Erinnerung

Moses und König David in Nürnberg

Blick über die Altstadt von Nürnberg
Blick über die Altstadt von Nürnberg © picture alliance / dpa / Foto: Daniel Karmann
Von Thomas Senne  · 13.06.2014
Immer wieder wurde das jüdische Leben in Nürnberg gewaltsam unterbrochen, das bis ins Mittelalter zurückreicht. Dennoch prägten jüdische Persönlichkeiten die Kultur, Politik und Wirtschaft in der Stadt. Der Band "Geschichte der Juden in Nürnberg“ erinnert jetzt daran.
Ein kleines Taschenbuch, das der Flaneur gut in seiner Manteltasche verstauen kann, um damit in der Dürer-Stadt auf eine Entdeckungsreise zu gehen: der jetzt erschienene Kurzführer zur "Geschichte der Juden in Nürnberg“ enthält 20 Stationen, die gut illustriert und anschaulich beschrieben die jüdische Entwicklung in der Franken-Metropole von den Anfängen bis heute Revue passieren lassen.
Der Verein "Geschichte für alle“, der bisher schon entsprechende Rundgänge durchgeführt und nun ergänzend dazu die Veröffentlichung herausgegeben hat, ermöglicht damit historisch Interessierten, selber auf Spurensuche zu gehen. Alexander Schmidt, der im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände als Historiker arbeitet, hat diesen Spaziergang durch die Geschichte zusammen mit einem Kollegen verfasst.
"Uns war bei dem Rundgang – auch bei dieser Publikation – wichtig, dass man die Juden als Teil der Stadt sieht, also die jüdische Geschichte ist keine ausschließliche Verfolgungsgeschichte, sondern ist unsere Kultur – die gehören dazu. Und das merkt man auch in der Gegenwart. Sie sind auch jetzt ja wieder ein aktiver Teil der Stadt. Das ist eines der wichtigsten Anliegen dieser Broschüre. Natürlich geht’ s auch um die Verfolgung, das ist unterschwellig immer da, aber es ist eben auch ein jüdisches Leben in Nürnberg existent und war existent, das Beachtung verdient.“
Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart
In seinem Vorwort lobt der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Rudi Ceslanski, ausdrücklich die Publikation als "ein beeindruckendes Werk“ und freut sich über den gelungenen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Seit dem 12. Jahrhundert sind Juden in Nürnberg belegbar. Sie lebten rund um den heutigen Hauptmarkt, wo alljährlich der populäre Christkindlesmarkt stattfindet. Die genaue Lage ist in der ersten Station des Kurzführers auf einem Stadtplan farbig markiert. Historische Fotografien und passende Grafiken illustrieren den knappen, aber kenntnisreichen Text unaufdringlich. So ist beispielsweise das Fragment eines mittelalterlichen Grabsteines abgebildet, der von einem zerstörten jüdischen Friedhof stammt. Interessant: Mehrere Figuren an dem weltberühmten "Schönen Brunnen“ in der Mitte des Platzes sind Protagonisten der jüdischen Geschichte.
Allen voran Moses und König David. Pikant: Karl IV., dem im Giebel der Frauenkirche in einer Kunstuhr noch heute die Kurfürsten beim sogenannten "Männleinlaufen“ – einer Touristenattraktion auf dem Hauptmarkt – huldigen, wird in der Broschüre als "hauptverantwortlicher Schreibtischtäter“ für die Ermordung von Juden im Mittelalter bezeichnet.
Gedenksteine finden
"Was bei der Tour vielleicht ungewöhnlich ist, verglichen mit anderen Stadtrundgängen, ist die Sache, dass man vieles nicht mehr sehen kann, weil zerstört. Beispielsweise das mittelalterliche Judenviertel – 1349 zerstört, endgültig dann – und dann auch die Juden vertrieben. D.h.: Da ist heut ein leerer Platz, der Hauptmarkt. Es steht statt der Synagoge eine Kirche, die Frauenkirche, da. Und gleiches gilt natürlich für so’ nen Ort wie die Verkündung der Nürnberger Gesetze, wo man natürlich dann auch nur nen Ort hat, wo die herkommen, aber natürlich ein wichtiger Ort. Und dort findet man Denkmäler. In dem Buch findet man oft als Station einen Gedenkstein.“
Unterwegs zum "Schocken“: dem ersten modernen Kaufhaus Nürnbergs. Erbaut wurde das Gebäude 1926 von...
"Erich Mendelsohn, also ein ganz wichtiger moderner deutscher Architekt, der z.B. den Einsteinturm in Potsdam gebaut hat, viele wegweisende moderne Gebäude geschaffen hat und hier sein erstes Warenhaus gebaut hat für den jüdischen Kaufhausunternehmer Salmann Schocken. Und ein jüdischer Journalist aus Nürnberg, Justus Bier, war der einzige, der hier in Nürnberg kapiert hat, dass das wirklich etwas besonderes ist.“
Der spannende Rundgang auf Papier, der auch die herausragende Rolle jüdischer Unternehmer bei der Entwicklung Nürnbergs zur europäischen Metropole der Fahrrad- und Motorradindustrie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts würdigt, endet bei der "Israelitischen Kultusgemeinde mit Synagoge und Altenheim“.
"Es gibt jetzt wieder eine jüdische Zukunft für Nürnberg. Es gibt auch junge Leute jüdischen Glaubens. Das war vor 20, 30 Jahren ganz anders. Bezeichnenderweise ist die Synagoge ja neben einem Altenheim. Heute haben wir auch wieder einen jüdischen Jugendklub und solche Dinge in Nürnberg, so dass man sagen kann: Aller Voraussicht nach ist es selbst in der ehemaligen Stadt der Reichsparteitage nie gelungen, die Stadt judenfrei zu machen. Und das ist eigentlich ein schöner Gedanke für heute .“
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