Laubhüttenfest in Nürnberg

Den Nazis auf dem Dach herumtanzen

04:31 Minuten
Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände im Nordflügel der unvollendet gebliebenen Kongresshalle.
Faschistischer Größenwahn: Im Nordflügel der Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgeländes befindet sich heute ein Dokumentationszentrum. © picture alliance / Goldmann
Von Thomas Senne · 02.10.2020
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Nürnberg und die israelische Stadt Hadera sind Partnerstädte. Ein Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft geht nun mit einer spektakulären Aktion an die Öffentlichkeit: einer Laubhütte auf der Kongresshalle des NS-Reichsparteitagsgeländes.
Diese Laubhütte ist sehr ungewöhnlich. Das liegt an dem historisch stark belasteten Ort, an dem sie aufgebaut wird: dem Dach der ehemaligen NS-Kongresshalle auf dem einstigen Reichsparteitagsgelände. Genau dort also, wo Adolf Hitler vor Tausenden seiner Anhänger antisemitische Hetzreden hielt.
Dass der Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft zwischen Nürnberg und der israelischen Stadt Hadera ausgerechnet auf dem braun-kontaminierten Areal seine erste öffentliche Veranstaltung durchführt – eben die Errichtung der Laubhütte –, hat sich die Vorsitzende dieses Vereins, Diana Liberova, mit ihrem Team genau überlegt.
"Ich glaube schon, dass das eine enorme Symbolik hat, eine Laubhütte – die ja auch das Symbol nicht nur des jüdischen Festes Sukkot, sondern auch das Symbol des Sich-Zurücknehmens, des Darüber-Nachdenkens, dass letzten Endes alles in Gottes Hand liegt und dass wir nicht alles entscheiden können, dass manchmal wir einfach mit Natur, mit Realität uns auseinandersetzen müssen –, dass auch das eine besondere Symbolik ist. Und dann auf einem ehemaligen Nazibau eine jüdische traditionelle Laubhütte zu stellen, das ist die Art der Provokation, die ich zumindest gerne mache und auch noch öfters forcieren würde."

So eine Aktion ist auch immer ein Spagat

Natürlich ist diese Laubhütte auf dem Dach der früheren NS-Kongresshalle, des heutigen Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, eine Sukka der besonderen Art. Sie soll beleuchtet werden und von außen gut zu sehen sein: ein Symbol für die jüdische Kultur und die Städtepartnerschaft zwischen Nürnberg und Hadera.
"Es ist ein bisschen Kreativität gefragt. Es soll ja schnell aufgebaut und abgebaut werden. Es wird eine Mischung sein aus grünen Zweigen, einem Grundgestell und kreativem Obst und Gemüse aus der Region …"
Gaben der Natur, die der Bayerische Bauernverband unentgeltlich zur Verfügung stellt. Schade nur, dass die knapp 30 Quadratmeter große Laubhütte nur einen Tag, nämlich am 3. Oktober, zugänglich sein wird. Auch die Teilnehmerzahl wurde auf 30 Personen begrenzt. Der Grund dafür? Die Corona-Pandemie, sagt Diana Liberova.
"Es ist immer ein Spagat. Wir sind keine religiöse Einrichtung, sondern wir sind ein Verein, der für die Vielfalt auch Israels steht. Trotzdem werden wir jetzt wahrscheinlich auch ein Kiddusch sagen. Es wird koschere Kleinigkeiten geben, die wir dann miteinander essen werden.
Wir müssen gucken, wie wir das organisieren, damit es nicht zu viel ist, damit wir Spaß haben zumindest für uns – an der Stelle leider nur ein ausgewählter Kreis, dass es ein wirklicher Sukkot wird, den wir miteinander zelebrieren. Und vielleicht können wir mit 30 Personen die Erfahrung sammeln, die wir für spätere Jahre, für 5000 Menschen brauchen."
Die Jüdin, die seit Jahren für die SPD im Rat der Dürer-Stadt sitzt, ist sich natürlich darüber im Klaren, dass die spektakuläre Laubhütten-Aktion auf dem einstigen Nürnberger Reichsparteitagsgelände eine Gratwanderung ist: zwischen Religion und Politik. Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, Jo-Achim Hamburger, der im Vorfeld der Veranstaltung informiert wurde, ist von dem Vorhaben jedenfalls begeistert.

Weltweit einzigartige Laubhütte

"Ich finde, es ist eine sehr gute Idee, den Partnerschaftsvertrag zwischen Hadera und Nürnberg mit dem Laubhüttenfest zu verbinden – gerade an so einem symbolischen Ort wie dem Doku-Center. Das Laubhüttenfest geht sieben Tage. Und was dort passiert, ist natürlich ein bisschen anders als das, was an den Synagogen weltweit passiert, gerade auch während dieser Coronazeit. Unter den Gegebenheiten, die wir eben haben, glaube ich, dass das eine interessante Idee ist, auch unseren nichtjüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern unser Fest ein bisschen näher zu bringen."
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