Landmaschinen

Training am virtuellen Mähdrescher

Von Michael Engel · 19.11.2013
Bislang sind es nur wenige Berufsgruppen, die zuvor mit einem Simulator üben müssen: Piloten gehören dazu, aber auch Lokführer und Kapitäne zur See - nun offenbar auch die Landwirte. Denn auch Geräte wie Mähdrescher sind durch die Elektronik an Bord derartig komplex geworden, dass Schulungen auf dem Simulator nötig werden. Auf der Landwirtschaftsmesse "Agritechnica" haben mehrere Hersteller entsprechende Simulatoren für Landmaschinen präsentiert.
In Gedanken sitzt Kai Bergmann auf einem gigantischen, topmodernen Mähdrescher. Vor ihm ein Joystick, dahinter zwei Monitore, die anzeigen, wie viel Korn gerade gemäht, gedroschen und gesiebt wird. Bis es auf den Acker geht, könnte es aber noch eine Weile dauern, denn in Wahrheit befindet sich der Mitarbeiter eines großen Landmaschinen-Herstellers nicht in einem Mähdrescher, sondern in der Halle 13 der Landmaschinen-Messe "Agritechnica" – vor einem gewöhnlichen Computer-Monitor.
Das gesamte Cockpit des Mähdreschers – Lenkrad und Bedienelemente – existieren nur virtuell auf dem Monitor. Es ist die Online-Version eines Mähdrescher-Simulators – entwickelt als Service für Landwirte.
Kai Bergmann: "… und das ist unsere Intention gewesen, hier mit dem Online-System einen Simulator für jedermann zu machen. Dass die Menschen auf der Welt, die sich für unsere Technik interessieren, die sie gekauft haben, die sie bedienen müssen, dass diese Menschen überall zeitunabhängig und ortsunabhängig auf diesem Simulator lernen können."
Lernen und Trainieren im Simulator wie ein Pilot. Denn auch moderne Mähdrescher haben es in sich: Sie fahren GPS-gesteuert auf den Zentimeter genau über den Acker, während sich eine Art "Trecker-Icon" – ein kleines Bildchen – über eine grünlich markierte Fläche auf dem Monitor bewegt. Genauso sieht man es auch beim Simulator. Es gibt Siebe, Gebläse und Antriebe, die reguliert und optimiert werden müssen. Entsprechend vielfältig sind die Angaben auf dem Monitor des PC-basierten Simulators. Ulrich Söhnholz, Landwirt aus Neubukow bei Rostock, trainiert schon mal vorab:
"Wenn man sich moderne Geräte kauft, dann ist diese Bedienung an so einem Touchscreen maschinenübergreifend eben das, was die Zukunft ist. Auf den ersten Blick ist es komplizierter, weil – ich sag‘ mal – ich mit meinen 47 Jahren auch eine Generation bin, die da nicht so ganz vertraut ist. Für unsere Kinder ist diese Touchscreen-Technik völlig normal."
Der Gigantismus moderner Maschinen
Nächster Besucher am Simulator ist ein älterer Herr mit Anzug und Krawatte. Mit dem Zeiger der Maus schiebt er den Steuerknüppel der Maschine ein wenig nach vorn und erhöht damit die Geschwindigkeit des virtuellen Mähdreschers. Es ist Thomas Rademacher, Professor für Agrikultur an der FH Bingen am Rhein
"Ich sehe es mit einem sehr positiven Auge, dass der Fahrer zunehmend entlastet werden muss. Dadurch, dass er durch diesen Umstand der Maschinengröße einerseits belastet wird, muss er auf der anderen Seite wieder entlastet werden, und die Maschine regelt so etwas selbsttätig, indem sie sich teilweise automatisch einstellt und zwar abhängig von den jeweiligen Erntebedingungen."
Wie der Mähdrescher unter "Erntebedingungen" reagiert, zum Beispiel in einer Kurve auf dem Kornfeld, das kann der Simulator problemlos zeigen, ohne Risiko für die teure Maschine. So gesehen, ist ein Simulator besser als ein Handbuch, eine super Idee der Hersteller. Doch nicht nur der Gigantismus moderner Maschinen macht die Elektronik an Bord notwendig.
Auch das "Precision Farming", die punktgenaue Bewirtschaftung der Scholle zum Beispiel mit Düngemitteln, ist nur mit Hilfe von Computern denkbar. Das Problem dabei: Landwirte bewegen die Maschinen nur an wenigen Tagen im Jahr – zur Aussaat oder zur Ernte – und haben dann viele Funktionen schon wieder vergessen. Der Simulator bringt sie wieder auf Trab:
Kai Bergmann: "Über die Wintermonate ist die nächste Ernte sehr lange entfernt, so dass dort doch wieder Einiges verloren geht. Und hier möchten wir zukünftig unseren Kunden die Möglichkeit bieten, sich den Simulator einfach einzuschalten und dort auch einmal zu üben – welche Optimierungen gemacht werden sollen, vielleicht sind einige Funktionen vergessen worden. Die sollen nochmal ins Gedächtnis gerufen werden. Zum anderen natürlich auch die Techniker in den Werkstätten. Für die ist es genauso schwierig heute, nachzuvollziehen, was hat sich auf dem Mähdrescher geändert. Oder auch nochmal Bedienungsschritte nachvollziehen, denn bevor sie zum Kunden rausfahren, ist es immer gut vorbereitet zu sein. Denn im Feld heißt es dann letztlich: Zeit ist Geld."
Simulatoren sollen Kaufentscheidung beeinflussen
Die Firma Claas ist nicht das einzige Unternehmen mit Simulatoren im Gepäck. Auf der Agritechnica wurde auch die Kverneland-Group prämiert, die einen Simulator im Download zur Verfügung stellt. Kostenlos. Denn hinter der Idee stehen natürlich auch handfeste Marketing-Interessen.
Simulatoren sollen die Kaufentscheidung beeinflussen: Wer die Maschine am PC schon mal zum Laufen bringt, so die Hoffnung der Werbestrategen, greift dann vielleicht auch richtig zu. Martijn Holten von der Kverneland-Group bringt es auf den Punkt:
"Das muss ein globaler Markt werden, und wir müssen auch dafür sorgen, dass wir mit dem Simulator das Leben einfacher machen und nicht schwerer. Und dann wird das auch für jedermann überall in der Welt benutzbar."
Sicher wird es nicht mehr lange dauern, dass bald auch Otto-Normalverbraucher allerlei Geräte wie Digitalkameras, Smartphones oder Waschmaschinen virtuell in die Hand nehmen kann, um die vielfältigen Funktionen zu testen – in aller Ruhe am PC daheim. Schließlich stecken nicht nur Mähdrescher voller Elektronik und müssen überhaupt mal verstanden werden.
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