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Die Kunst des Lästerns

Eine junge Frau flüstert ihrer Freundin ins Ohr (Illustration aus dem 19. Jahrhundert)
Das Klischee von der Lästerschwester kennt jeder. Studien haben aber gezeigt, dass Frauen eher fürsorglich über andere tratschen, Männer eher vernichtend. © imago images / H. Tschanz-Hofmann
Von Lukas Gedziorowski |
Lästern ist nicht so schlecht wie sein Ruf. Es erfüllt wichtige Funktionen für das soziale Wesen Mensch. Doch es birgt auch Gefahren und will richtig gemacht sein. Acht Tipps für Lästerprofis.
Es gibt nichts, was es nicht gibt. Im Zweifel braucht man bloß etwas Geduld. Denn früher oder später kommt sie, die Studie, in der einem die Wissenschaft bestätigt, was man hören will. Nämlich, dass all unsere angeblich schlechtesten Eigenschaften gar nicht mal so schlecht sind. Dass Faulheit kreativ macht. Dass Schimpfen gesund ist. Oder dass Lästern die Gesellschaft nicht spaltet, sondern erst zusammenhält. Geil!
Ja, so eine Studie gibt es. Mehrere sogar. Tratsch, also erst mal generell Reden über andere, bestimmt den größten Teil unserer Gespräche. Wir tauschen uns ständig aus über Familie, Freunde, Bekannte, Nachbarn, Kollegen oder Wildfremde.
Deshalb funktionieren auch Promi-News so gut. Gemeinsames Lästern über Allgemeinbekannte, zu denen die Meisten bloß parasoziale Verhältnisse pflegen. Die da ist aber fett geworden und der da alt. Und der dritte ist alt und fett geworden. Und was hat Timothée Chalamet für einen peinlichen grellgelben Anzug bei den Oscars getragen! Und erinnern Sie sich noch an den zu tiefen Ausschnitt der Bundeskanzlerin? Und Clemens Meyers Verhalten bei der Buchpreisverleihung? Cringe!
Dieses Lästern tut besonders gut, weil es ein Verbrechen ohne Opfer ist. Jedenfalls, wenn man die Grenze zum Mobbing nicht überschreitet. Opfer sind am besten die, die den Klatsch ohnehin ertragen müssen, weil sie sich ins Rampenlicht stellen. Bei Promis gehört es zur Jobbeschreibung, sämtliche Lästereien zu ertragen.

Nichts verbindet mehr als die Abneigung

Im Alltag bekommen die Betroffenen nichts vom Klatsch mit, dafür schweißt nichts so zusammen wie das gemeinsame Lästern. Fragen wir also, wenn wir uns kennenlernen, einander nicht, was wir mögen – welches Essen, welche Bücher, welche Urlaubsziele – sondern was wir hassen.
Oder noch besser: wen wir hassen, verachten, nicht ausstehen können. Bei welchem Schauspieler wir die Augen verdrehen, bei welcher Sängerin wir uns die Ohren zuhalten. Wer uns peinlich ist. Wer uns auf die Palme bringt. Nichts erzeugt größere Empathie.
Dafür wurde im Theater die Pause erfunden. Die ist nur zum Lästern da. Und sei es, übers Publikum. Sehen und gesehen werden. Und kaum etwas macht so viel Spaß, wie nach dem Kino gemeinsam über einen schlechten Film herzuziehen. Das perfekte Date, die beste Basis für eine Beziehung. Erst wenn wir dieselben Dinge hassen, verstehen wir uns. Lästern schafft den Minimalkonsens – wenn man sich einig ist.

Lästern als Flurfunk

Bei der Arbeit ist es meistens der Chef. Die Vorgesetzten wurden eigentlich nicht erfunden, um aufzupassen oder den Laden am Laufen zu halten – natürlich nicht. Jeder weiß, dass die besten Chefs die überflüssigen sind.
Chefs sind einzig und allein dazu da, dass man über sie lästern kann, sobald sie den Raum verlassen. Und zu lästern gibt es immer was (und sei es, dass der Chef überflüssig ist). Flurfunk an der Kaffeemaschine soll sogar produktiver machen. Immer noch die beste und billigste Team-Building-Maßnahme.
Zwischen den Lästermäulern besteht unausgesprochene Einigkeit: Man selbst ist anders, also besser, zumindest in dieser Hinsicht. Man hat keine seltsamen Marotten oder Sprachticks. Nein, man selbst ist völlig normal, völlig durchschnittlich, gar nicht der Rede wert.
Und falls man doch auffällt, dann nur im positiven Sinne, als Maß aller Dinge. Man selbst hat keinen fragwürdigen Modegeschmack, man hat Stil, die coolsten Klamotten, die beste Frisur. Und auch alle meine Ansichten sind wohlüberlegt, ausgewogen, gut begründet und konsensfähig. Nicht wahr? Und falls Sie das anders sehen, verschonen Sie mich bitte damit. Sagen Sie es einem anderen, den ich nicht kenne.
Ja, Menschen wollen gefallen. Und beim Lästern kann man sich so schön überlegen fühlen. Aber Achtung: Dieses Bedürfnis wird auch gerne ausgelebt, um ganze Menschengruppen schlechtzureden: die Ossis, die Bayern, die Muslime, die Flüchtlinge, die Armen. Wir wollen ja nicht verallgemeinern, ABER … Wer es noch nie getan hat, werfe den ersten Stein.
Lästern über andere funktioniert nur gut, wenn man weiß, dass man dem genauso selbst zum Opfer fallen kann. Denn das tut man. Früher oder später erwischt es einen. Man kann nur hoffen, dass man es nicht mitbekommt. Die neue Frisur, die eben noch gelobt wurde – vielleicht war es nur Heuchelei? Das ist die Kehrseite des Lästerns. Beides geht Hand in Hand.

Meister des Lästerns: Thomas Bernhard

Einer musste es wissen, der Meister aller Lästerer: Thomas Bernhard. Der österreichische Obergrantler soll „als Mensch“, wie man so schön sagt, also in Gesellschaft, sehr umgänglich, ja freundlich gewesen sein. Als Autor zog er dann später in seiner Literatur über alle vom Leder. Und zwar so böse und schonungslos, dass aus Freunden und Förderern ehemalige wurden.
Von dieser Verlogenheit handelt auch sein Roman „Holzfällen“ (1984), eine einzige Abrechnung, auch mit sich selbst. Bernhard wurde verklagt wegen Ehrenbeleidigung. Man einigte sich außergerichtlich. Alle profitierten: Das Buch, einmal in der Welt, konnte man ja nicht mehr zurückziehen. Und es ist auch zu herrlich, Bernhard beim Schimpfen zuzuhören. Wir lieben die Tirade.
Trotzdem sollten wir uns kein Beispiel daran nehmen: Leuten in den Rücken zu fallen, das macht man nicht, das ist schlechter Stil. Wenn auch unterhaltsam, zugegeben. So sind wir nun mal, diese gesellige Spezies Mensch. Man sollte uns nicht an unseren schlechtesten Eigenschaften messen.
Aber wenn es schon sein muss, wenn wir unserer niederen Natur klein beigeben müssen, dann sollten wir es auch richtig anstellen. Weil beim Lästern auch immer die Gefahr besteht, sich unbeliebt zu machen, gibt es acht Tipps, wie es richtig geht, um dabei den eigenen Ruf zu pflegen. Denn Lästern ist eine Kunst, die gelernt sein will! Am besten von Geheimagenten.

Richtig Lästern

  1. Fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus. Klären Sie zunächst mit offenen Fragen und diplomatischen Herumdrucksereien die Haltung des Gegenübers, bevor Sie sich die Blöße geben und in die Nesseln setzen. Lassen Sie den anderen zuerst die Grenze zum Lästern überschreiten. Erst dann kann man sich anschicken, den Geheimbund zu schmieden.
  2. Geben Sie darauf acht, dass das Objekt Ihrer Lästereien wirklich nicht hören kann, was Sie über ihn oder sie sagen. Sprechen Sie leise, möglichst nah am Ohr (aber unter Wahrung der gesellschaftlich akzeptierten Distanz) hinter verschlossenen, schallgedämmten Türen. Achten Sie darauf, dass nirgendwo Handys herumliegen.
  3. Sorgen Sie dafür, dass das Opfer Ihrer Schmähungen auch danach niemals erfährt, was Sie über sie oder ihn gesagt haben. Private Chats mit End-to-End-Verschlüsselung sind gut. Aber der gute alte Schulterblick ist besser. Und noch besser sind sich selbst vernichtende Nachrichten. Am besten gar keine Spuren hinterlassen. Nichts ist flüchtiger als das (leise) gesprochene Wort. Dann kann man immer noch alles abstreiten.
  4. Lassen Sie Lästern stets so wirken, als würden sie es nur gut meinen, niemals einfach nur bösartig. Sie machen sich nur Sorgen um das Wohl der anderen. Im Zweifel wollen Sie bloß „jemanden vor sich selbst schützen“. So wird Lästern zum Akt der Nächstenliebe.
  5. Wenn es schon bösartig sein muss, lästern Sie nur, um den Mitlästerer zu schützen. Man will ja nur die Netten vor den Schurken warnen – noch besser!
  6. Lästern Sie nur über das Fehlverhalten einzelner Individuen, verallgemeinern Sie nicht auf ganze Gruppen, auch wenn die Verlockung noch so groß ist. Ausnahme: Fußballclubs. Ansonsten gilt: Gruppen können meist nichts für ihre einzelnen Mitglieder (und andersherum). Familien beweisen es.
  7. Lästern Sie so, wie man über Sie selbst lästern soll. Denn früher oder später werden Leute auch über Sie reden. Bestimmt nicht nur Gutes. (Auch wenn Sie natürlich nur gute Eigenschaften haben – die Leute sind nur neidisch.)
  8. Wenn Sie das Lästern gemeistert haben, probieren Sie sich am nächsten Level: Feedback. Offen und ehrlich, freundlich und direkt ins Gesicht. Ansonsten hat das Lästern auch einen vernachlässigten Bruder: das wahre Lob. Zugegeben, hierzulande ist es rar, unbekannt und exotisch, aber risikolos und allemal wert, es auszuprobieren. Sie werden begeistert sein!

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