Lammert mahnt Engagement für Demokratie an

Moderation: Hanns Ostermann · 30.01.2008
Anlässlich des 75. Jahrestages der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten hat Bundestagspräsident Norbert Lammert die Bürger aufgefordert, aktiv am politischen Prozess teilzunehmen. Auch wenn die bundesrepublikanische Demokratie Anlass zur Zuversicht biete, dürfe man nicht übersehen, dass die Anzahl der Gleichgültigen weit größer als die der engagierten Demokraten sei, sagte der CDU-Politiker.
Hanns Ostermann: Viel wird derzeit über die Machtergreifung Hitlers gesprochen, über die Umstände, die dem böhmischen Gefreiten in die Hände spielten, sodass er heute vor 75 Jahren als Reichskanzler vereidigt wurde. Einer der Gründe war ganz sicher die damalige innenpolitische Lage, die Polarisierung der politischen Kräfte, die der Weimarer Republik keine Chance gab. Über die Konsequenzen, über das, was gemeinhin als die Lehren aus der Geschichte bezeichnet wird, möchte ich mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestages reden, mit Norbert Lammert von der CDU. Guten Morgen, Herr Lammert!

Norbert Lammert: Guten Morgen!

Ostermann: Die Ereignisse von damals seien eine beständige Mahnung für alle demokratischen Parteien, haben Sie vor kurzem gesagt. Mit anderen Worten, Demokratien, auch die bei uns, sind kein Selbstläufer. Was macht Ihnen besonders Sorge?

Lammert: Nun, wenn wir den Zustand unserer Demokratie heute betrachten und mit den Verhältnissen vergleichen, die schließlich zur Auflösung der Weimarer Republik geführt haben, dürfen wir schon Grund zur Zuversicht und zum Selbstbewusstsein haben. Aber die Art und Weise, in der sich die erste parlamentarische Demokratie auf deutschem Boden gewissermaßen selbst aufgelöst und in ein totalitären Regime verwandelt hat, bleibt ein Menetekel und eine Warnung über die Risiken gerade auch einer freiheitlich verfassten Gesellschaft, wenn die Demokraten die Errungenschaften nicht selber ernst nehmen, die sie für in der Regel selbstverständlich halten.

Ostermann: Und welche Risiken sehen Sie heute besonders?

Lammert: Noch mal, im Vergleich zu den damaligen Verhältnissen haben wir heute sicher viele sowohl verfassungsrechtliche wie verfassungspolitische Vorzüge, die es sehr viel weniger wahrscheinlich machen, dass sich ein solches Ereignis wiederholen könnte. Aber dass wir nach wie vor mit Formen von politischem Extremismus zu tun haben, mit Formen von Antisemitismus zu tun haben, sowohl in offener wie in versteckter Form, dass die Anzahl der Gleichgültigen sicher noch größer ist als die der engagierten Demokraten, das kann man auch schwerlich übersehen.

Ostermann: Die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland hat gemahnt, auch heute versuchten die Neonazis den Rechtsstaat auszuhöhlen und Überfremdungsängste zu schüren. Also dieser Analyse stimmen Sie zu.

Lammert: Ja, dass es genau solche Phänomene gibt, darf weder bestritten noch verharmlost werden, auch wenn die Aussichten, dass dies zu ähnlich flächendeckenden Erfolgen führen könnte, wie das damals leider der Fall war, heute Gott sei dank sehr viel geringer sind.

Ostermann: Demokratie ist etwas Lebendiges, der Wettstreit mit der politischen Konkurrenz gehört dazu, erst recht im Wahlkampf. Aber natürlich ist nicht alles erlaubt, was Punkte beim Wähler bringen könnte. Wo ziehen Sie, Herr Lammert, eine Grenze?

Lammert: Die Grenze ist nie virtuell, sie ist immer konkret. Und deswegen ist es ein müßiger Versuch, jetzt mit abstrakten Formulierungen vermeintlich verbindliche Grenzen ziehen zu wollen. Im Übrigen auch für politische Auseinandersetzungen gilt eine allgemeine Lebenserfahrung, dass nämlich der Ton die Musik macht. Man kann auch eine sehr zugespitzte Auseinandersetzung in einer Weise führen, die nicht persönlich verletzend wirkt, und man kann es umgekehrt mit einer schneidigen Schärfe tun, die genau die Kommunikation erschwert oder vielleicht sogar unmöglich macht, von der eine Demokratie lebt.

Ostermann: Sie haben das Problem bereits angesprochen: In Hessen nutzten rund 30 Prozent nicht ihr Wahlrecht, in Niedersachsen sank die Beteiligung auf ein Rekordtief. Was machen da Politiker falsch?

Lammert: Wenn sich die Frage so einfach beantworten ließe, wäre das Problem abgestellt, nachdem Sie mich gerade gefragt haben. Zunächst fällt ja auf, dass an ein und demselben Tag, nämlich am vergangenen Sonntag, in zwei durchaus vergleichbaren, großen Flächenländern wir eine doch signifikant unterschiedlich hohe Wahlbeteiligung haben. Und ganz offenkundig hängt das jedenfalls auch damit zusammen, dass in dem einen der beiden Länder nach allgemeiner Einschätzung das Ergebnis für klar gehalten wurde und an einer anderen Stelle ein ganz enges Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden größeren Erfolgsparteien erwartet wurde. Zweitens, wir haben vielleicht auch, ich sage das jetzt gar nicht als Beruhigung, aber doch ein bisschen zur Erläuterung der Lage, wir haben in Deutschland auch mit einer Normalisierung des Wahlverhaltens zu tun. Die sehr, sehr hohen, im internationalen Vergleich auffällig hohen Wahlbeteiligungen in Deutschland sind in den vergangenen Jahren von Bundestagswahlen über Landtagswahlen bis zu Kommunalwahlen in immer stärkerem Maße zurückgegangen und halten sich jetzt auf einem im internationalen Vergleich durchaus üblichen Niveau. Man darf nicht gänzlich aus den Augen verlieren, dass beispielsweise in den Vereinigten Staaten, einem Land, das sich gegenwärtig ja schon wieder in Vorwahlkämpfen für die Wahl des nächsten Präsidenten befindet, der mit Abstand mächtigste Mann oder vielleicht auch die demnächst mächtigste Frau der Welt selten mit einer Wahlbeteiligung von mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten gewählt worden ist. Noch mal, mir sind hohe Wahlbeteiligungen mit Abstand lieber als niedrige Wahlbeteiligungen. Ich bin auch ganz entschieden der Meinung, dass die Verbindung von Menschen mit ihrem eigenen Staat insbesondere ihrer demokratischen Verfassungsordnung durch die Wahrnehmung gewissermaßen des Königsrechts jedes Staatsbürgers, selbst darüber entscheiden zu können, von wem man regiert werden will, zum Ausdruck kommen sollte. Und im Übrigen, gerade das Datum, an das wir heute erinnern, ist ja ein Hinweis dafür, dass das so selbstverständlich nicht ist, wie wir das manchmal einschätzen. Sowohl mit Blick auf die deutsche Geschichte, wie mit Blick auf die Landkarte gehören wir zu dem privilegierten Teil der Menschheit, der diese Möglichkeit hat, selbst zu entscheiden, von wem wir regiert werden wollen.

Ostermann: Bestimmte Berufsgruppen, dazu gehören neben Journalisten auch Politiker, haben ein denkbar schlechtes Image. Auch dies vielleicht ein Grund für eine gewisse Politikverdrossenheit. Herr Lammert, was empfehlen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen?

Lammert: Ich bin mit Empfehlungen an andere immer etwas vorsichtig. Jedenfalls glaube ich, dass, übrigens für beide Berufsgruppen, die Sie gerade angesprochen haben, es uns ganz gut täte, wenn der Versuchung zum Entertainment, zur Unterhaltung, zum Showbusiness etwas konsequenter widerstanden würde und wir uns ganz ruhig und ernsthaft und wenn es denn sein muss auch unauffälliger um die Dinge kümmerten, für die wir jeweils ein Mandat angestrebt und erhalten haben, beziehungsweise für den Beruf, den wir tatsächlich haben.
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