Last und Lust des Umziehens (3)

Umzugstheater

Lastwagen eines Umzugsunternehmens fahren am 01.11.2014 in Frankfurt am Main (Hessen) durch ein Tor der neuen Europäischen Zentralbank (EZB).
Sollen ja eigentlich eine Hilfe sein: Umzugsunternehmen. © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Von Franziska Gerstenberg  · 18.02.2015
Für die Lesart-Reihe "Originalton" hat die Autorin Franziska Gerstenberg Minidramen verfasst, in denen sie mit ihrem Lebensgefährten anschaulich macht, was einem widerfährt, wenn man umziehen will. Heute: Fünf Stunden auf den Laster warten.
M(ann): Hallo? Also das ist die einzige Telefonnummer, die ich habe. Ich ziehe gerade mit Ihrem Unternehmen um, von Duisburg nach Dresden. Beziehungsweise morgen ist dann der Umzug meiner Freundin, von Berlin nach Dresden.
F(rau des Umzugsunternehmers): Ich weiß nicht.
M: Also ich bin jetzt in Dresden. Heute Morgen war ich noch in Duisburg. Da war auch alles in Ordnung und die Sachen sind abgeholt worden. Aber nun warte ich seit fünf Stunden in der neuen Wohnung und der Laster kommt nicht. Es ist schon dunkel. Es gibt hier ja auch keine Lampen.
F: Ich weiß nicht.
Die Verbindung bricht ab.
Ein Wecker tickt.
M: Hallo? Also jetzt sind noch mal zwei Stunden vergangen. Es ist schon mitten in der Nacht. Wieso rufen mich die Männer aus dem Laster nicht an? Ich habe denen meine Nummer gegeben. Ich will meine Sachen wiederhaben. Alle meine Schallplatten. The Beatles, verstehen Sie? Geben Sie mir jetzt Ihren Mann, mit dem habe ich ja den Vertrag. Und ich muss jetzt auch nach Berlin fahren, zu meiner Freundin, die zieht ja morgen um.
F: Mein Mann ist nicht hier. Ich weiß nicht, wo mein Mann ist.
Die Verbindung bricht ab.
Ein Wecker klingelt.
M: Hallo? Guten Morgen, das bin wieder ich. Also ich will jetzt endlich Ihren Mann sprechen!
F: Mein Mann hatte einen Unfall. Gestern. Aber ich weiß nicht.
Die Verbindung bricht ab.
Ein Wecker tickt.
U(mzugsunternehmer): Hallo?
M: Da sind Sie ja! Ich habe mit Ihrer Frau gesprochen ...
U: Welche Frau? Also. Meine Männer haben angerufen, gestern. Sind liegengeblieben. Kasseler Berge. Zylinderkopfdichtung. Bin hingefahren, wegen Reparatur. War aber schon dunkel. Haben neben Autobahn übernachtet. Auf der Ladefläche, hinter Kassel.
M: Auf meiner Matratze?
U: Matratze, sicher. Bin jetzt beim LKW. Sind in Dresden ... zwölf Uhr.
M: Also ja, aber ich bin doch jetzt in Berlin.
U: Wieso Berlin?
M: Weil Sie laut Vertrag heute Morgen um sieben hier sein sollten. Den Umzug von meiner Freundin machen. Gestern Duisburg – Dresden, heute Berlin – Dresden. Außerdem konnte ich in Dresden nicht schlafen. Ich dachte, Sie kommen wenigstens hier noch hin. Warum haben Sie mich denn gestern nicht angerufen?
U: Haben neben Autobahn übernachtet! Auf der Ladefläche! Kasseler Berge!
M: Auf meiner Matratze?
U: Sicher, Matratze. Warum Sie in Dresden nicht schlafen? Sie hatten doch Wohnung.
M: Ja, aber Sie hatten mein Bett!
U: Matratze, sicher.
Die Verbindung bricht ab.
M: Hallo? Also ich bin jetzt von Berlin wieder nach Dresden gefahren, aber wo sind Sie denn? Es ist zwölf Uhr. Und was ist eigentlich mit dem Umzug von meiner Freundin?
U: Also ja, hier jetzt Stau. Zylinderkopfdichtung kaputt, immer fünfzig Kilometer, dann anhalten, immer Öl. Schon zweihundert Euro Öl. Und müde, immer wenig schlafen. Was für Tag heute? Sonntag? Montag? Aber wir bald da. Gibt Essen?
M: Wann bald?
Die Verbindung bricht ab.
M: Also ich wollte jetzt sagen, wenn Sie um vier nicht hier sind, melde ich meine Sachen als gestohlen. Ich weiß nicht mal, wer Sie sind. Sind Sie denn jetzt der Mann, mit dem ich den Vertrag habe? Ich rufe die Polizei. Was machen Sie mit meinen Schallplatten? Wo bringen Sie die hin? Und was haben Sie mit meiner Matratze vor?
Die Verbindung bricht ab.
M: Hallo?
Die Verbindung bricht ab.
M: Hallo?
Die Verbindung bricht ab.
M: Hallo???
Lautes Krachen. Dann kratzige Musik von einer alten Beatles-Schallplatte.

Franziska Gerstenberg wurde 1979 in Dresden geboren. Nach dem Abitur arbeitete sie an einer Schule für geistig behinderte Jugendliche. Von 1998 bis 2002 studierte sie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig die Fächer Prosa, Lyrik und Dramatik/Neue Medien, danach war sie zwei Jahre lang Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "EDIT – Papier für neue Texte". Für die beiden Erzählbände "Wie viel Vögel" (2004) und "Solche Geschenke" (2007) erhielt Franziska Gerstenberg zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem ein Stipendium der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart. 2012 erschien der erste Roman mit dem Titel "Spiel mit ihr". Dafür wurde ihr 2013 der Förderpreis zum Lessing-Preis des Freistaates Sachsen verliehen. Die Autorin leitet Schreibseminare und lektoriert. Für den Originalton hat sie kleine Minidramen verfasst, in denen sie mit ihrem Lebensgefährten sehr anschaulich macht, was einem alles widerfährt, wenn man einfach nur umziehen will.

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