Lebe wild und gefährlich

Von Wiebke Porombka · 26.08.2013
Für ihr Debüt "Axolotl Roadkill" musste Helene Hegemann viel Häme und Kritik einstecken, andere feierten die junge Autorin als Fräuleinwunder. Nun erscheint ihr neuer Roman "Jage zwei Tiger". Er zeigt Jugendliche zwischen Wohlstandverwahrlosung und Traumatisierung.
Das eine ist in jedem Fall klar: Dieses Buch ist eine Herausforderung. Eine Herausforderung für Leser und Rezensenten und nicht zuletzt auch für die mittlerweile 21-jährige Autorin selbst.

Mit dem Inhalt von "Jage zwei Tiger", dem neuen Roman von Helene Hegemann, hat das zunächst einmal wenig zu tun. Obgleich: Auch da geht es anständig zur Sache. Aber die Frage ist eben: Dringt man überhaupt vor bis zur eigentlichen Lektüre oder verwickelt man sich permanent in dem langen Debatten-Schwanz, der Helene Hegemann anhängt?

Ziemlich genau dreieinhalb Jahre ist es her, dass Hegemann für ihr Debüt "Axolotl Roadkill" von Teilen des Feuilletons als neues Fräuleinwunder gefeiert wurde, das Einblicke in eine Welt aus Drogen, Sex und jugendlicher Untergrundkultur eröffnete, die kaum einem, der über "Axolotl Roadkill" schrieb, je selbst vergönnt waren.

Prompt gab es natürlich auch Gegenstimmen, die mit einem Seitenhieb auf die eigenen Kollegen nahelegten, hier sei aus unlauteren Gründen ein junges, untalentiertes Mädchen in den Stand einer Schriftstellerin erhoben worden. Und als schließlich noch herauskam, dass Hegemann einige Sätze ihres Romans von einem Berliner Blogger kopiert hatte, war nichts mehr zu retten. Vermutlich hat kaum eine Autorin in den vergangenen Jahren so viel Häme und Kritik einstecken müssen wie Helene Hegemann.

Wer geglaubt hat, dass Helene Hegemann sich nach diesen Erfahrungen aus dem Literaturbetrieb verabschiedet, sieht sich eines Besseren belehrt. Hegemann hat die Herausforderung angenommen. "Man stirbt nicht so leicht, wenn man jung ist." Es kann kaum ausbleiben, dass man dieses Zitat, das auf dem Buchrücken steht, auch als eine Kampfansage der Autorin liest. Hegemann selbst will das Zitat lieber auf ihren Roman angewendet wissen:

"Es ging in erster Linie um diesen Vorgang, den rein biologischen Vorgang, dass Zellen in einem bestimmten Alter einfach danach schreien, am Leben zu bleiben. Das ist, glaube ich, eine interessante Grundvoraussetzung für einen Roman, wenn du bestimmte Menschen in Extremsituationen schmeißt. Und da kann man sich dann komplett resignativ dazu entscheiden, das in Würde hinzunehmen und sich umzubringen. Oder man kämpft mit großem Humor dagegen an. Das ist in einem bestimmten Alter, glaube ich, ein bisschen leichter als später."

In der Rezeption ihres Debüts hat Helene Hegemann vor drei Jahren erlebt, was passieren kann, wenn zwischen Figur und Autor nicht mehr unterschieden wird. Trotzdem hat sie nun in "Jage zwei Tiger" wiederum Figuren erschaffen, die ihrem Lebenskontext nicht allzu fern stehen. Jugendliche zwischen Wohlstandverwahrlosung und knallharter Traumatisierung, die sich in all ihrem Elend permanent selbst analysieren.

"Man schreibt ja über jemanden, der in einer ähnlichen gesellschaftlichen Position steckt wie man selber. Ich mache es zumindest, weil ich mir nicht anmaßen will, über einen 50-Jährigen in Brasilien zu schreiben. Ich glaube schon, dass es immer mir zumindest sehr ähnlich sein wird, gerade von den Eckdaten her, nicht vom Innenleben. Zwangsläufig. Alles andere fände ich ein bisschen großkotzig."

Nichtsdestotrotz scheint Hegemann in "Jage zwei Tiger" einige Sicherheitsmaßnahmen getroffen zu haben, damit gar nicht erst der Vorwurf aufkommt, den Leser per vermeintlicher Authentizitäts-Versprechen hinters Licht zu führen. Weder Berlin noch seine Clubkultur kommen zur Sprache. Im Gegenteil: Große Teile des Romans spielen im unspektakulären Worms.

Gerahmt wird die Geschichte zudem von einer fiktionalen Erzählerin. Hegemann betont bei diesem Roman lieber gleich ausdrücklich, dass sie dem Ausgedachtem weit mehr Bedeutung zumisst als dem, was man gemeinhin unter Fakten versteht.

"Ich finde Recherche grundsätzlich ein bisschen unaufrichtig. Ich finde nichts schlimmer als Menschen, die tatsächlich vier Wochen sich irgendwo einschließen oder in die Klapse gehen und dann denken, sie hätten 20 Jahre Aufenthalt da verstanden."

Ob die Geschichten nun authentisch sind oder fiktional: Entscheidend ist doch ohnehin nur, dass Hegemann etwas erzählt über das Leben und darüber, was dieses Leben mit Menschen anstellen, was es ihnen zumuten kann. Und das gelingt Hegemann mit ihrem Roman zweifelsohne.

Und letztendlich, nachdem sie sich einigermaßen lädiert hindurchgekämpft haben durch ihr Unglück, werden die Figuren und mit ihnen die Leser dann tatsächlich auch noch mit einem Happy End belohnt. Das allerdings kommt so überraschend, das man noch mal nachfragen muss: Droht man der Autorin da nicht doch auf den Leim zu gehen?

"Ist als totales Happy End gemeint. Klar. Komplett. Und zwar von vorne bis hinten. Das finde ich fantastisch, das Happy End. Neue Herangehensweise an Liebe sozusagen, die dann auch funktioniert mal zur Abwechslung."

So ungebrochen, wie Hegemann es weismachen will, ist das Ende vermutlich dann doch nicht zu verstehen. Andererseits ist diese fast märchenhafte Versöhnung am Ende des Romans doch vielleicht auch ein ganz passendes Motto für diese ganze Geschichte.

Helene Hegemann: "Jage zwei Tiger"
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2013
320 Seiten, 19,90 Euro
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