Laufend lernen

Schluss mit der "Sitzschule"

23:45 Minuten
Laufband und Ergometer in der Schule.
Gut für Körper und Geist: Laufband und Ergometer im Klassenzimmer. © Caroline Kuban
Von Caroline Kuban · 01.11.2020
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In Bewegung denkt es sich besser - das wussten schon die alten Griechen. Inzwischen hat das Konzept auch Eingang in die Schule gefunden: In der "Bewegten Schule" lernen Schüler, während sie gleichzeitig auf Laufbändern und Ergometern trainieren.
Große Pause auf dem Gelände der sportbetonten Oberschule Ronzelenstraße in einem grünen Vorort Bremens. Auf dem Hof spielen die Jungs Fußball, Teenager in Kapuzenjacken, schmalen Jeans und Sneakers schlurfen durch die Gänge. Von außen deutet nichts darauf hin, dass in den rot-weißen Zweckbauten ein unkonventioneller Wind weht. Bis man die Klasse 9b betritt.
Der 14-jährige Kerem sitzt auf einem Ergometer an der Seite des Klassenraumes und tritt kräftig in die Pedale. Derzeit muss er das mit Maske tun. Gleichzeitig schreibt er in sein Heft, das auf einem integrierten Pult direkt vor ihm liegt. Seine Mitschülerin Aliyah sitzt neben ihm auf einem Stuhl und diktiert.
"Wir probieren hier, unsere Fehlerschwerpunkte zu finden, und deshalb schreibt man die Worte immer wieder", erklärt Aliyah. "Weil, das sind Wörter, wo man oft Fehler macht, zum Beispiel Groß- und Kleinschreibung oder das Dehnungs-H und so."

Gut für Konzentration und Stressabbau

Am Anfang sei es schon komisch gewesen, zu treten und zu schreiben, sagt Kerem. "Aber mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Und es macht mir auch echt Spaß, auch in den Pausen. Wenn ich hier manchmal reinkomme, trete ich manchmal. Klar, wenn ich mich richtig konzentrieren soll, zum Beispiel beim Test, dann sitze ich schon am Platz. Aber wenn ich solche Aufgaben mache, dann sitz ich gerne auf dem Ergometer."
Denn es hilft ihm bei der Konzentration und beim Stressabbau, sagt Kerem. Aliyah dagegen setzt sich nicht ganz so gern aufs Ergometer:
"Eher seltener als die Jungs, die machen ja immer gerne Sport. Also die Lehrer müssen die Mädchen immer schon ein bisschen antreiben, um die da drauf zu bekommen, aber manchmal mach ich’s auch."
Die ursprüngliche Idee zur Ergometer-Klasse stammt aus Wien, wo 2007 der österreichische Sportwissenschaftler Martin Jorde das erste Projekt dieser Art umsetzte. Als erste Schule in Deutschland folgte 2016 ein Gymnasium in Aschaffenburg mit einer ähnlichen Initiative.
Harald Wolf, Leistungssport-Koordinator der Bremer Oberschule, hörte davon in seinem Österreich-Urlaub und war begeistert vom Konzept des "bewegten Lernens". Als ihn kurz darauf auch noch eine Bremer Kollegin auf das an vielen österreichischen Schulen bereits etablierte Projekt ansprach, kam das Rad ins Rollen: Wolf überzeugte einen Sportgeräte-Hersteller, drei Heimtrainer zur Probe in einer Klasse aufzustellen. Das Projekt schlug ein und wächst und gedeiht bis zum heutigen Tag. 28 Ergometer sind mittlerweile an der Bremer Schule im Einsatz, doppelt so viele sollen es mal werden.
Finanziert wird das Ganze mit Hilfe von Fördervereinen und Stiftungen. Schließlich kostet ein Gerät mit integriertem Schreibtisch zwischen 800 und 1000 Euro. Gerade an dieser Schule sollte Lernen und Bewegung verknüpft und sichtbar gemacht werden, ist Sportlehrer Wolf überzeugt. Die Schüler seien ruhiger, konzentrierter. Und auch das Sozialverhalten ändere sich:
"Über Bewegung – das stelle ich in meinem eigenen Sportunterricht fest – kann ich ganz schnell Barrieren abbauen. Man kommt einfach ins Gespräch, weil man sich mit dem anderen auseinandersetzen muss. Insofern haben wir über dieses Angebot der Bewegung im Kern eine sehr hohe Akzeptanz auch in der Elternschaft."

In jedem Unterrichtsfach ist Bewegung möglich

Als sportbetonte Schule hat die Bremer Oberschule in den vergangenen Jahren schon viele erfolgreiche Leistungssportler hervorgebracht. Zum Beispiel Schwimmsportler Florian Wellbrock, 2019 Weltmeister über 1500 Meter Freistil und im 10-Kilometer-Freiwasserschwimmen, und die Rhythmische Sportgymnastin Julia Stavickaja, Teilnehmerin bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio. Aktuell bewirbt sich die Bremer Oberschule um das Prädikat "Eliteschule des Sports". Bewegtes Lernen sollte neben dem Sport schon im Grundschulalter beginnen, findet Harald Wolf:
"Wir bräuchten gemeinsame Aktionen, dass Bewegung einen ganz anderen Akzent bekommt. Dass Bewegung in jedem Unterrichtsfach gemacht werden kann. Ich kann durch Ecken rechnen, durch andere Organisationsformen, weg von der rein sitzenden Tätigkeit. Ich kann auch dort bewegt fächerspezifisch Aufgaben thematisieren, dass Schüler eben nicht auf dem Platz verharren, sondern sich dann arrangieren müssen: "Stadt, Land, Fluss" zu spielen, oder man bewegt sich dabei, man wirft sich den Würfel zu, man stellt sich hinten an. Das wäre meine Vision, dass man Bewegung und Lernen ganz selbstverständlich miteinander verbindet."
Die Ergometerklassen sollen dazu beitragen, die drei Säulen Lernen, Bewegen und Sport noch besser zu vernetzen. Ziel sei, so viel Bewegung wie möglich in den Schulalltag zu integrieren, damit möglichst viele daran teilhaben können, sagt Wolf. Das komme auch bei den Inklusionsschülern gut an. Sie fühlten sich wertgeschätzt, weil sie Teil des normalen Prozesses seien und wie alle anderen auch die Ergometer benutzen könnten. So funktioniert es auch in der 9b. Zwei Räume stehen den 23 Schülern zur Verfügung, drei Ergometer und ein Laufband sind permanent in Gebrauch.

Radelnd Rechtschreibübungen machen

"Als Sonderschullehrer ist es für mich auch toll gewesen, weil ich ja mit Kindern auch zusammenarbeite, die sich jetzt nicht den ganzen Schultag lang mit Lesen, Schreiben beschäftigen können. Die haben dafür aber manchmal auch motorische Probleme, und da ist so ein Fahrrad im Klassenzimmer toll gewesen. Es gibt Schüler, die haben hier richtig Fahrradfahren gelernt mit den Ergometern."
Sonderpädagoge Dirk Baumgartner hat schon früher positive Erfahrungen mit Ergometern gemacht. Als er seine Stelle an der Bremer Oberschule in der Ronzelenstraße antrat, brachte er seinen privaten Heimtrainer von zu Hause mit. Die Sportgeräte vereinfachen ihm den Schulalltag, sagt er:
"Wir merken natürlich, wenn ein Schüler nicht mehr in der Lage ist zuzuhören, dann fangen die an, was anderes zu machen. Die klopfen mit dem Stift, fangen an zu kippeln, die fangen an zu reden, laufen hin und her und holen sich Arbeitsmaterial. Das ist natürlich besser geworden durch die Ergometer, weil man da eine Hilfestellung hat, kann man anbieten, und das nutzen die."
Zum Beispiel der 14-jährige Bjarne Klepsch. Er gehört zu denen, die sich als erste melden, wenn die Klassenleitung nach Interessierten fragt. Ihm tue es gut, sich auszupowern, sagt Bjarne, während er auf dem Ergometer radelnd Rechtschreibübungen durcharbeitet:
"Wenn man in den Pausen nicht genug Sport gemacht hat oder denn noch ein bisschen hibbelig ist, kann man hier eigentlich immer ganz gut draufgehen im Unterricht. Ich find das abwechslungsreich, nicht so langweilig, irgendwas von der Tafel abschreiben, sondern vielleicht nebenbei bisschen Sport machen, was Gutes tun!"

So geht es auch Younes Omari. Er könne sich normalerweise gut konzentrieren im Unterricht und brauche das nicht so oft. Aber er gehe gerne mal auf das Laufband, um nicht immer nur zu sitzen und ein bisschen Abwechslung zu haben, so der 14-Jährige:
"Man muss sich ohne Schuhe draufstellen, und dann kann man hier die Geschwindigkeit einstellen. Und wenn man aufhört, kann man ‚Stop‘ sagen, und hier ist so ein Sicherheitsband drin, was man ins Ergometer reinstecken muss. Man sollte eigentlich die Klammer an der Kleidung befestigen, aber die meisten machen das nicht. Das ist, falls es zu schnell werden würde, würde ich jetzt hier so weggehen, hält es an, wenn der Chip rausfällt. Dann stellt man auf Start, dann können wir das auf maximal 2,6 stellen, und dann können wir beim Laufen arbeiten."
Auch Finja Rohde bevorzugt das Laufband:
"Es macht einen halt locker, man ist nicht so auf sein Buch fixiert und hat auch etwas anderes zu tun und läuft halt nebenbei. Wenn man die ganze Zeit nur sitzt und die ganze Zeit nur aufpassen muss, ist es irgendwann anstrengend, vor allem für die Leute, die außerhalb der Schule viel Sport treiben und dann in der Schule mehrere Stunden sitzen müssen."
Ergometer und Laufband in der Schule.
Mädchen nutzen die Geräte oft nicht so gern wie Jungen.© Caroline Kuban

Auch die körperliche Fitness wird besser

Damit jeder mal strampeln oder laufen darf, der Lehrer aber nicht lange überlegen muss, wer gestern schon dran war und es keinen Streit um die Reihenfolge gibt, orientiert sich die Klasse meist an Strichlisten. Manchmal gibt es auch feste Gruppen, oder es geht nach Freundschaften. Nicht immer kann jeder täglich im Sattel sitzen, aber mindestens einmal die Woche sollte es schon sein, sagt Klassenlehrerin Ursula Böning. Vor allem bei Gruppenarbeiten hat sich der Einsatz der Geräte bewährt:
"Wenn wir Phasen haben, in denen die Schüler selbstständig arbeiten, Aufgaben haben, dann dürfen sie sich in beiden Räumen verteilen. Wenn wir ein Thema einführen, dann haben wir die Regelschüler in dem einen Klassenraum, wo auch das Visoboard ist, und die Geräte sind in dem anderen Raum. Da sind wir jetzt gerade so im Neustart und versuchen möglichst viel die Schüler auch in beiden Räumen zu verteilen. Zum einen wollen wir die Inklusionskinder so viel wie möglich dabeihaben, und wir wollen diese Bewegung weiterhin auch integrieren."
Ursula Böning sieht das Projekt nach wie vor als große Bereicherung für den Unterricht:
"Wir haben einen Jungen mit Downsyndrom, der konnte in Klasse 5 gar nicht so treten, das hat er darauf geübt. Oder wir haben einen anderen Förderschüler, der hat sehr viel Übergewicht, der macht da regelmäßig sein Sporttraining. Dafür ist es auch total gut."
Körperliche Fitness ist ein wichtiger Aspekt des Projekts. Trotzdem legt die Schule ihr Hauptaugenmerk auf verbesserte soziale Kompetenz, auf konzentriertes Lernen und ein angenehmeres Miteinander. Und auf fächerübergreifendes Denken: Im Biologieunterricht diskutieren die Schüler der 9b nun schon mal darüber, welche gesunden Lebensmittel sie sich nach dem Radeln und Laufen gönnen dürfen. Den Kilojoule-Verbrauch berechnen sie in Mathematik.

Mehr Konzentrationsfähigkeit und bessere Testergebnisse

Mittlerweile ziehen die positiven Auswirkungen der Ergometerklasse Kreise. Projektleiter Harald Wolf hat nach eigenen Angaben schon mehr als 50 Anfragen von anderen Schulen im gesamten Bundesgebiet beantwortet. Einige von ihnen hätten vergleichbare Projekte auf den Weg gebracht. Und weil es so gut funktioniert, und er "Bewegte Schule" als ganzheitliches Konzept sieht, will Wolf jetzt auch Entspannungstechniken einführen.
"Stressbewältigung Richtung Abitur ist zum Beispiel für Oberstufenschüler ein besonderes Thema, sodass wir einmal im Jahr hier einen Mentalcoach haben, der dieses Thema aufgreift. Stressbewältigung ist eine ganz wichtige Angelegenheit, die wir mit solchen Formen, Achtsamkeitstraining, Yoga, Pilates, thematisieren können. Das gehört für mich auch zum bewegten Unterricht dazu, und wir sind dabei, das in der gymnasialen Oberstufe zu erproben."
Wissenschaftlich untermauert werden die positiven Effekte des Bremer Projekts durch zwei Masterarbeiten. So stellte Stephanie Goddard von der Universität Oldenburg in ihrer Abschlussarbeit fest, dass die Ergometer beim Abbau von Stress helfen können und das soziale Miteinander fördern. Sabrina Pöpping von der Universität Bremen untersuchte in ihrer Arbeit Konzentrationsfähigkeit und Mathematikfähigkeiten der Schüler.
"Dadurch, dass an der Schule Schüler waren, die das Ergometer noch nicht genutzt haben, konnte man gut eine Interventionsstudie machen. Das heißt, wir haben Schüler, die noch unerfahren damit waren, auf dieses Ergometer gesetzt, ein ‚pre posttest‘-Verfahren angewendet, also wir haben sie vor der Ergometernutzung, direkt davor, auf Konzentration und Mathefähigkeiten getestet. Dann hat eine Hälfte der Gruppe, die randomisiert ausgewählt worden sind, das Ergometer genutzt, die andere Gruppe nicht, und am Ende der Unterrichtsstunde wurde ein sehr ähnlicher Test noch einmal gemacht, und dann hat man die Ergebnisse verglichen."
Und diese waren eindeutig, erklärt Sabrina Pöpping, die mittlerweile als Referendarin in Berlin arbeitet.
"Die Studie hat ergeben, dass Schüler, die während des Unterrichts , also während des Lernens, dieses Ergometer benutzen, sowohl in der Konzentrationsfähigkeit als auch bei ihren mathematischen Fähigkeiten eine viel bessere Leistung erzeugen als die Schüler, die das eben nicht benutzt haben."

Die Idee, beim Laufen zu denken und beim Denken zu laufen, ist nicht neu. Schon die alten Griechen wussten vor zweieinhalbtausend Jahren um den unmittelbaren Zusammenhang und die positiven Auswirkungen vom Gehen aufs Denken. Griechische Philosophen wie Platon, Aristoteles und Sokrates erkannten: "Der Geist formt den Körper". Und umgekehrt. So hielt Aristoteles seine philosophische Denkschule ab, indem er mit seinen Schülern in den Wandelhallen Athens umherging. Man nannte die Gruppe deshalb die Peripatetiker, vom griechischen "peripatein", umherwandeln. Wir wissen auch, dass berühmte Dichter wie Goethe oder William Wordsworth im ständigen Auf- und Abgehen ihre besten Werke schufen.
Stillsitzen hemmt geistige Kräfte, Gehen fördert das Denken. Nicht, weil Sauerstoff den Geist erfrischt, oder Umweltreize die Wahrnehmung anregen, sondern aufgrund besonderer Eigenschaften einer bestimmten Region im Gehirn, erklärt Michael Niedeggen, Neuropsychologe an der Freien Universität Berlin. Dabei hätten vor allem langanhaltende körperliche Übungsprogramme positive Effekte auf das Denken:
"Da gibt es vor allem drei Bereiche, die davon profitieren: dass man schneller wird, also die Verarbeitungsgeschwindigkeit wird besser, das Gedächtnis wird besser, man lernt schneller, der Abruf klappt besser, und die exekutiven Funktionen werden besser. Das heißt, man kann besser planen, gerade wenn es mehrschrittige Aktionen sind, die Umstellungsfähigkeit ist besser, insgesamt läuft dann das abstrakte Denken etwas besser."
Altes Bild, das eine Gruppe von Frauen im Britischen Museum zeigt, die im Gehen unterrichtet werden.
Schon Aristoteles wanderte mit seinen Philosophieschülern umher, und auch im 19. Jahrhundert wurden "bewegte" Lektionen abgehalten.© imago stock / United Archives International

"Das macht etwas Messbares im Gehirn"

Das treffe allerdings nur zu, wenn man regelmäßig aerobe, also nicht zu anstrengende Übungen mache, sagt Niedeggen. Wie zum Beispiel entspanntes Gehen oder langsames Radfahren. Und es profitieren dabei vor allem drei Gruppen, nämlich Kinder zwischen 6 und 13 Jahren, Jugendliche zwischen 14 und 17 und Erwachsene über 50, sagt der Neuropsychologe.
"Auf einer zellulären, molekularen Ebene werden da Mechanismen angestoßen, die die Verbindung zwischen den Nerven stabilisieren können. Das sind sogenannte neurotrophe Faktoren, das setzt sich dann fort. Dadurch, dass wir bessere Nervenverbindungen aufbauen können, macht das dann auch etwas Messbares im Gehirn. Und da hat man sich vor allem einen Gehirnbereich angeschaut, der davon profitiert, das ist vor allem der Hippocampus, das ist die Struktur im Gehirn, die ist für die Bildung von Gedächtnis zuständig. Mit zunehmendem Alter wird diese Struktur kleiner, und körperliche Übung scheint diesem Effekt entgegenzuwirken. Der Hippocampus wird gerade bei Älteren nicht so klein, dieser Prozess wird aufgehalten, durch langanhaltende, körperliche Übungen.
Anders sind die Auswirkungen bei jüngeren Menschen:
"Bei Kindern geht’s mehr ins Vorderhirn, im Frontal-Lappen, da werden Verbindungen eher unterstützt, die sich dahin aufbauen. Da haben wir bessere Evidenz, dass diese sogenannte "Weiße Substanz" im Gehirn stabilisiert wird. Dass hier schneller Verbindungen, vermehrt Verbindungen aufgebaut werden."

"Move4Health" - so sollen auch Studierende besser lernen

Ein ungewöhnliches Bild im Hörsaal 1a der Freien Universität Berlin aus Vor-Corona-Zeiten: Etwa 200 Studierende stehen in den aufsteigenden Reihen, beugen ihren Oberkörper nach links und rechts, springen in die Höhe und klatschen in die Hände. Die Bewegungs-Kommandos für den sogenannten Pausen-Express, ein fünf- bis siebenminütiges Sportprogramm, gibt Janine Wegener vom Hochschulsport der Freien Universität.
"Es muss Action passieren, viele Bewegungen sind auch mit Mobilisation oder Koordination verbunden, dass man da auch nochmal die Gehirnareale ansteuert. Wir lassen die Schultern kreisen, den Kopf von links nach rechts, wir probieren, das immer abwechslungsreich zu gestalten, und im Vordergrund stehen wirklich Spaß und Freude an der Bewegung."
"Move4Health" heißt das Projekt der FU Berlin. Das Ziel: Anreize zu schaffen, für mehr Bewegung im Uni-Alltag. Denn Untersuchungen haben ergeben, dass sich Studierende weitaus weniger bewegen, als die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt. Und das sind pro Woche 2 Stunden Ausdauersport und eine halbe Stunde Krafttraining, erklärt Burckhart Gusy, promovierter Psychologe und Gesundheitswissenschaftler:
"Wenn man acht Stunden gesessen hat, hat man schon eine gewisse Einschränkung. Man kann das nicht ausgleichen, indem man abends dann eben sagt, ich geh jetzt nochmal zwei Stunden joggen oder ich mach zwei Stunden Yoga. Man muss die Bewegung häufiger wechseln, also die Bewegungswechsel sind das Wesentliche, das heißt: Aufstehen, was tun, das ist eigentlich das, worum es dabei geht."

Mit Radeln das Handy aufladen

Dieser Meinung ist auch Janet Wagner, Bibliotheksmitarbeiterin im Fachbereich Philologie der Freien Universität. Sie hat ihre Bachelorarbeit über "lernfördernde Angebote am Lernort" geschrieben. Das Resultat war die Anschaffung eines Ergometers. Das steht jetzt in der Leselounge der Bibliothek der Philologen. Vor einem etwas erhöhten Sitz befindet sich eine Schreibtischplatte mit einer Steckdose. Darunter Pedale. Jordan Harris schwingt sich auf den Sitz, nimmt ein Buch in die Hand und fängt an zu treten.
"Ich habe gerade mein Handy eingepluggt, eingestöpselt, ganz entspannt, voll gemütlich, lädt auch schon."
Das ist das Besondere: Mit dem Strom, den man beim Radfahren erzeugt, kann man gleichzeitig den Handy-Akku aufladen. Das Radeln selbst sei etwas gewöhnungsbedürftig, sagt der 21-jährige Biologiestudent.
"Um ehrlich zu sein, finde ich das ein bisschen zu leicht, von der Kraft, die ich hier reinpacken muss, sodass ich mich zu schnell bewegen muss, um entspannt lesen zu können."

Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass sich kurze, leichte Bewegungseinheiten positiv auf Konzentration und Aufmerksamkeit auswirken, sagt Janet Wagner. Skandinavien, Belgien und die Niederlande seien uns deutlich voraus:
"Gerade die skandinavischen Bibliotheken sind da alle schon einen Schritt weiter. Weil sie um die hohe Aufenthaltsdauer pro Tag oder Woche der Lernenden wissen. Das heißt, man geht eigentlich nur zum Essen raus oder um etwas zu trinken, oder man geht mal eine Runde an die Luft, aber sonst sind die hier, stundenlang, und da sollte man mehr anbieten als einen harten Stuhl und einen Einzelarbeitsplatz."
Janet Wagner sitzt auf dem Fahrradergometer in der Philologischen Bibliothek der FU Berlin.
Strampeln, lernen und gleichzeitig das Handy aufladen: Janet Wagner auf dem Fahrradergometer in der Philologischen Bibliothek der FU Berlin.© picture alliance / Freie Universität Berlin / Janet Wagner

Sitzen als gesundheitliches Risiko

Stehpulte, Yogamatten, höhenverstellbare Schreibtische, Fahrräder seien in vielen wissenschaftlichen Bibliotheken Skandinaviens bereits gang und gäbe. Von den positiven Effekten auf Körper und Geist ist auch Susanne Tittlbach überzeugt, Sportwissenschaftlerin an der Uni Bayreuth. Im Rahmen ihres Projekts "Smart Moving" hat die Universität kürzlich ein Laufband angeschafft, das nun in der Zentralbibliothek steht. Auch hier kombiniert mit einer Schreibtischplatte zum Lesen und Arbeiten. Zum Joggen ist das Band allerdings nicht geeignet, betont Susanne Tittlbach:
"Das ist kein Sport-Laufband, auf dem ich renne, sondern das ist ein Laufband, auf dem ich gehe, auf dem ich walke und das ich auch nur durch meine eigenen Schritte antreibe. Es ist keine Elektronik dahinter, das heißt, ich kann auch nicht runterfallen, wenn ich plötzlich stehen bleibe. Wenn ich stehen bleibe, dann bleibt das Band auch stehen, und das gibt eben die Möglichkeit, dass man durch diese automatisierte, langsamere Bewegung nebenher auch lesen kann. Was wohl nicht gut geht, haben mir die Studierenden rückgemeldet, ist, wenn man handschriftlich einen längeren Text schreiben will. Das sind dann zwei motorische Anforderungen, einmal gehen, einmal schreiben, aber lesen und auf dem Notebook Notizen machen, das geht ganz gut."
Dabei ist das Lauf-Band so geräuscharm, dass es in der Bibliothek niemanden stört. Bewegungsmangel sei in unserer Gesellschaft schon lange ein Thema, meint die Sportwissenschaftlerin:
"Man hat jetzt aber in der Forschung gesehen, die sich um die Krankheitsentstehung kümmert, dass auch das Sitzen ein eigenständiger Risikofaktor ist. Also unabhängig von der Bewegung, die ich täglich habe oder wöchentlich, ist es wichtig zu wissen und von Bedeutung: Wie viele Stunden am Tag sitze ich denn, und sitze ich dauerhaft, mache ich Pausen oder mache ich das nicht?"

Lernen ist nicht gleichbedeutend mit Sitzen

Sitzen verringern, Bewegung erhöhen. So könnte Rückenbeschwerden vorgebeugt und die Durchblutung angeregt werden. Dadurch werde mehr Sauerstoff durch den Körper transportiert und das Lernen automatisch effektiver. Das sei noch nicht jedem bewusst. Jeder müsse sich darüber klar werden, dass "Lernen nicht gleich Sitzen" bedeute.
"Es muss wirklich in den Arbeitsalltag integriert werden, ganz regelmäßig und täglich. Langfristig hat man durch diese Erhöhung der Bewegung und die Reduktion der Sitzzeiten, insbesondere der Zeiten, die ich dauerhaft ohne Pause sitze, ich sollte eigentlich alle 30 Minuten meine Sitzhaltung verändern, dann hat man in epidemiologischen Studien gesehen, dass langfristig Effekte auf Vermeidung von Diabetes, Übergewicht und andere Zivilisationskrankheiten möglich sein können."
Neben den beiden Laufbändern sind weitere Elemente des "Smart Moving"-Projekts an der Uni Bayreuth aktive Arbeitsplätze mit Stehmatten, Stehtischen und beweglichen Hockern. Zudem erinnern Markierungen auf dem Campuspflaster die Studierenden, wie viele Schritte sie zurücklegen. 10.000 sollten es am besten schon bis zur Mittagspause sein. Der sogenannte "BeWeg" beginnt an der Mensa und gehört zum sogenannten "Nudging". So nennt sich das Prinzip, dem Menschen kleine Anstupser zu geben, damit er den inneren Schweinehund überlistet und zu einem gesünderen Verhalten verführt wird. Der "BeWeg", die Laufbänder, das Ergometer sind genau solche "Anstupser".
Biologie-Student Jordan Harris hat sich mittlerweile auf dem Ergometer der Philologen an der Freien Universität Berlin gut eingeradelt:
"Jetzt hab ich gerade die Geschwindigkeit gefunden, ich glaube, dann kann man schon richtig schreiben. Man muss sich bisschen dran gewöhnen, aber ich glaube, es geht schon klar, gerade wenn man ein bisschen müde ist oder einfach keine Kraft mehr hat. Um aufzuwachen, dann ist es eine gute Idee."
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