Lakonisch Elegant

#96 Warum ist keiner so wie Schlingensief?

42:58 Minuten
Christoph Schlingensief im Kinosaal bei der Eröffnung der Berlinale im Februar 2010.
Die "Selbstprovokation" war sein Ziel: Christoph Schlingensief bei der Eröffnung der Berlinale 2010 © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Christine Watty und Katrin Rönicke · 20.08.2020
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Vor zehn Jahren ist er gestorben: der Künstler Christoph Schlingensief. Wir sprechen mit Aino Laberenz, Thomas Meinecke und Tobias Dostal über Schlingensiefs künstlerisches Erbe und seine möglichen Nachfolgerinnen und Nachfolger.
Am 21. August 2010 starb der Film- und Theaterregisseur, Autor und Aktionskünstler Christoph Schlingensief im Alter von 49 Jahren. Das sich an dieser Stelle stets anschließende "viel zu früh" ist im Fall von Schlingensief ganz bestimmt keine Floskel.
Weder war er mit irgendwas damals bereits fertig, noch ist die Welt auch zehn Jahre nach Schlingensiefs Tod eine, in der man nicht dringend eine Stimme wie seine gut brauchen könnte.

Undogmatisch und zweifelnd

Das zumindest ist unsere These! Und zwar, weil Schlingensief undogmatisch und offen für alle eigenen Zweifel die Dunkelstellen und Missstände "der Gesellschaft" ausleuchtete.
Und weil er, egal, ob auf der Theaterbühne, in seinen Filmen oder seinen Kunstprojekten, immer den Moment des "unangenehmen Gefühls" suchte und nicht den, der einzig wahren Erkenntnis und richtigen Haltung, die alle zu teilen haben.
Die "Selbstprovokation" war sein Ziel und nicht die gemeinsame gemütliche Empörung. Und zwar, wenn er sich mit Deutschlands Nazi-Vergangenheit und -Gegenwart beschäftigte oder mit der Wiedervereinigung oder der gesamten Popkultur und ihren Auswüchsen: Etwa Talkshows und Rauswähl-Formate wie Big Brother, das er durch das Kunstprojekt "Ausländer raus" in Österreich persiflierte.

Scheitern als Chance!

Und während wir hier so loben, galt er natürlich manchen als Provokateur, jemand der Effekthascherei betreibt und irre Filme produzierte, die sowieso die Hälfte des Publikums verlassen musste.
Vielleicht fällt uns das Positive an Christoph Schlingensief, nämlich seine Haltung, die eher Angebot als dogmatischer Ansatz für alle "Guten" zu sein schien, auch deshalb so auf, weil die Debatten heute so betoniert verlaufen - und damit sein Ansatz inklusive seiner Ironie und Selbstreflexion so frisch erscheint.
Scheitern als Chance, allein sein Parteislogan hätte sich mal durchsetzen können. Was würde nur Twitter dazu sagen?

Nachfolger und Nachfolgerinnen in Sicht?

So. Aber warum aber gibt es heute keinen wie Schlingensief? Immer mal wieder wird jemand mit ihm verglichen, Jan Böhmermann, Philipp Ruch (vom Zentrum für Politische Schönheit) - aber nur Satiriker oder Kunstaktivist sein, reicht halt nicht.
Wir reden in diesem Podcast mit dem Musiker und Autor Thomas Meinecke, mit der Bühnenbildnerin, Nachlassverwalterin und Witwe Schlingensiefs, Aino Laberenz, und dem Künstler und Schlingensief-Schüler Tobias Dostal: Über eine veränderte Zeit, darüber, was Aktionskunst also heute bedeuten könnte und wer ihn eigentlich in diesem Bereich beerbt hat.
Und natürlich: Was würde Schlingensief heute tun? Würde er noch "passen"?
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