Laura Lichtblau: "Schwarzpulver"

Wo alles Diverse und Renitente bedroht wird

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Das Buchcover von Laura Lichtblau "Schwarzpulver", C.H. Beck, 2020.
"Schwarzpulver" ist eine Dystopie über die Berliner Republik. © C.H. Beck / Deutschlandradio
Von Michael Braun · 20.07.2020
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In diesem Roman riecht es nach Aufstand. "Schwarzpulver", das literarische Debüt der Schriftstellerin Laura Lichtblau, führt uns mitten in einen bürgerkriegsähnlichen Konflikt. Schauplatz der "Wilden Jagd" ist Berlin.
Der Roman liefert die finstere Vision einer politisch stark aufgewühlten Gesellschaft der nahen Zukunft. Als klassischer Explosivstoff für Schusswaffen liefert das Schwarzpulver die große Metapher für den heraufdräuenden Showdown in der Berliner Republik, in der eine rechtspopulistische Partei die Regierungsmacht übernommen hat.
Der "langsam entstehende Aufruhr", den der letzte Satz des Romans beschwört, geht von den jungen Subkulturen der Metropole aus. Denn die neuen Machthaber machen als aggressive Verfechter einer deutschen "Leitkultur" Front gegen alle Aktivisten des Diversen und gegen alle Freunde libertärer Lebenskonzepte.
Im autoritär regierten Berlin agieren nun Bürgerwehren als neue Ordnungsmacht, die alle Verstöße gegen das Wertesystem der patriarchal organisierten Familie scharf sanktionieren. Eine Kommission für Volksgesundheit setzt alle Abweichler von der heterosexuellen Normalität hochnotpeinlichen Befragungen aus, denn alles Aufsässige, Renitente, alle queeren, feministischen und multikulturellen Lebensformen sollen aus dem Stadtbild getilgt werden.

Erzählerische Dystopie

Im Zentrum dieser erzählerischen Dystopie stehen drei Figuren, aus deren Innenperspektive von den Polarisierungen in dieser unschönen neuen Welt des Reaktionären erzählt wird. Da ist Charlotte Venus, die nach dem Scheitern ihrer Lebensträume dem Alkohol verfallen ist und ihr alternatives Milieu hinter sich lässt, um sich von der neuen Regierung zur Präzisionsschützin umschulen zu lassen.
Durch exzessiven Gebrauch des Modeworts "zielführend" will Venus ihre Entschlossenheit munitionieren. Ihr Renitenzbedürfnis ist indes größer als ihre Loyalität gegenüber der neuen Regierung. Als sie im falschen Moment unter Alkoholeinfluss von der Schusswaffe Gebrauch macht, landet sie in der Psychiatrie.

Bedrohte freie Stadtgesellschaft

Ihr Sohn Charlie träumt von einer Karriere bei Musiklabels rund um die Rapper-Szene und verliebt sich in Elisa, die sich Burschi nennt und einen florierenden Internethandel mit fremdem Eigentum betreibt. Elisa ihrerseits entwickelt eine starke Leidenschaft für Johanna, die subversivste Figur des Romans, die als Partisanin gegen das neue Regime kämpft.
In den kalten Berliner Januarnächten spitzt sich die Lage zu – und der Feind, das ist die unübersehbare Botschaft des Romans, steht rechts: "Ich sage dir", erklärt hier Burschi ihrer geliebten Johanna, "dass die Partei keine Frauen mag, die Frauen lieben. Sie mögen keine Anglizismen, kein fremdländisches Essen, keine Menschen, die glücklich sind, sie mögen keinen Hip-Hop, keine Konzerte auf der Straße, keine Menschen, die aus anderen Ländern stammen, keine Familien ohne Kinder, keine Männer mit Lipgloss, keine Frauen mit Glatze, sie mögen keine Frauen, die erfolgreicher als Männer sind…"
An solchen Stellen markiert Laura Lichtblau sehr klar den Impetus ihres Erzählens: Es geht um eine Feier des Diversen, um ein Gruppenbild einer vom reaktionären Rollback bedrohten freien Stadtgesellschaft.

Mitunter etwas grobschlächtige Charakteristiken

Die 1985 in München geborene Schriftstellerin hat bislang hauptsächlich als Autorin für das Magazin "Spex" gearbeitet, das bis vor kurzem das Zentralorgan einer avancierten Pop-Kultur war. Mit "Schwarzpulver" hat Laura Lichtblau nun eine überaus nuancenreiche Darstellung eines neuen Zusammenpralls der Kulturen vorgelegt: Eine Metropolen-Subkultur mit libertären Idealen trifft auf ein repressives Machtsystem der patriarchalen und xenophoben Besitzstandswahrung. Ein Konflikt mit ungewissem Ausgang.
Lichtblaus Erzählverfahren ist nicht durchweg so kühn-innovativ, wie es die Verlagswerbung suggeriert, sondern operiert mitunter auch mit etwas grobschlächtigen Charakteristiken. So etwa, wenn den Repräsentanten der Regierungspartei eine Vorliebe für den Bürstenhaarschnitt zugeschrieben wird. Der absolut lesenswerte Roman wirft indes grelle Schlaglichter auf unsere kulturell polarisierte Gegenwart, in der die Grundregeln des zivilen Zusammenlebens immer häufiger in Frage gestellt werden.

Laura Lichtblau: Schwarzpulver
C.H. Beck, München 2020
202 Seiten, 18,95 Euro

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