Langzeitwanderin Christine Thürmer

Süchtig nach Wandern

Pacific Crest Trail
Der Pacific Crest Trail von Mexiko nach Kanndada - das war Christine Thürmers erste Langstreckenwanderung. © imago/All Canada Photos
Von Wolf-Sören Treusch · 19.06.2016
Sie war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, galt als knallharte Managerin: Christine Thürmer. Dann wurde sie selbst gekündigt und sie begann zu wandern. Mittlerweile hat sie 34.000 Kilometer in den Beinen und hat ein Buch darüber geschrieben.
"Grob gesagt, bin ich dreimal von Mexiko nach Kanada gelaufen, und zweimal quer durch Europa, und einmal durch Australien."
Christine Thürmer ist 49 Jahre alt, groß und kräftig. Und sie ist süchtig. Süchtig nach dem einfachen Leben, das sie beim Wandern entdeckt hat.
"Durch das Wandern gerate ich in einen Flow, also die Psychologen beschreiben das als einen Zustand der völligen Vertiefung, des völligen Aufgehens in eine Tätigkeit, die einen weder über- noch unterfordert. Also bei Künstlern ist es der Schaffensrausch, und bei mir ist es der Wanderrausch, also ich kann wie auf Autopilot 16 Stunden am Stück laufen."
Das muss sie auch. Sonst schafft sie keine 33 Kilometer am Tag. Die muss sie durchschnittlich bewältigen, wenn sie ihr Ziel erreichen will. Die Rechnung ist einfach. Beispiel: der Pacific Crest Trail entlang der US-amerikanischen Westküste. Der ist 4.277 Kilometer lang, die Wandersaison dauert fünf Monate, also etwa 150 Tage. Abzüglich eines Ruhetags pro Woche ergibt das 130 Lauftage, macht einen Tagesschnitt von 32,9 Kilometern.
"Sie müssen zwar 33 Kilometer laufen jeden Tag, aber sie haben dazu ja auch 16 Stunden Zeit."

Die Ausrüstung ist genau durchdacht

Zweite wichtige Voraussetzung: wenig Gepäck. Christine Thürmer wandert ultraleicht. Je nachdem, wieviel Verpflegung sie dabei hat, trägt sie um die sechs bis acht Kilo auf dem Rücken. Mehr nicht. Die Ausrüstung ist genau durchdacht: eine einfache große Mülltüte dient auch als Regenschutz.
"Ich brauche Wasser, Proviant, Wärme in Form von Kleidung und Schlafsack und Wetterschutz in Form von einem Zelt. Und diese wenigen Sachen, die Grundbedürfnisse reichen aus, um wirklich monatelang unterwegs zu sein. Alles, was darüber hinausgeht, ist plötzlich der totale Luxus. Das heißt ein unerwartet geschenkter Schokoladenriegel oder eine heiße Dusche nach einer Woche Wandern im Dreck oder ein weiches Bett wird plötzlich total toll, man wird wahnsinnig dankbar für all die kleinen Dinge im Leben, die man als Normalmensch als gegeben voraussetzt."
Über ihre Erfahrungen auf den US-Trails hat Christine Thürmer jetzt ein Buch veröffentlicht. Es trägt den schlichten Titel "Laufen. Essen. Schlafen". Mit dem gleichen Enthusiasmus, mit dem sie wandert, erzählt sie auch darüber. Wie vor kurzem in einer bis auf den letzten Stuhl besetzten Berliner Buchhandlung.
"Die Amerikaner sagen: Ob du so einen Trail schaffst, entscheidet sich zu 80 Prozent im Kopf. Und nur zu 20 Prozent in den Füßen. Das Entscheidende ist wirklich, jeden Tag aufstehen, jeden Tag diesen Dreck wieder erleben, neu machen und das auch toll finden. Und das ist eben 'ne Einstellungsgeschichte."

"Trail-Angels" - Helfer auf der Wanderstrecke

Natürlich erlebt sie auch viele Anekdoten. Mit den "Thru-Hikern", so heißen die Langzeitwanderer in den USA, und den "Trail-Angels", das sind die Helfer, die hin und wieder an die Strecke kommen und die Wanderer versorgen.
"Aber es wird nicht nur Wasser hingestellt, sondern manchmal auch andere Flüssigkeiten, hier hat ein netter Trail-Angel Whiskey an der Grenze von Oregon zu Kalifornien deponiert, es hatte 30 Grad im Schatten, und als die Whiskey-Flasche leer war, hatten wir einen sehr lustigen Nachmittag."
Oder sie berichtet von Begegnungen, die glücklicherweise gar nicht stattgefunden haben. Mit Bären, die sie mit wilden Gesängen von sich fernhielt.
"Bärenglöckchen nutzen da nix, wie ich dachte, die werden von den Bären eher für Murmeltiere gehalten, also man muss die menschliche Stimme einsetzen, am besten sprechen oder singen, was dann dazu führte, dass ich den ganzen Bundesstaat Montana die deutsche Nationalhymne singend gelaufen bin, aus dem einfachen Grund, weil es das einzige Lied war, wo ich den ganzen Text konnte."
Bei Wind und Wetter zu Fuß durch die Wildnis: Christine Thürmer bezeichnet sich selbst als Outdoor-Junkie. 34.000 Kilometer Wegstrecke hat die ehemalige Managerin bisher hinter sich gebracht. Gefunden hat sie Freiheit und Glück, verloren hat sie dagegen ihren festen Wohnsitz in Deutschland. Den braucht sie nicht mehr, sagt sie, ihre wenigen Habseligkeiten hat sie eingelagert.
"Ich wollte nie einen Trail schmeißen. Oder eine Unternehmung einfach aufgeben, weil es mir keinen Spaß mehr gemacht hätte. Also eher im Gegenteil: je länger ich unterwegs bin, desto mehr Ideen habe ich, was ich noch machen könnte. Also ich könnte aus dem Stand heraus noch die nächsten zehn Jahre wandern."
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