Das Ende der Demokratie

Von Claus Menzel · 30.01.2008
Als Reichspräsident Paul von Hindenburg am späten Vormittag des 30. Januar 1933 den Führer der NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichskanzler ernannte, hatte die erste deutsche Republik keine Chance mehr. Auf den Straßen herrschte der braune Pöbel der SA, und die ersten Emigranten flüchteten vor einem Regime, von dem erst die Alliierten Deutschland wieder erlösten.
In dieser Nacht, notierte der Diplomat und Schriftsteller Harry Graf Kessler, habe sich Berlin in einer reinen Faschingsstimmung befunden:

"SA- und SS-Trupps sowie uniformierter Stahlhelm durchziehen die Straßen, auf den Bürgersteigen stauen sich die Zuschauer. Im und um das Hotel Kaiserhof tobt ein wahrer Karneval, uniformierte SS bildete vor dem Haupteingang und in der Halle Spalier, auf den Gängen patrouillierten SA- und SS-Leute"."

In der Charité hört die Ärztin Elisabeth Richter Marschmusik und Jubelrufe, die der bitterkalte Ostwind vom Brandenburger Tor zu ihr trägt. Sie schreibt in ihr Tagebuch:

"Hitler ist also an der Macht. Ich habe Angst vor diesem Mann, von dem die Kommunisten sagen, dass er Krieg bedeuten wird. Doch wie vielen erscheint er jetzt als der Einzige, der sie aus ihrer Not erlöst? Unser Pförtner, ein freundlicher, stets hilfsbereiter Mann strahlt über das ganze Gesicht. Jetzt kommen bessere Zeiten, sagt er. Aber ich kann es nicht glauben."

Nein, nicht alle Deutsche trauen diesem "böhmischen Gefreiten", wie der Reichspräsident Paul von Hindenburg ihn verächtlich zu bezeichnen pflegt. Bei den letzten Reichstagswahlen im November 1932 hat Hitlers NSDAP sogar empfindliche Verluste hinnehmen müssen. Nur gibt es auch nach dieser Wahl für eine parlamentarisch gestützte Regierung im Reichstag keine Mehrheiten, die letzten beiden Reichskanzler, der ultrakonservative Franz von Papen und der General Kurt von Schleicher, stützten sich allein auf die Befugnis des Reichspräsidenten, gemäß Artikel 48 der Verfassung mit Notverordnungen zu regieren. Und die knapp 200 Abgeordneten der Nazi-Partei stellen im Reichstag die mit Abstand größte Fraktion.

Damit freilich nicht genug: Hatten bislang gerade die Großindustriellen und Banker den greisen Reichspräsidenten vor Hitler gewarnt, weil sie die antikapitalistischen Phrasen im Parteiprogramm der Nazis ernst nahmen, ließen sie nun erkennen, dass ihrer Meinung nach allein die NSDAP einen Sieg des Kommunismus in Deutschland verhindern könne. Überdies werde eine Mehrheit bürgerlich-konservativer Kabinettsmitglieder Hitler zu bremsen und zu zähmen wissen. Hindenburg sieht keinen Ausweg mehr:

Um 11.15 Uhr, am 30. Januar 1933, wird Adolf Hitler als Reichskanzler vereidigt. Und Joseph Goebbels, der Gauleiter von Berlin, organisiert nicht nur den Fackelzug der SA durchs Brandenburger Tor, sondern sorgt auch dafür, dass der deutsche Rundfunk ergeben schon mal auf deutschen Geist umschaltet:

"Wir werfen einen Blick in das Arbeitszimmer Adolf Hitlers. In hellem Licht steht er am Fenster und blickt hinaus auf die vorbeimarschierende SA, auf die ungeheuren Menschenmassen, die ihm zujubeln. Adolf Hitler steht mit todernstem Gesicht am Fenster, er ist eben aus seiner Arbeit herausgerissen, keine Spur von irgendwelcher Siegesstimmung oder dergleichen, eine ernste Arbeitsstimmung, die auf seinem Gesicht liegt. Er ist nur unterbrochen worden, und doch leuchtet es in seinen Augen über dieses erwachende Deutschland, über diese Massen von Menschen aus allen Ständen, aus allen Schichten der Bevölkerung, die hier vorbeimarschieren, Arbeiter der Stirn und der Faust."

Und so weiter, und so weiter. Doch bevor die Reporter ihren Bericht mit einem kräftigen "Deutschland Heil!" beschließen, darf auch der zweite Mann in der Nazi-Hierarchie, Hermann Göring, noch etwas sagen:

"Der 30. Januar 1933 wird in der deutschen Geschichte als der Tag bezeichnet werden, da die Nation sich wieder zurückgefunden hatte, da eine neue Nation aufbrach und abtat alles an Qual, Schmach und Schande der letzten 14 Jahre."

Der klügste Kommentar zum Tag wurde natürlich nicht gesendet. Er stammt von dem Maler Max Liebermann, der von seiner Wohnung am Brandenburger Tor aus den Fackelzug beobachtete:

"Ich kann gar nicht soviel fressen wie ich kotzen möchte."
Adolf Hitler im Jahr 1937
Adolf Hitler im Jahr 1937.© AP-Archiv
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