Last und Lust des Umziehens (2)

Dinge haben

Historisches Radio aus den 50er-Jahren in einem Wohnzimmer eines Hauses im Bergischen Freilichtmuseum für Ökologie und bäuerlich-handwerkliche Kultur
Ein ganzes Leben in einer Wohnung. © imago / Ralph Peters
Von Franziska Gerstenberg · 17.02.2015
Für die Reihe "Originalton" hat die Autorin Franziska Gerstenberg Minidramen verfasst, in denen sie mit ihrem Lebensgefährten anschaulich macht, was einem widerfährt, wenn man umziehen will. Heute: Vollgestopfte sechzig Quadratmeter oder das Leben in einer Wohnung.
F(rau): Wie soll das eigentlich werden, wenn wir zusammenziehen, du und ich?
M(ann): Was meinst du?
F: Na ja ... du hast ja nichts. Die Räume in deiner Wohnung sind leer. Da gibt es nur die Matratze auf dem Boden, das Sofa und den Überseekoffer.
M: Findest du? Ich habe immer das Gefühl, ich müsste mal gründlich aussortieren.
F: Wenn du über dich denkst, dass du aussortieren solltest, was denkst du dann über mich?
M: Was soll ich denn über dich denken?
F: Ist dir nie aufgefallen, dass ich zwanzigmal mehr Dinge habe als du? Vollgestopfte sechzig Quadratmeter ... als würde hier eine vierköpfige Familie wohnen, nicht nur ich. Das Sofa ...
M: Ein Sofa habe ich auch.
F: Ja, aber du hast nur ein Sofa. Ich habe Kleiderschränke, Bücherregale, Sessel, Stühle, Hocker, große Tische, kleine Tische, Beistelltische, Nierentische ... Und all diese Sachen: Fotokisten, Kisten mit Briefen, Bilder an den Wänden, die balinesische Stabpuppe, der erzgebirgische Weihnachtsengel, das Schaukelpferd vom Sperrmüll. Und an der Wand im Wohnzimmer hängt der Plexiglaskasten, in dem das Wespennest liegt, das ich 2002 auf dem Dachboden meines Exfreunds vorsichtig von einem Holzbalken geschnitten habe ...
M: Übertreibst du nicht?
F: Nein. Es ist furchtbar. Mein ganzes Leben in einer Wohnung ... als wäre eine Bombe eingeschlagen.
Geräusch einer einschlagenden Bombe.
M: Ich bin eben der japanische Typ. Ich habe es gern übersichtlich. Ich habe immer alles weggeschmissen.
F: Du schmeißt sogar Kassenzettel von großen Elektrogeräten weg. Obwohl die ständig kaputtgehen und man sie, hätte man den Kassenzettel noch, umtauschen könnte.
M: Lieber so, als alles aufheben.
F: Siehst du, ich wusste es! Du hasst meine ... Dinge. Willst du wirklich mit mir zusammenziehen?
M: Aber ich habe doch dieses Gespräch nicht angefangen ... Wenn dich der ganze Kram stört: Schmeiß ihn raus. Wozu brauchst du neunzehn Untertassen, zu denen keine Tasse passt?
Geschirrklirren.
F: Halt, halt, halt! Ich kann das nicht. Ich sammle eben, es ist ... meine Natur. Verlangst du das? Dass ich aussortiere? Wie viel Prozent? Was darf ich mitnehmen, wenn wir zusammenziehen? Wie viel mehr als du darf ich haben, und du liebst mich trotzdem noch?
M: Du bist vollkommen hysterisch.
Geräusch einer einschlagenden Bombe.
F: Ich muss noch mal darauf zurückkommen.
M: Hm.
F: Praktisch. Nur ganz praktisch.
M: Hm.
F: Wir werden ja auch nicht so viel Platz haben. Also ... was stellen wir wohin?
M: Ich dachte, na ja ... ich ziehe ja zwei Tage vor dir um. Ich stelle meine Möbel in die richtigen Zimmer und an die richtigen Wände, räume alles an den richtigen Ort ... und dann schauen wir, was von deinen Sachen noch reinpasst.
F: Das ist ein Witz!
M: Nein, ich meine ... wie denn sonst?
F: Und mein Sofa?
M: Wozu brauchen wir zwei Sofas?
F: Und mein Küchentisch?
M: Meiner ist doch viel schöner.
F: Und meine Bilder?
M: Ich mag keine Bilder. Das weißt du doch. Ich mag weiße Raufaser.
F: Aber ich soll dort doch auch wohnen!
M: Ja, dann sagst du mir einfach, welches Bild dir wichtig ist, und wir hängen es auf.
F: Alle. Sie sind alle wichtig. Und die balinesische Stabpuppe, und der erzgebirgische Weihnachtsengel, und das Schaukelpferd vom Sperrmüll ...
M: Oh Mann. Manchmal wünsche ich mir wirklich, es würde ...
Geräusch einer einschlagenden Bombe.
F: Es wird schon werden, oder?
M: Ja.
F: Liebst du mich?
M: Natürlich.
F: Also wie viele Bilder dann?
M: Eins?
F: Zwanzig?
M: Drei?
F: Fünfzehn?
F+M gleichzeitig: Und die balinesische Stabpuppe.
Musik eines balinesischen Puppenspiels.

Franziska Gerstenberg wurde 1979 in Dresden geboren. Nach dem Abitur arbeitete sie an einer Schule für geistig behinderte Jugendliche. Von 1998 bis 2002 studierte sie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig die Fächer Prosa, Lyrik und Dramatik/Neue Medien, danach war sie zwei Jahre lang Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "EDIT – Papier für neue Texte". Für die beiden Erzählbände "Wie viel Vögel" (2004) und "Solche Geschenke" (2007) erhielt Franziska Gerstenberg zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem ein Stipendium der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart. 2012 erschien der erste Roman mit dem Titel "Spiel mit ihr". Dafür wurde ihr 2013 der Förderpreis zum Lessing-Preis des Freistaates Sachsen verliehen. Die Autorin leitet Schreibseminare und lektoriert. Für den Originalton hat sie kleine Minidramen verfasst, in denen sie mit ihrem Lebensgefährten sehr anschaulich macht, was einem alles widerfährt, wenn man einfach nur umziehen will.
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