La Recyclerie

Grüne Oase mitten in Paris

07:08 Minuten
Auf einer stillgelegten Bahnstrecke verweilen Menschen. Drum herum wachsen Pflanzen.
Paris im Juli 2020: An einem ehemaligen Bahnhof ist das Öko-Haus "La Recyclerie" entstanden. © imago images / IP3pres / Vincent Isore
Von Christiane Kaess · 11.10.2021
Audio herunterladen
Mit ihrer Bürgermeisterin schreitet Pairs in puncto Verkehrswende und Klimaschutz munter voran. Und auch die Bürger und Bürgerinnen engagieren sich. So könnte das Öko-Haus La Recyclerie an einem stillgelegten Bahnhof Vorbildcharakter haben.
Margot Desmons steht in einer großen Halle mit hölzerner Decke und Rundbögen über den hohen Fenstern.
"Wir sind hier in einem ehemaligen Bahnhof des Kleinen Gürtels um Paris, der am Ende des 19. Jahrhunderts für den Personenverkehr aktiv war. Nachdem die Metro gebaut war, wurde der Bahnhof erst eine Bank, dann eine Brasserie, dann ein Lagerraum und jetzt ist es die Recyclerie."
Seit 2014 ist das Öko-Haus aktiv. An roten, gelben oder braunen Holztischen essen Menschen zu Mittag. Neben dem Restaurant "Cantine" gehört ein Stadtbauernhof entlang der stillgelegten Gleise zur Recyclerie. Der Verein des Hauses organisiert etliche Veranstaltungen rund um das Thema Nachhaltigkeit, erzählt Margot, die für die Kommunikation zuständig ist.

"Wir sind ein lebendiger Ort für alle. Wenn die Leute nur mit ihren Kindern kommen wollen, um die Hühner anzuschauen, ist das möglich. Genauso wenn sie nur ein Buch zwischen unseren Pflanzen lesen wollen. Sie können hierherkommen, ohne etwas zu trinken – nur, um den Ort zu genießen. Wie in einem Park."
Blick von oben in eine ehemalige Bahnhofshalle, wo sich jetzt ein Resteraunt befindet.
Mit dem Charme vergangener Tage: Die ehemalige Bahnhofshalle ist jetzt das Restaurant "Cantine".© Deutschlandradio / Christiane Kaess
Margot läuft über Stufen hinaus ins Freie und steuert auf ein paar Hühner hinter einem Maschendrahtzaun zu.
"Sie sind da, um unsere Küchenabfälle zu verwerten. Sie fressen etwa eine Tonne Schalen jedes Jahr. Und legen Eier. Die Mitglieder unseres Vereins bekommen die Eier umsonst."


Als die Recylerie die Arbeit aufnahm, war das Bewusstsein für Umweltschutz noch nicht so ausgeprägt wie heute. Die Herausforderung nun beschreibt Margot so:
"Es gibt Leute, denen wir erklären, dass man ´Null Abfall` Schritt für Schritt erreichen kann – durch kleine Aktionen. Aber daneben sind diejenigen, die auf Demos gehen, schon viel radikaler und sich in manchen unserer Aktionen nicht wiederfinden. Wir versuchen, alle zu respektieren und vor allem, bei niemandem Schuldgefühle zu wecken."

Ein Ort für Ökologie und Soziales

Um niemanden auszuschließen, stehen im Restaurant neben vegetarischen Gerichten fast täglich auch Fleischgerichte auf der Speisekarte. Kein Biofleisch, aber sehr wohl aus der Region. Auf der Terrasse sitzen die Gäste auf Bierbänken mit Kaffeetassen hinter Laptops. Ein paar Meter weiter tackern zwei junge Frauen Folien in alte Koffer. Die beiden Gärtnerinnen der Recyclerie bereiten gerade einen Workshop vor, erklärt Gwendoline.
"Wir werden die Koffer begrünen. Zur Dekoration wollen wir Pflanzen reinsetzen. Wir machen das mit Leuten, die alle zwei Wochen aus einer Tagesklinik hier in der Nähe zu uns kommen."

Ökologie und Soziales gehöre hier zusammen, sagen die Mitarbeiter. Ein Grund, warum sich das Projekt schnell in das quirlige Viertel integriert hat. Anwohner bringen kompostierbaren Abfall und bekommen dafür einen Kaffee umsonst. Ihre Küchenabfälle werden in großen Holzkästen wiederaufbereitet. Vereinsmitglieder kommen regelmäßig zum Helfen auf dem Gelände. Sie haben auch ein Insektenhotel gebaut. Margot deutet auf die hölzerne Front:
"Die kleinen Bambusrohre sind verschlossen. Wildbienen haben hier ihre Eier gelegt. Im Frühling werden die aufbrechen und kleine Bienen werden herauskommen."
Eine junge Frau mit langen Haaren steht auf einem stillgelegten Bahngleis und lächelt.
„Null Abfall“ ist möglich, sagt die Kommunikationschefin der Recyclerie Margot Desmons.© Deutschlandradio / Christiane Kaess

Reiner Honig von Stadtbienen

Auf dem Dach des alten Bahnhofs leben in Holzkästen fünf Bienenstöcke. Zehn Kilo Honig machen sie jedes Jahr – von einer Qualität, die bereits mehrmals ausgezeichnet wurde.
"Unser Honig ist ganz rein. Bienen sind sehr anfällig für Pestizide, die man oft auf dem Land findet. Aber in der Stadt sind Pestizide schon lange verboten. Die Bienen sind hier nur der Luftverschmutzung ausgesetzt. Aber die können Bienen filtern und sie findet sich nicht im Honig wieder."


Das stillgelegte Bahngleis, an dem die Recyclerie liegt, zieht sich gut 20 km durch Paris. Die Stadt will es zu einem ökologischen Korridor machen. Entlang der Gleise erstreckt sich auf dem Gelände der Recyclerie ein Gemüsegarten.
"Alles, was hier produziert wird, landet auf dem Teller unserer Gäste. Wir pflanzen vor allem das an, was selten oder teuer ist – zum Beispiel essbare Blumen wie Kapuzinerkresse. Kartoffeln bauen wir nicht an, denn in weniger als 100 Kilometern gibt es dafür super Produzenten – bio und lokal. Wir haben viele Spaghettikürbisse. Die verarbeiten wir zu vegetarischer Spaghetti Carbonara."
Zwei Frauen schlendern durch den Garten. Sie kommen aus Lille in Nordfrankreich und finden, die Recyclerie habe etwas Magisches.
"Es ist interessant, dass es mitten in der Hauptstadt einen Ort gibt, der so grün und wirklichkeitsfremd scheint und gleichzeitig Umweltschutz, Wiederverwertung und Kompostierung bietet."
Einen Bienenstock auf einem Gebäude in Paris.
"Unser Honig ist ganz rein." Ein Bienenstock auf dem Dach der Recyclerie.© Deutschlandradio / Christiane Kaess

Enten als Schneckenvertilger

Am Ende des lang gezogenen Terrains steht Margot vor zwei hochgewachsene Laufenten, die gerade aus einem kleinen Wasserbecken trinken.
"Diese Entenart ist ein exzellenter Schneckenvertilger. Wegen der beiden brauchen wir keine Insektizide in unserem Gemüsegarten. Sie fressen auch kleine Knospen. Aber gut, das ist dann gleichzeitig ihr Lohn."
Aus den Weintrauben, die sich über die Überdachung der Außenterrasse ranken, wird Saft gemacht. Der Hopfen, der die Mauer entlang klettert, geht an eine lokale Brauerei. Das Bier der Recyclerie wird dann hier wieder ausgeschenkt. In einer Ecke der alten Bahnhofshalle wurde das sogenannten "Atelier de rené" eingerichtet. Was hier wiedergeboren wird, sind Elektrogeräte, erklärt Morgan, die für die Organisation der kleinen Werkstatt zuständig ist.
"Meistens sind es einfache Reparaturen. Kleine Teile, die man schnell wieder hinbekommen kann. Aber manchmal können wir Geräte nicht mehr reparieren, weil die kaputten Teile zu teuer sind oder man sie nirgendwo mehr auftreiben kann."

Billiges Essen gleich nebenan

Morgan beobachtet, dass immer mehr Menschen den Reparaturservice der Recyclerie wahrnehmen.
"Ich glaube, das ist ein steigender Trend. Wir haben ein sehr unterschiedliches Publikum. Etwas ältere Leute, die noch Produkte kannten, die länger hielten und die diese jetzt auch länger nutzen wollen. Aber es kommen auch Leute, denen bewusst wurde, dass es ein Problem ist, alle zwei Jahre einen neuen Mixer zu kaufen."
Wie sehr die Recyclerie eine Ausnahme im hektischen Paris bleibt, sieht jeder, der hier ein und aus geht. Direkt nebenan preisen Schnellrestaurants billiges Essen an. Natürlich teile man nicht die gleichen Vorstellungen, sagt Kommunikationsleiterin Margot, aber:
"Das sind unsere Nachbarn. So einfach ist das. Wir wollen Alternativen bieten. Wir haben auch Burger, mit lokalem Fleisch oder vegetarische Galettes."
Mehr zum Thema