Langzeitarbeitslose

Verlierer der Coronakrise

07:17 Minuten
Ein Schild mit der Aufschrift "Help Wanted" hängt im Fenster eines Geschäfts.
Obwohl die Nachfrage auf dem Arbeitmarkt inzwischen zunimmt, bleibt die Lage für Langzeitarbeitslose schwierig. © Getty Images / Catherine McQueen
Von Benjamin Dierks · 04.01.2022
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Allmählich erholt sich die Wirtschaft von der Coronakrise. Unternehmen suchen wieder verstärkt Personal. Menschen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind, profitieren davon aber kaum. Dabei erhalten Firmen sogar Zuschüsse, wenn sie sie einstellen.
Christian Texter zieht sich seine Maske über Mund und Nase und reiht sich in eine Schlange von Menschen, die sich am Zaun eines kleinen Rotklinkerhauses im Süden Hamburgs angestellt haben. Hier sitzt die Wilhelmsburger Tafel, die einmal pro Tag Lebensmittelspenden an Bedürftige ausgibt.

Meistens ist Obst da, Gemüse, Fleisch, Wurst Käse. Ich komme anderthalb, zwei Wochen zurecht mit dem, was sie hier ausgeben.

Christian Texter

Der gelernte Industriemechaniker ist seit gut drei Jahren arbeitslos.
Während der Pandemie sei die Zahl derer, die bei ihr Hilfe suchen, noch gestiegen, berichtet Gudrun Toporan-Schmidt, die Leiterin der Tafel. „Wir haben auch Kurzarbeiter dazubekommen. Einige haben ihren Job dadurch verloren, die sind auch dazugekommen. Die kommen manchmal von weit her.“

Mehr als eine Million Langzeitarbeitslose

Vor allem Langzeitarbeitslose wie Christian Texter sind auf Hilfe angewiesen. Ende des vergangenen Jahres gab es allein in Hamburg knapp 27.000 Langzeitarbeitslose, über 3000 mehr als im Vergleichszeitraum ein Jahr zuvor. Bundesweit ist gut eine Million Menschen länger als ein Jahr arbeitslos gemeldet, rund 300.000 mehr als vor Beginn der Pandemie, sagt Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln, kurz IW.
„Die waren schon vor Corona arbeitslos, haben durch die verschlechterte Einstellungsbereitschaft die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt nicht gefunden und haben dann im Lauf der Zeit, man kann sehen, dass das sukzessive passiert ist, die zwölf Monate Arbeitslosigkeitsdauer überschritten, die dann eben zu einer Klassifikation als Langzeitarbeitsloser führen“, erklärt er.
Deren Zahl sei in der Krise nicht in erster Linie durch Entlassungen gestiegen, sagt Schäfer. Entscheidend sei gewesen, dass Unternehmen weniger Stellen neu besetzt hätten. „Und die Langzeitarbeitslosigkeit, die sich auch durch diese verschlechterte Einstellungschance herausgebildet hat, auf der sitzen wir nach wie vor. Da hat sich bisher nur sehr wenig zurückgebildet.“

Zahl der offenen Stellen steigt

Die Folge: Auch wenn sich der Arbeitsmarkt insgesamt erholt, bleibt die Zahl der Langzeitarbeitslosen konstant hoch oder steigt sogar weiter, sagt Sönke Fock, der Chef der Arbeitsagentur in Hamburg.
„Im Sommer 2021 stiegen mit dem Rückgang des Infektionsgeschehens auch die Zahl der offen gemeldeten Stellen wieder, sodass alle Gruppen am Arbeitsmarkt bis auf die Gruppe der Langzeitarbeitslosen von der insgesamt guten Nachfrage nach Arbeitskräften, nach Fachkräften profitiert haben“, erklärt er.
In der Hansestadt habe es vor der Krise etwa im Hafen oder in der Logistik auch für weniger gut qualifizierte Kräfte gute Jobs gegeben. Von denen seien aber viele weggefallen und würden vorerst nicht wieder besetzt.
„Die Betriebe haben zunächst, wenn sie nicht durch Kurzarbeit ihre Beschäftigten gehalten haben, sich von Un- und Angelernten oder Älteren getrennt und stellen als Erstes, wenn die Nachfrage wieder ansteigt, qualifizierte Fachkräfte ein“, erläutert er.

„Ich will versuchen, wieder reinzukommen"

Auch Christian Texter aus Hamburg-Wilhelmsburg hat die Hoffnung auf einen Job noch nicht aufgegeben. „Ich will auch versuchen, wieder reinzukommen, aber wegen Corona ist es schwer, knifflig alles.“
Christian Texter posiert bei der Tafel Wilhelmsburg für ein Foto.
Seit gut drei Jahren arbeitslos: Christian Texter geht zur Tafel in Wilhelmsburg.© Deutschlandradio / Benjamin Dierks
In seinem erlernten Beruf als Industriemechaniker arbeitet Texter nicht mehr. Dort fand er irgendwann nur noch über eine Zeitarbeitsfirma Beschäftigung. Außerdem machte ihm eine Verletzung am Bein zu schaffen.
„In meinen Beruf will ich nicht mehr, bestimmt schon seit zehn Jahren nicht mehr. Ich mache jetzt Kommissionierer, Lager, Logistik, Produktionshelfer, Maschinenbediener oder Bestücker – oder so in der Richtung“, erzählt er.
Gesundheitliche Probleme erschwerten häufig die Lage der Langzeitarbeitslosen, sagt Holger Schäfer vom IW. Hinzu komme, dass ihnen bei längerer Arbeitslosigkeit berufliche Fähigkeiten abhandenkämen.
„Insofern ist es oftmals sehr schwierig, den Wiedereinstieg zu schaffen. Wir wissen aus der Arbeitsmarktforschung sehr gut, dass Langzeitarbeitslose langwieriger, schwieriger und auch teurer in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind als Kurzzeitarbeitslose.“

Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber

Immerhin, einen kleinen Lichtblick gibt es für Langzeitarbeitslose in Hamburg Wilhelmsburg, und zwar bei der Tafel selbst. Gudrun Toporan-Schmidt will drei ehrenamtlichen Helfern der Einrichtung künftig einen bezahlten Job geben.
„Es ist schwer für die Leute, die langzeitarbeitslos sind, überhaupt einen Job zu bekommen, deshalb haben wir im Vorstand beschlossen, dass wir drei 16i-Leute einstellen, die schon ganz lange arbeitslos sind, aber diese Arbeit gerne und sehr gut machen“, erzählt sie.
Nach Paragraf 16i des Teilhabechancengesetzes erhalten Arbeitgeber Lohnkostenzuschüsse, wenn sie Menschen einstellen, die mindestens sechs Jahre Hartz IV erhalten haben.
Thomas Bensberg ist seit rund elf Jahren arbeitslos und engagiert sich ehrenamtlich bei der Tafel, hilft beim Sortieren der Ware und bei der Ausgabe. Jetzt soll er zunächst für zwei Jahre einen festen Job bekommen.

Dafür bekomme ich jetzt Geld. Für die ehrenamtliche Tätigkeit bekomme ich ja kein Geld. Und das tut mir ganz gut, weil von Hartz IV kann man eigentlich nicht richtig überleben.

Thomas Bensberg

„Wenigstens für zwei Jahre“

Seit Anfang 2019 fördert die Bundesregierung durch Lohnkostenzuschüsse die Einstellung von Langzeitarbeitslosen. Gut 42.000 Stellen werden derzeit nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit unterstützt. Insgesamt haben seit Beginn des Programms rund 65.000 Menschen einen geförderten Job bekommen. Das Ziel, rund 150.000 Langzeitarbeitslosen Arbeit zu verschaffen, wurde bislang nicht erreicht.
Ein Grund: Viele Langzeitarbeitslose seien nicht ausreichend qualifiziert, hätten psychische Probleme oder seien häufig krank, berichten Arbeitsvermittler. Deshalb wollten viele Unternehmen sie nicht einstellen, trotz der Zuschüsse. Und viele Jobs seien auf zwei Jahre befristet — wie auch die der Wilhelmsburger Tafel.
„Wenigstens für zwei Jahre erst mal fest Gehalt kriegen, damit sie unterkommen“, sagt Leiterin Toporan-Schmidt. In den ersten zwei Jahren werden die Lohnkosten vollständig vom Staat übernommen. Gerade sozialen Einrichtungen wie der Tafel fällt es schwer, die Kosten danach anteilig zu zahlen.
„Dieses Geld müssen wir wieder reinholen“, sagt Gudrun Toporan-Schmidt. Sie hofft trotzdem, dass sie ihre neuen Mitarbeiter auch über die ersten zwei Jahre hinaus beschäftigen kann.
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