Geprobte Seefahrten

Von Peter Kaiser · 23.09.2013
In Warnemünde werden Deutschlands zukünftige Schiffskapitäne im Simulator auf die Realität des Schiffereibetriebs vorbereitet. Auf künstlichen "Brücken" lernen neben angehenden Kapitänen auch Ingenieure und anderes nautisches Personal, wie man sich in der realen Welt an Bord verhält.
"Wir sehen das hier gerade, dass wir in unserem Beispiel hohen Seegang hatten, die Sicht wird jetzt besser, wir hatten Nebel, und nähern uns dem Hafen von Rostock."

Ortstermin im Maritimen Simulationszentrum Warnemünde, kurz MSCW. Zwischen dem unweit gelegenen Warnemünder Strand und der Stadt Rostock wird hier das künftige nautische Schiffspersonal geschult, also Kapitäne, Ingenieure und die Fachkräfte, die den Schiffen vom Hafen aus zuarbeiten. Thomas Böcker lehrt hier Schiffsführung, Meteorologie, Ladung und Kollisionsverhütung. Die "Brücke" des jetzt simulierten Hochseeriesen mit seinen 2100 Containern ist vollgestellt mit Monitoren, Mikrofonen und anderen Instrumenten. Fenster geben eine 360-Grad-Sicht frei auf den detailliert mit Ladekränen, ankernden Schiffen, Lotsenbooten, Menschen und Möwen dargestellten Rostocker Hafen. Vorsichtig nähert sich das Containerschiff dem Hafengeschehen. Währenddessen erklärt Thomas Böcker, was die Studenten hier erwartet.

Thomas Böcker: "”Wir haben hier Originalgeräte, zwei Radargeräte, die auch wahlweise umgeschaltet werden können zur elektronischen Seekarte. Wir haben ein sogenanntes Conning-System. Wir haben alle Bedienelemente, einen Maschinentelegraf, Ruder, wir haben die entsprechenden Anzeigen, wie wir sie auch an Bord wiederfinden, wir haben hier ein UKW-Gerät für die Kommunikation nach außen, Telefone, Wechselsprechanlage für die Kommunikation nach innen. Natürlich auch am Kartentisch die entsprechenden Navigationsgeräte für die Ortsbestimmung.""

So seekrank wie im echten Leben
Je länger man hinsieht, umso echter wird die Hafeneinfahrt. Ingenieur Sven Herberg geht an den Computer und programmiert jetzt Wellengang. Das ist so realistisch, dass man es direkt im Magen spürt.

Sven Herberg: "Wir haben keine hydraulische Plattform. Aber wir haben das Sichtsystem, welches automatisch in Anhängigkeit von Wind und Seegang berechnet dieses Sichtsystem die Bewegungen des Schiffes und projiziert sie auf diese Leinwand. Und das ist, denke ich, sehr realistisch. Und wir hatten auch bei Führungen das Problem, dass Leute schlagartig die Brücke verlassen mussten, weil sie seekrank wurden. Das ist schon aufgetreten. Und selbst gefahrene Seeleute, wenn sie dann zum Training hier kommen, irgendwann halten sie sich hier fest, wie sie das an Bord gewöhnt sind, weil sich das bewegt, ja."

Insgesamt gibt es am MSCW - das ist weltweit einzigartig - drei Simulatoren. Der Vessel-Traffic-Service - Simulator realisiert die landseitige Arbeit, also die Kommandoarbeit in Häfen, ein wenig ist das einem Fluglotsen vergleichbar. Dann gibt es den Schiffsführungssimulator, die Brücke, und den Ship-Engine-Simulator, der den Maschinenraum eines großen Schiffes nachbildet.

Sven Herberg: "So dass wir in der Lage sind nicht nur den Maschinensimulator mit dem Ship-Handling-Simulator zu koppeln, um den fast realen Schiffsbetrieb zu realisieren, sondern auch die Landseite in Form des Vessel-Service-Traffic-Simulators, so dass diese Situation auch fast realitätsnah simuliert werden kann."

Vorbereitung auf den Ernstfall
Seit 1998 läuft hier der Betrieb mit den drei Simulatoren, die pro Übungseinheit acht Studenten vollauf beschäftigen können. Und: am MSCW gibt es immer mehr Frauen, die Kapitän werden wollen.

Sven Herberg: "Seit Anfang der 90er-Jahre hat der Frauenanteil unter den Studenten zugenommen. Von anfangs vereinzelten Frauen haben wir fast 20 Prozent mittlerweile zuverlässig in den Studienjahren, auch im nautischen Personal."

Die dann wie ihre männlichen Kollegen hier in den Simulatoren nicht nur den Normalbetrieb, sondern auch den Notfall an Bord üben.

Sven Herberg: "Wenn was passiert, dann bricht eben ein Feuer aus. Wie sind die Abläufe, ja? Was muss gemacht werden? Mit wem muss kommuniziert werden? Und da haben wir die Möglichkeit, dass wir das in Kopplung mit dem Schiffssimulator durchführen, und da natürlich ein sehr realistisches Szenario aufbauen können. Und da kommt es, dass auch gestandene Kapitäne und Chiefs, also Leiter der Maschinenanlage, dann doch auch aufgeregt hier rumlaufen."

Angst im Rostocker Übungshafen
Im Zusammenspiel der Simulatoren lässt sich zwar das Schiffsleben üben, doch bei aller Übung gibt es selbst dann noch Situationen, sagt Thomas Böcker, die der Brückencrew den Schweiß auf die Stirn treiben können. Etwa am Beispiel der Anlegestelle im Rostocker Übungshafen, an die unser Schiff nun festmacht.

Thomas Böcker: "Gerade jetzt, wenn Sie in das enge Fahrwasser kommen, dass dann sogenannte Bankeffekte auftreten und wenn Sie zu dicht passieren, dass die Schiffe sich dann anziehen, abstoßen, das passiert ja auch. Und wenn Sie an diesem Schiff, was gerade festgemacht ist hier, zu schnell vorbeifahren, dann kann es dazu führen, dass durch die Sogerscheinungen, die auftreten, auch die Leinen brechen."

Das simulierte Schiff verlässt wieder den Hafen und ist ein paar Bilder weiter auf hoher und jetzt rauer, stürmischer See.

Zwar bringen Simulatoren nahezu reale Trainingssituationen auf die Bildschirme. Doch ist das alles noch in 20 Jahren nötig? Wird es dann noch Kapitäne geben? Oder sind die Schiffe dann computergesteuert, GPS-gestützt und autonom? Professor Böcker schüttelt nachdenklich den Kopf:

"Die Schiffe werden noch ein bisschen größer werden, denke ich. Wir haben ja Schiffe, die 18.000 Container fassen können. Das wird eine Herausforderung sein auch für die Beladungsplanung. Wir werden nicht das führerlose, das alleinfahrende Schiff in der nächsten Zeit haben, das denke ich nicht."