Langstreckenwanderin Christine Thürmer

Zu Fuß um die Welt - und glücklich dabei

05:27 Minuten
ZDF Talkshow Lanz am 18.05.16 in Hamburg mit Christine Thürmer. Mit 40 Jahren startete sie ein neues Leben und begann zu wandern, bis jetzt hat sie mehr als 45.000 Kilometer zu Fuß zurückgelegt
Mittlerweile tritt sie in Talkshows auf und hält auch Vorträge: Extremwanderin Christine Thürmer © Picture alliance / dpa / rtn - radio tele nord / Ulrike Blitzner
Von Caroline Kuban  · 16.06.2019
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Zwei Schicksalsschläge brachten Christine Thürmer dazu, ihr angestammtes Feld zu verlassen - sie war Managerin - und sich dem Wandern zuzuwenden. Bisher hat sie zehntausende Kilometer zurückgelegt. Und sich auf dem Wanderpfad selbst gefunden.
"Ich möchte einfach primär in der Natur unterwegs sein. Ob das jetzt unberührte Wildnis ist oder ein Forstweg in Brandenburg, ist letztendlich relativ egal. Und ich finde sogar, dass dieses Streben in die möglichst unberührte Natur oder spektakuläre Destinationen zu besuchen, das führt zu so einem Höher-schneller-weiter-Denken, was von der Essenz des Langstreckenwanderns ablenkt."
45.000 Kilometer zu Fuß, 30.000 Kilometer mit dem Rad, 6500 Kilometer mit dem Paddelboot: Als Christine Thürmer 1967 im bayrischen Forchheim das Licht der Welt erblickt, deutet nichts darauf hin, dass sie einmal die meist gewanderte Frau Deutschlands werden würde.
"Ich war und bin gänzlich unsportlich."
Also macht sie nach dem Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste in Berlin erstmal Karriere als Managerin, saniert Firmen. Bis sie mit 36 selbst einer Sanierung zum Opfer fällt und gekündigt wird. Das war der eine, unerwartete Schicksalsschlag. Der andere wog schwerer, sagt Christine Thürmer:
"Bernd, das war ein guter Bekannter von mir, exakt 10 Jahre älter als ich, hat urplötzlich einen Schlaganfall bekommen. Und das war auch so ein Yuppie wie ich: Architekt, schöner Firmenwagen, Penthouse-Wohnung. Mit dem war ich vorher immer schick in Berliner Szenelokalen essen. Und plötzlich durfte ich ihn dann im Krankenhaus mit Schonkost füttern, weil: Er hat zwar den Schlaganfall überlebt, aber auf dem geistigen Niveau eines Dreijährigen."

"Lebenszeit ist das Wichtigste in meinem Leben"

Christine kommt ins Grübeln. Und am Krankenbett drängt sich ihr die Frage auf: Wenn Bernd vor 10 Jahren, also in ihrem Alter, schon gewusst hätte, was für ein schwieriges Schicksal ihn erwartet, was hätte er gemacht? Hätte er einfach weiter Karriere gemacht? Oder hätte er sich total umentschlossen und etwas ganz Verrücktes getan? Christine kann sich die Antwort nur noch selbst geben.
"Mir ist klar geworden, dass die Lebenszeit das Wichtigste in meinem Leben ist. Denn Lebenszeit ist im Gegensatz zu Geld weder planbar noch vermehrbar. Und niemand konnte mir garantieren, dass ich meinen Traum in 10, 15 Jahren oder im Rentenalter noch verwirklichen kann. Also wenn ich was machen will, muss ich es jetzt machen. Das heißt, ich bin eines Tages aus dem Krankenhaus raus, bin entschlossen nach Hause gegangen und habe den Flug in die USA zu meiner ersten Langstreckenwanderung gebucht."
Und erst hinterher überlegt, ob sie dafür überhaupt prädestiniert ist.
"Das war ich natürlich nicht. Ich habe einen schlechten Orientierungssinn, ich bin nicht mal schwindelfrei, mein Orthopäde sagt immer, ich hab sowohl Plattfüße als auch X-Beine. Alles ganz tolle Voraussetzungen, um aus dem Stand für meine erste Wanderung viereinhalb tausend Kilometer von Mexiko nach Kanada zu laufen."

Wander-Vorbereitung mit der Excel-Tabelle

Aber: Christine ist ein Logistiktalent.
"Ich bin unheimlich gut in Prozess-Optimierung und Cost-Cutting. Businesspläne schreib ich auch gerne, Excel-Tabellen waren auch so ein Spezialgebiet. So skurril sich das anhört waren diese Sachen ganz entscheidend für den Erfolg auf der Langstreckenwanderung. Weil: ich hab mich generalstabsmäßig auf diese Wanderung vorbereitet - und zwar ausschließlich am Computer."
Denn das Wichtigste am Langstreckenwandern ist die richtige Ausrüstung: Vor allem leicht muss sie sein.
"Ich hab am Computer meine ganze Ausrüstung verwogen, auf so einer Küchenwaage, wirklich aufs Gramm genau, hab das alles in eine Excel-Tabelle eingetragen und hab dann solange rumoptimiert, bis meine gesamte Ausrüstung gerade mal 5 Kilo wog."
Und die beinhaltet alles, was sie auf dem Rücken trägt: ultraleichter Rucksack, Quilt anstelle eines Schlafsacks, Iso-Matte, Zelt, Kochausrüstung. Alles außer Wasser und Proviant. Nach nur zwei Wochen auf dem Pacific Crest Trail im Westen der USA ist ihr klar:
Das ist es jetzt!
Von Anfang an hat sie so viel Spaß am Laufen, dass sie nichts Anderes mehr machen will. Wandern macht sie einfach glücklich, sagt Christine.

"Unglaublicher intellektueller Freiraum beim Wandern"

"Der Hauptfaktor ist tatsächlich diese Reduktion auf das Minimum, was zu - wie ich mal plakativ sagen will - zu einer Reduktion der Glücksschwelle führt."
Wer sich wochenlang von Tütensuppen ernährt und in der Natur lebt und schläft, für den sind ein Schokoriegel, eine warme Dusche und ein weiches Bett das Paradies, meint die Outdoor-Expertin.
"Ein weiterer Punkt ist: diese Zeit für sich selber zu haben. Dieses Wandern gibt mir einen unglaublichen intellektuellen Freiraum."
Zwei Sprüche haben Christine Thürmer auf all ihren Wanderungen immer begleitet: "The trail provides", der Weg kümmert sich, lautet der eine. Egal, was für ein Problem unterwegs auftritt, irgendwie löst sich das immer. Der andere Spruch, sagt sie, könnte ihr Lebensmotto sein:
"'Thru-hiking has ruined my life, thank God', dieses Langstreckengehen hat mein Leben ruiniert, Gott sei Dank. Durch dieses Langstreckenwandern bin ich für ein normales Leben ruiniert. So. Aber Gott sei Dank, weil dieses Langstreckenwandern hat mich auch zu einem wirklich glücklicheren Menschen gemacht."
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