Lakonisch Elegant

#15 Erzähl mir nix! Lügen, Wahrheit, Storytelling

34:39 Minuten
Das Bild zeigt einen Mann in Hemd, mit Hosenträgern und Fliege. Er sitzt auf einem Stuhl, draußen auf einem Feldweg. Er hält sich ein Magazin schützend über den Kopf, während es Papierseiten von oben regnet.
Aufregung im Feuilleton: Die Kritiker streiten über "Stella" und mancher Beobachter würde sich am liebsten vor der Debatte verstecken © unsplash.com
Von Christine Watty · 17.01.2019
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Im Feuilleton geht’s gerade zu wie in einer Vorabendserie: Alle paar Tage muss über Lüge und Wahrheit beraten werden, kurz nach #Relotius im „Spiegel“. Dazu streitet das Feuilleton über „Stella“, das neue Buch von Takis Würger. Wir kümmern uns um den Kern dieser Debatten: das Geschichtenerzählen.
Der Autor Claas Relotius hat ganze Geschichten für den "Spiegel" erfunden, der Schriftsteller Robert Menasse hat jemandem eine Rede in den Mund gelegt und Takis Würger wird für seinen Roman, der sich der wahren Geschichte der Jüdin Stella Goldschlag nähert, wegen seiner Mischung aus Realität und Fiktion vom Feuilleton ausgeschimpft.
Aber war es nicht neulich noch so, dass zumindest in der Literatur die Sache mit dem Ungefähren erlaubt war? Wer darf noch Geschichten erzählen und wie überhaupt?
Auf der Suche nach der sinnvollen Geschichte
Kolja Mensing ist Redakteur im Deutschlandfunk Kultur und selber Buchautor. Er hat ein Buch über einen Teil seiner Familiengeschichte geschrieben, "Fels" heißt dieses Buch. Kolja erzählt in dieser Ausgabe von "Lakonisch Elegant. Der Kulturpodcast", wie er in seinem Buch mit der "Wahrheit" umging, Fiktion und Tatsachen zusammenbrachte.
Und er erzählt davon, wie man Orte oder Gespräche auf Basis von wahren Begebenheiten erfindet. Warum macht man das überhaupt? "Weil man versuchen will, eine sinnvolle Geschichte am Ende zusammenzutun. Und das klappt man nur, wenn man Lücken füllt", sagt Kolja Mensing.
Gefragt, nach welchen Kriterien seine Bücher von Kritiker*innen beachtet werden sollen, antwortet er: Auf keinen Fall nach den Kriterien, die das Feuilleton gerade bestimmen – also der Wahrheitsfrage und ob das alles genau so stimme. Diesen Fokus findet er total merkwürdig.
Das Feuilleton und die Moral
Die Debatte um "Stella", den Roman von Takis Würger, hat sich der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen angeschaut: Es gehe um Wahrheit, Autorisierung und Angemessenheit des Stils, so schreibt es Franzen im Blog des Merkur.
"Es gibt bestimmte Stoffe und bestimmte Sujets und dazu gehört vor allem die Geschichte der Schoah, wo diese Freiheiten, die man durch den Status der Literatur hat, eingeschränkt werden - durch ethische aber auch ästhetische Bedenken", erklärt Franzen im Interview.
Die moralische Reaktion des Feuilletons auf Takis Würgers Buch findet wiederum Literatur-Redakteur Kolja Mensing interessant. Produktiv wäre für ihn eine Literaturkritik aber dann, wenn sie überlegt, warum so ein Werk wie "Stella" unser Moralempfinden gerade verletzen kann.
Wirklichkeitshunger trifft auf Story
Aber was bedeutet der Streit ums Erzählen im Feuilleton nun? Unsere Gesellschaft, so Johannes Franzen, habe ein großes Bedürfnis nach Erzählungen. Zudem aber auch nach realen Geschichten - also etwa autobiografische Geschichten oder True-Crime-Formate.
"Da stoßen eben zwei Bedürfnisse aufeinander – einmal ein sogenannter Wirklichkeitshunger und das Bedürfnis nach Erzählungen. Dass das Beides zusammengenommen Probleme ergibt, weil eben das Erzählen problematisch wird, wenn es sich dem Realen annimmt, das erkennen wir an diesen Skandalen."