Lausitzer Füchse

Ein Eishockeyverein gibt einer ganzen Region Halt

23:56 Minuten
Spieler der Lausitzer Füchse freuen sich nach Spielende über ihren Sieg.
Spieler der Lausitzer Füchse freuen sich über einen Sieg. © picture alliance / bild pressehaus / Bild-Pressehaus
Von Stefan Osterhaus · 03.01.2021
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Mit 25 Meistertiteln war Dynamo Weißwasser in der DDR eine Eishockey-Legende. Heute heißt der Klub Lausitzer Füchse und spielt in der 2. Liga. Für die Menschen in der vom Strukturwandel geplagten Lausitz ist er mehr als nur ein Sportverein.
Nicht weit vom Stadtrand von Weißwasser liegt der Braunsteich. Das stille Gewässer ist gut einen Kilometer lang, 44 Hektar Fläche hat es. Aber was noch viel wichtiger ist: Es ist nicht sonderlich tief. Damals, als die Winter noch härter waren, war der Braunsteich Jahr für Jahr zugefroren, ein Gewässer von großer Bedeutung, wie Dirk Rohrbach erklärt, der Geschäftsführer der Lausitzer Füchse. Der Hockey-Zweitligist ist eine Legende. Als SG – Sportgemeinschaft – Dynamo Weißwasser war der Verein Serienmeister der DDR.
An diesem Herbsttag steht Dirk Rohrbach am Braunsteich, wo die Geschichte seines Vereins begann:

"Hier vorn am Anfang des Braunsteiches sind die Anfänge gewesen. Da haben sich die ‚Jungs von der Osramstraße‘ immer getroffen und sind dann gemeinsam aufs Eis gegangen. Und wenn sie mal eine Stunde auf dem Eis waren und es war viel Schnee, haben sie halt die Banden nach hinten verschoben, zum nächstbesseren Platz. Und dann sind sie wieder weiter auf dem Eis der Scheibe hinterhergejagt. Ist auch nostalgisch, wenn man das sieht, und die Besucher, das sieht man auf den älteren Bildern auch, wie die auf dem Hang gestanden haben."

Trainieren auf dem Teich

Rohrbachs Familiengeschichte ist so eng mit dem Verein verbunden, wie es nur möglich ist:

"Mein Opa hat bei Osram gearbeitet, und die ‚Jungs von der Osramstraße’ haben sich dann hier getroffen. Und mein Opa hat – ich sag mal – Entfernung von hier: Da reden wir von 600, 700 Metern, und das war natürlich für ihn wie ein Heimspiel. Und da ist er natürlich gern hierher Richtung Braunsteich gelaufen, mit seinen Schlittschuhen, mit seinem Schläger.
So hat seine Begeisterung für Eishockey angefangen. Das war ja eigentlich noch vor der Gründung 1932, am 15. Dezember. Das war so Ende der 1920er-Jahre, wo sie sich zum ersten Mal hier getroffen haben und auch regelmäßig. Dann sind sie immer besser geworden und haben gesagt: Mensch, die Nachbarstädte aus Spremberg oder andere Orte, die spielen organisiert. Das wollten sie dann auch machen und deshalb haben sie sich entschlossen, am 15. Dezember den Verein Eishockey Weißwasser zu gründen."

Die "Jungs von der Osramstraße": Das ist ein bekannter Begriff in Weißwasser. Er verweist auf die tiefen Wurzeln des Eishockeyteams in einer Gegend mit Industrietradition. Früher einmal wurde in Weißwasser Glas produziert, in den Fabrikhallen an der Osramstraße. Eine Industrie, die es so nicht mehr gibt.
Aber den Klub gibt es noch, und er spielt jetzt in der 2. Liga.
Einer, der die "Jungs von der Osramstraße" noch erlebt hat, ist Klaus Hirche, Weißwassers legendärer Torhüter.
Elf Mal wurde er Meister mit dem Klub, bekannt wurde er auch, weil er zu den ersten Torhütern in Europa gehörte, die mit einer Maske spielten. Die "Schwarze Maske", so wurde Hirche genannt.
Dirk Rohrbach, Geschäftsführer der Lausitzer Füchse, steht am Braunsteich in Weißwasser. 
Dirk Rohrbach, Geschäftsführer der Lausitzer Füchse, steht am Braunsteich in Weißwasser/Oberlausitz in Sachsen, wo die Geschichte des Vereins begann.© Deutschlandradio / Stefan Osterhaus

Eishockeybegeisterung erfasste die ganze Stadt

Als Kind war er fasziniert von den Eishockeyspielern, die wegen ihrer frühen Erfolge gefeiert wurden. Und er wollte ihnen nacheifern, den Cracks vom Braunsteich:

"Die kamen mit dem Zug von einem Meisterschaftsspiel. Wahrscheinlich von Crimmitschau hier nach Weißwasser zurück und wurden von Weißwasser euphorisch empfangen. Und wir Kinder natürlich in erster Reihe. Und diese Stimmung, dieses Dabei-sein-Wollen, also auch wir Kinder.
Wir haben gesehen, wie die Männermannschaft empfangen wurde. Wir haben gewartet, bis der Zug kam. Dann kam der, dann wurde vor dem Bahnhof eine Festrede gehalten. Also, da war eine Begeisterung, die ist eben übergeschwappt, auch auf uns Kinder, dass wir auch mal zu so einer Mannschaft gehören wollten, die so gefeiert wird. Das war für uns was Unwahrscheinliches, so ein kleiner Ort."
Heute ist Hirches Name untrennbar mit dem Klub verbunden, dem er nicht nur als Spieler, sondern auch als Trainer zur Verfügung stand. Auch gehört Hirche zu den Autoren eines Buches über die Lausitzer Füchse, die zu DDR-Zeiten, wie gesagt, Dynamo Weißwasser hießen.

Auch Dirk Rohrbach, der Geschäftsführer, kennt die Eishockeygeschichte der Stadt in- und auswendig: "Ich habe 15 Jahre selber aktiv gespielt. Bin im Vorstand seit 2003 vom Eissport, jetzt agiere ich als Beiratsvorsitzender. Ich war ja sieben Jahre Cheftrainer gewesen. Bin im Stadtrat, was natürlich auch wichtig ist. Sport ist immer auch ein Politikum.
Klaus Hirche, legendärer Torhüter der Lausitzer Füchse, mit der schwarzen Maske, mit der er spielte.
Wurde "Schwarze Maske" genannt: der legendäre Torhüter der Lausitzer Füchse, Klaus Hirche. Er spielte als einer der ersten in Europa mit einer Maske.© Deutschlandradio / Stefan Osterhaus
Und deshalb ist es auch wichtig, dass ich da meine Stimme erhebe, um das hier weiter aufrechtzuerhalten. Und jetzt, seit mittlerweile viereinhalb Jahren, bin ich Geschäftsführer der Lausitzer Füchse. Also alle Facetten miterlebt. Und das ist natürlich meine Leidenschaft, ist mein Herzblut, also eher mein Wohnzimmer."

Schon der zweite Strukturwandel

Wenn Rohrbach vom Sport als Politikum spricht, dann hat das seinen Grund: Denn Weißwasser ist ein besonderer Ort. Er liegt nahe der polnischen Grenze in der Lausitz und ist vor allem dadurch immer wieder in den Medien, dass die Stadt seit der Wende mehr als die Hälfte ihrer Einwohner verloren hat.
Die Region lebt vor allem von der Braunkohle. Strukturwandel: Das ist ein Wort, das hier eher Angst macht.
Denn 2038 geht die Braunkohle vom Netz. Noch immer sichert sie viele Arbeitsplätze. Und die Menschen haben schon einmal erlebt, wie es ist, wenn ein Industriezweig abgewickelt wird.

Torsten Pötzsch ist Bürgermeister in Weißwasser. Er vermag die Geschichte vom Niedergang des Industriestandorts sehr anschaulich zu erzählen:
"Nach der politischen Wende kamen eben Investoren hierher, die erst mal zum einen die Glasindustrie kaputtgemacht haben. Zum anderen wurde der Konzern, der die Braunkohle hier produziert hat, Veag damals, neu aufgestellt, und dadurch sind Tausende Arbeitsplätze verloren gegangen. Im Kraftwerk Boxberg vor den Toren von Weißwasser und im Tagebau. Und auf der anderen Seite eben die Glasindustrie, wo die Konkurrenz ausgeschaltet worden ist. So muss man es sagen.
Also, es wurde bisschen scheinbar investiert, aber nach paar Jahren war das erledigt gewesen. Und dass eben nur noch eine Glashütte da ist, das ist eben das Tragische. Und dass dann die Menschen, das Humankapital, mit den Firmen sozusagen in die Altbundesländer gegangen sind."
Die Auswirkungen waren dramatisch. Es waren vor allem die Jungen, die gingen.

Seit 1990 die Hälfte der Einwohner verloren

Das Image, das Weißwasser lange anhaftete, will Pötzsch korrigieren. Sein Amt als Bürgermeister hat er für die Wählervereinigung "Klartext" gewonnen, einem Bündnis freier Wähler, dem auch Füchse-Geschäftsführer Dirk Rohrbach angehört. Dabei sind die politischen Wettbewerbsbedingungen keineswegs einfach in der Oberlausitz. Ein knappes Viertel der Wähler stimmte für die AfD. Die hat Pötzsch in der Lokalpolitik als stetes Hemmnis erlebt.
Sicher, viele Leute sind unzufrieden in der Lausitz. Dirk Rohrbach kann zwar die Gründe nachvollziehen. Doch er wendet ein:

"Wir sind eine Kohleregion, wo natürlich auch zu DDR-Zeiten sehr gutes Geld verdient worden ist und natürlich auch eine gute Lebensqualität da war. Und das war natürlich dann irgendwo weggebrochen. Das Fundament ist weggebrochen, viele Arbeitslose – eine hohe Arbeitslosigkeit ist dann gewesen, Anfang der 90er. Und das hat natürlich dann die Folge gehabt, dass Menschen unzufrieden waren und versucht haben, ich sage mal, diese gewisse jammerige Art auch zu haben.
Das ist aber nicht mein Ansatz und nicht mein Ansinnen. Weil ich sage: Uns könnte es immer besser gehen, wenn ich dann die anderen Standorte vergleiche – wie viel Personal die schon haben. Aber das ist nicht die Art von mir, weil, ich bin immer Optimist und auch ein Visionär. Ich möchte hier noch mehr schaffen und erreichen."
Jammerig: Auch Torsten Pötzsch kann darüber viel erzählen. Natürlich weiß er, dass die Fakten auf den ersten Blick nicht unbedingt dafür sprechen, Weißwasser zur Boomtown zu erklären. Seit der Wende hat die Stadt mehr als die Hälfte ihrer Einwohner verloren.
38.000 waren es einmal, die vor allem der Arbeit wegen hierhergekommen waren. "Die Wahrnehmung der Stadt und der Region in den Medien war vor 12 bis 15, 16 Jahren extrem negativ. Also, da wurde von sterbender Stadt geredet, von der Rentnerstadt, von der Stadt der Verlierer. Und dass viele eben ihr Heil woanders gesucht haben. Aber auch, auf der anderen Seite: Wenn man über die Jugend geschrieben hat, dann klingt es so, als ob sie alles verloren hätten. Also, wirklich eine Lethargie und eine Trostlosigkeit wurden dargestellt, und das war schon ein bisschen hart."

Aber immerhin gehe es aufwärts. Die Arbeitslosenquote ist gesunken, von damals über zwanzig auf heute acht Prozent. Nun gelte es, die Region auf den Tag vorzubereiten, an dem die Braunkohle, die einen Großteil der Menschen in der Region ernährt, vom Netz geht. Lobbyarbeit ist dafür notwendig. In den letzten Jahren war Pötzsch auch häufig in Brüssel. Ebenso wichtig ist der Draht zur Staatskanzlei in Dresden.
Torsten Pötzsch, Oberbürgermeister von Weißwasser/Oberlausitz in Sachsen
Den Strukturwandel weg von der Kohle gestalten: Das ist die Aufgabe von Weißwassers Oberbürgermeister Torsten Pötzsch.© Deutschlandradio / Stefan Osterhaus

Gute Werbung für die Stadt

Den Wandel gestalten: Das ist die Aufgabe des Lokalpolitikers. Aber es ist genauso eine für den Sportmanager Rohrbach. Die Füchse sind so eng mit Weißwasser verbunden, dass man sie fast als ein Synonym für die Stadt ansehen kann. Zwar spielen sie nicht in der 1. Liga, aber sie sind alles andere als ein gewöhnlicher Zweitligist. 25 Mal war der Verein in der DDR Eishockey-Meister. In Eishockeykreisen weit über Deutschland hinaus kennt man den Namen Weißwasser – Bela Voda, wie es in der Sprache der Sorben heißt, der einzigen nationalen Minderheit, die es in Deutschland noch gibt und die in der Lausitz zu Hause ist.
"Wir sind dieses Aushängeschild schlechthin", sagt Dirk Rohrbach. "Wir haben pro Jahr 80.000, 85.000 Besucher, die von nah und fern kommen. Und wir sind der Mittelpunkt des Sports hier in der Region. Und das ist natürlich Weißwasser, die Stadt, die jetzt noch 16.000 Einwohner hat. Das Herzstück ist das Eishockey hier. Weißwasser ist natürlich auch deutschlandweit bekannt durch den Eishockeysport. Und wenn man weiß: Okay, Lausitzer Füchse in Verbindung mit der Stadt Weißwasser. Das ist für die Stadt… ich sag mal: Mehr Werbung geht gar nicht."
Werbung für die gesamte Region: Das ist die Mission, der sich Rohrbach verschrieben hat. Dazu gehört auch, in das eigene Marketing zu investieren:
"Also wir geben auch sehr viel Geld für unsere eigene Vermarktung aus, weil wir das benötigen, weil wir einfach sagen, wir müssen präsent sein. Wir müssen hier natürlich auch Flagge zeigen. Und wir haben diese Möglichkeit, diesen Spielraum. Wir wollen ja nicht nur in der Lausitz bekannt sein, sondern auch über die Ländergrenzen hinaus", sagt Rohrbach.

Die kleinste Liga der Welt

Wer die Füchse besucht, der zweifelt daran nicht. Die neue Eisarena von Weißwasser wurde 2013 eröffnet und bietet Platz für 3000 Menschen. Der Fanshop ist erstligatauglich, die Präsentation ist durch und durch professionell. Um nicht nur Fans in der Stadt anzusprechen, hat der Klub den Namen geändert:
"Ich denke, das war 2003 eine richtige und gute Entscheidung, dass wir natürlich die Lausitz mitgenommen haben. Erst mal auch die Sponsoren, die natürlich zum Großteil aus der Lausitz kommen – und sich damit auch selber angesprochen gefühlt haben. Aber auch die Fans, die von nah und fern aus der ganzen Region kommen, aus der Lausitz kommen. Und deshalb war es für mich auch wichtig gewesen, das umzubenennen in Lausitzer Füchse. Im Logo ist ja Weißwasser noch drin, also die Stadt selber. Aber jeder verbindet Lausitzer Füchse natürlich mit der Stadt Weißwasser", sagt Dirk Rohrbach.
Die Eisarena in Weißwasser im Jahr 2014 bei einem Eishockey-Länderspiel der Männer Deutschland gegen Frankreich
Durch und durch professionelle Präsentation: Die 2013 eröffnete Eisarena von Weißwasser - hier bei einem Länderspiel 2014.© picture alliance / dpa / Thomas Eisenhuth
Wer nach Weißwasser reist, dem begegnet der Klub schon an der Stadtgrenze – und zwar unübersehbar: Über die Fassade eines Plattenbaus erstreckt sich die dreidimensionale Darstellung eines Eishockeyspielers in moderner Spielerkluft. Als Untergrund dient das historische Foto, das die "Jungs von der Osramstraße" auf dem Braunsteich beim Spiel zeigt. Die Fassadenaufschrift lautet: "Hockeytown!"
Und "Hockeytown" ist ein einzigartiger Eishockeystandort. Vermarkten lässt er sich gut. Denn es gibt nicht nur einen imposanten Schrank voller Trophäen. Die Geschichte des Klubs ist so besonders. Die DDR-Meisterschaft, die Weißwasser 25 Mal gewann, war ein Unikum: Es war die kleinste Liga der Welt – mit nur zwei Mannschaften.
Anfang der 1970er-Jahre beschlossen die Sportfunktionäre der DDR, nur noch Sportarten zu fördern, die besonders medaillenträchtig waren.
Das Eishockey stand vor dem Aus. Nicht nur galten die Cracks aus Kanada und Russland als schwer erreichbar – Eishockey war zudem schon der Ausrüstungen wegen extrem teuer.

Stasi-Chef Mielke setzte sich für Eishockey ein

Doch es gab auch Unterstützung. Ausgerechnet Stasi-Chef Erich Mielke setzte sich für den Sport ein – in Berlin und in Weißwasser. So spielten sie gegeneinander, jahrein, jahraus. Die Gegenspieler kannten sich in- und auswendig. Und doch waren die Duelle eine äußerst heikle Angelegenheit.
Denn für die Sportler ging es nicht nur um den Titel, wie Klaus Hirche, der ehemalige Torwart, erklärt:

"Es waren praktisch zwei Nationalmannschaften. Also zwei schwächere Nationalmannschaften, aus denen musste dann eine einheitliche gebildet werden. Diese Spiele waren immer eine Qualifizierung, dass du in die Nationalmannschaft kommst oder deinen Platz einbüßt gegen einen, der dich schlägt.
Und wir haben dadurch, dass eben wenige leistungsstarke Mannschaften in der DDR noch vorhanden waren, weil wir nur noch zwei waren, die leistungssportlich gefördert wurden, haben wir viele Spiele im Ausland gemacht. Finnland, Norwegen, in der Sowjetunion, in der CSSR. Das war auch ein gewisser Vorteil für uns Sportler. Wir haben dadurch viel gesehen."
Auch Dirk Rohrbach hat miterlebt, wie brisant es zuging, wenn die beiden Klubs aufeinandertrafen. Es war ein Reiz großer Derbys:

"Das war Hauptstadt gegen Provinz. Und hier waren teilweise bis zu 14.000 Besucher gegen Berlin im Wilhelm-Pieck-Kunsteisstadion. Und da war natürlich eine Euphorie. Da waren teilweise Sperrstunden. Wenn wir gewonnen haben, die Meisterschaft feiern durften, wurde die Sperrstunde aufgehoben. Und so bin ich auch zum Eishockey gekommen. Natürlich zuerst als kleiner Bub auf dem Eis gewesen mit drei Jahren, bin mit fünf Jahren dann zu Dynamo gekommen, habe die ganze Entwicklung miterleben dürfen. Und bin dann 1991/92 Profi geworden."
Erfolgreich war gleich das erste Jahr für den Profi Rohrbach. Weißwasser hielt die Klasse, stieg allerdings freiwillig in die 2. Liga ab. Schon damals zeichnete sich ab, dass es ohne einen großen Sponsor nicht gehen würde.
Ein Abstieg aus Vernunftgründen also. Und aus einer späteren Fusion mit dem Eishockeyklub aus Chemnitz verabschiedete sich Weißwasser schnell, weil sich die Gewichte Richtung Chemnitz zu verschieben drohten.

Ein Leuchtturm in der Region

Es ging und geht Rohrbach und den Mitstreitern vor allem darum, die Identität zu bewahren. Und weil der Klub noch immer keinen Großsponsor hat, besorgt Rohrbach die Suche nach Unterstützern aus der Region selber. 198 sind es, so Rohrbach:
"Mittlerweile reden wir von knapp zwei Millionen Euro, die wir von Sponsoren bekommen, um hier konkurrenzfähig zu sein in der 2. Liga, um natürlich auch ein professionelles Umfeld zu haben. Und wir merken ja auch bei den Spielern, die hier sind, entweder ausländische Spieler oder die aus anderen Regionen Deutschlands kommen, wie Eishockey hier gelebt wird.
Das ist für uns das Wichtigste, dass wir die Unterstützung erfahren, dass wir Partner an der Seite haben, langjährige Partner, die sicherlich nicht unbedingt mit ihrer Werbung partizipieren. Aber die sagen: ‚Wir wollen die Tradition des Eishockeys hier in Weißwasser weiter fortführen.’ Und deshalb bekommen wir auch die Gelder von unseren Partnern. Und mit einem Etat von cirka drei Millionen Euro sind wir schon auf einer ganz guten Seite."
Drei Millionen Euro, davon zwei Millionen mithilfe von Sponsoren aus der Gegend – und das in einer recht strukturschwachen Region, sagt Rohrbach:
"Wenn man vergleicht, die Standorte in der DEL 2, ob es Frankfurt, Kassel oder Ravensburg sind, sind Standorte im Speckgürtel der Wirtschaft. Da haben wir es natürlich schwieriger. Aber wir sind Traditionsklub und ein Leuchtturm der Region. Und deshalb sehen wir das eigentlich optimistisch, auch in der nahen Zukunft."
Denn Tradition garantiert im Profibereich gar nichts. Ein Blick auf die Traditionsklubs im Westen genügt. Füssen, der westdeutsche Rekordchampion der Nachkriegszeit, dümpelt ambitionslos in der 3. Liga vor sich hin, wie Riessersee, ebenfalls ein mittlerweile drittklassiger Meister aus Bayern.

Das Flair eines Traditionsstandortes

Rohrbach hingegen setzt auf den regionalen Zusammenhalt. Und weil in Weißwasser Hockey eben an erster Stelle steht, gelingt es ihm auch, internationale Kräfte zu gewinnen. Da ist das Flair als Traditionsstandort ein Argument. "Ich denke schon, dass das für sie wichtig ist, dass sie diesen Sport leben können", sagt Dirk Rohrbach.
Dreidimensionale Darstellung eines Eishockeyspielers in moderner Spielerkluft an einer Hausfassade in Weißwasser. Als Untergrund dient das historische Foto, das die "Jungs von der Osramstrasse" auf dem Braunsteich beim Spiel zeigt. Die Fassadenaufschrift lautet: "Hockeytown"
Nahe der Stadtgrenze von Weißwasser: "Hockeytown" an einer Hausfassade.© Deutschlandradio / Stefan Osterhaus
"Und ich denke, das spielt jetzt nicht so die große Rolle, dass wir jetzt nur eine Kleinstadt sind, dass wir kein Theater, kein Kino haben, weil ich meine: Wir haben in der Nähe auch Möglichkeiten, im ländlichen Raum, ich sage mal, ordentlich zu leben. Und viele ausländische Spieler kommen auch aus Städten, die nicht allzu groß sind. Und deshalb haben die damit kein Problem."
Weißwasser und die Lebensqualität: Das ist im Grunde das Feld, das sowohl Füchse-Chef Rohrbach als auch Bürgermeister Torsten Pötzsch gemeinsam beackern. Beide betonen, dass diese Lebensqualität in Weißwasser weit besser sei als der Ruf der Stadt. Zumal Weißwasser enorm viel für die Stadtentwicklung aufgewendet hat – allerdings unter anderen Vorzeichen.
Um ein behaglicheres Milieu zu schaffen, wurde die Stadt räumlich verkleinert, wie Torsten Pötzsch erklärt: "Durch den Wegzug der Bevölkerung gab es natürlich dann auch einen extremen Leerstand, vor allen Dingen in den Plattenbauten. Und wir haben dann begonnen, erst mal flächenhaft ganze Stadtteile zurückzubauen. Das war betriebswirtschaftlich ziemlich hart gewesen, weil es der letzte Stadtteil gewesen ist, der neu zur Stadt dazugekommen ist. Also betriebswirtschaftlich schon hart. Aber es war richtig, die Stadt von außen nach innen wieder zu bauen."

"Hier bestehen noch Möglichkeitsräume"

Der Zustand der Bauten ist gut. Und die Stadtverkleinerung stößt auch international auf Interesse. Immer wieder begrüßt die Bürgermeister Studenten aus dem Ausland, die einmal Stadtplaner werden wollen. Welche aus New York waren schon da, auch aus Japan. Auch dort kennt man das Problem einer alternden Gesellschaft.
Zudem wirbt der Bürgermeister um Rückkehrer. Und freut sich über Besucher, die ihm bescheinigen, dass sie die Stadt mit positiven Eindrücken verlassen:

"Das merken wir vielfach auch durch die Menschen, die herziehen oder zurückkommen, dass die diese Wahrnehmung haben, dass die sagen: Mann, hier bestehen noch Möglichkeitsräume. Hier kann ich mich vielleicht noch ausleben. Hier finde ich Möglichkeiten, was Neues zu machen beziehungsweise meine Dinge umzusetzen, die ich im Kopf habe. Und hier ist sozusagen noch nicht alles fertig."
Die Wege sind kurz in Weißwasser. Von der Eishockeyhalle zum Rathaus sind es kaum fünf Minuten Autofahrt, nicht länger braucht es, bis man bei Sebastian Krüger ist. Er ist der Leiter des Soziokulturellen Zentrums. Vor der Pandemie ein beliebter Veranstaltungsort. Krüger, der Bürgermeister Torsten Pötsch und auch Dirk Rohrbach stehen im engen Kontakt. Sie kennen sich nicht nur. Sie arbeiten zusammen.
Krüger führt über das Industrieareal. Backsteinbauten, gut erhalten, die früher die Glasindustrie beherbergten:

"Im Augenblick stellt es sich so dar, dass wir aus den zahlreichen ehemaligen Glas verarbeitenden Hütten hier in Weißwasser nur mehr eine größere Firma übrig haben, und dass ist Stölzle-Glas, mit der Gebrauchsglas-Herstellung. Ansonsten ist von den Überbleibseln der Weißwasseraner Glasindustrie nunmehr die Hülle übrig geblieben. An einigen Orten nicht mal mehr das. Und die Einheit beziehungsweise das Gelände der Telux jetzt ist einer der großen Zeitzeugen, zumindest von der Architektur, die aus dieser Glas verarbeitenden Vergangenheit noch bis heute Bestand hat."

Billiges Bauen und Wohnen

Das Areal bietet Platz. Nicht nur für Kultur, sondern auch für die Ansiedlung von Unternehmen. Ein paar sind schon hier, sagt Krüger:

"Es soll in einen Dreiklang münden. Das heißt Kultur, neue Wirtschaft und Wohnen. Und somit soll dieses Gelände auch exemplarisch für etwas stehen, was auch in Weißwasser und für die gesamte Lausitz eine Zukunftsperspektive darstellen soll, nämlich das Nutzen vorhandener Flächen für neue Perspektiven auch in wirtschaftlicher Richtung."
Entwicklungen, die sicher noch eine Weile dauern werden. Krüger betont die guten Bedingungen, das billige Bauland, den Wohnraum.
Allerdings hat gerade dieser Ort eine ganz spezielle Geschichte, die ihn mit dem Eishockey verbindet, sagt Krüger:

"Wir befinden uns hier auf dem Gelände des ehemaligen Spezialglas-Werkes Einheit, oder an den Osram-Werken. Das ist eines der ehemaligen Spezialglas-Werke, von denen es einige in Weißwasser gab. Und es ist ein Ausgangspunkt, unter anderem für den Eissport in Weißwasser. Denn die sogenannten Jungs von der Osramstraße haben sich damals mit dem Turnerverband 1932 zur ersten Eishockey-Mannschaft von Weißwasser zusammengeschlossen. Und von dort aus ging die lange Historie des Eissports in Weißwasser aus."
Die "Jungs von der Osramstraße": Von hier aus war es nur ein kurzer Fußweg zum Braunsteich, dem Gewässer, auf dem die Spieler die ersten Titel feierten. Hier schließt sich der Kreis. Und hier treffen sich Pötzsch, Rohrbach und Krüger, die alle optimistisch in die Zukunft der einstmals schrumpfenden Stadt blicken.
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