wieder, dass die alten Seilschaften der Agrarindustrie wieder das Feld bestimmen, also indem man wieder Großbetriebe fördert, auch bei den Subventionen. Also auch die Weidemilchprämien … Weidehaltung kann man nicht betreiben, wenn man tausend Kühe im Stall hat, so viel Flächen hat man gar nicht. Das ist etwas für kleine, mittlere Betriebe – und da meinen einige, das ist nicht die Zukunft, das ist eine Illusion."
Zwar hat auch der Landesbauernverband den Erhalt von Zahlungen für Dauergrünland gefordert – allerdings nicht in Form einer echten Weideprämie, gekoppelt an die Zahl der Tiere, sondern einfach als Flächenprämie. Das komme aber vor allem Großbetrieben zu Gute – so wie auch die grundsätzlich ablehnende Haltung des Bauernverbandes gegenüber allen Versuchen, die Milchproduktion angepasst an die aktuelle Nachfrage zu regulieren, kritisiert Milchbauer Dieter Rempe. Vor allem diese starre Haltung des Verbandes mache es so schwierig, die nächste Milchkrise wirklich nachhaltig zu verhindern.
"Infolgedessen ist man da – was das betrifft – schon sehr alleine, weil unser Berufsverband selber kümmert sich nicht um die Milchviehhalter, das haben wir aktuell wieder gesehen. Aber ich denke, wir müssen auch so realistisch sein, dass wir uns selber helfen können und wenn uns das irgendwann nicht mehr gelingt, dann kann es sein, dass die nächste Generation sich abwendet, und dann ist das Geschichte!"
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