Kurzkritiken

Tragikomik und ein reifes Debüt

Kino Zoo-Palast Berlin
Neu im Kino: "Zu Ende ist alles erst am Schluss", "Sacro GRA – Das andere Rom" und "Verfehlung" © picture alliance / ZB / Jens Kalaene
Von Christian Berndt · 21.03.2015
Eine melancholische Komödie über verlorene Illusionen, ein Dokumentarfilm über das manchmal aberwitzige Leben an einem Autobahnring und ein klug gemachtes, beklemmendes Missbrauchsdrama – die Filme in unseren Kurzkritiken.
"Ach, da vergeht mir wirklich der Appetit. Abgesehen davon, machen sie nur Menus für Alte."
"Du scheinst ja echt in Form zu sein, schön."
In Form ist die 85-ährige Madeleine absolut, aber glücklich ist sie nicht. Ihre Söhne haben sie ins Altenheim gesteckt – die einzige Freude ist der ihr sehr nahestehende Enkel Romain. Seine eigenen Probleme lässt sich der sympathische Student nicht anmerken – etwa, dass er noch keine Freundin hat und sich seine Eltern seit der Vater in Rente ist im Dauerclinch befinden. Doch dann passiert etwas, das die Familie vollends ins Chaos stürzt. Madeleine haut aus dem Altersheim ab.
"Sie ist verschwunden."
"Sie geht ganz einfach weg, ja, wie ist das möglich? Überwachen Sie die Menschen nicht?"
"Das ist kein Gefängnis, Monsieur."
"Ich bin sicher, ihr ist irgendwas Schlimmes zugestoßen."
"Nein, nein, wenn das der Fall wäre, wüssten wir das schon. Ich habe mich bei der Polizei sofort informiert. Die haben gesagt, in dem Viertel hier ist seit gestern niemand überfahren oder ohnmächtig geworden."
"Na, das ist ja sehr beruhigend!"
Nach kurzer Zeit kommt eine Postkarte der Verschollenen. Romain macht sich auf die Suche, und erlebt eine Reise, die alles verändern wird. Die französische Komödie "Zu Ende ist alles erst am Schluss" erzählt eine ernste Geschichte mit lakonischem Humor. Angesichts der Flut gefälliger französischer Komödien, die momentan nach Deutschland schwappt, hebt sich Jean-Paul Rouves Geschichte über verlorene Illusionen mit ihrem melancholischen Grundton wohltuend ab. Leider aber löst sich am Schluss doch wieder alles in Harmonieseligkeit auf. Es gibt schöne, tragikomische Momente, aber dramatische Konflikte, die sich nicht lächelnd beheben lassen, wollte man dem Zuschauer offenbar nicht zumuten.
Tragikomische Momente gibt es auch in dem italienischen Dokumentarfilm "Sacro GRA – Das andere Rom". Drei Jahre hat Regisseur Gianfranco Rosi Alltagsleben rund um den Autobahnring von Rom gefilmt. Man erlebt hautnah, was sich in den beengten Verhältnissen der Wohnblocks abspielt, verfolgt die Arbeit von Rettungssanitätern, Prostituierten und skurrilen Adligen. Herausgekommen ist dabei ein Panoptikum aberwitziger, aber auch anrührend intimer Momente. In Venedig wurde "Das andere Rom" als erster Dokumentarfilm überhaupt mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Die Entscheidung löste unter Kritikern, von denen nicht wenige dem Film eher geringen Erkenntniswert bescheinigten, Kopfschütteln aus. Aber wie die Kamera dem authentischen Leben dieser Menschen nicht nur folgt, sondern deren Alltag als ganz eigenen, fremden Kosmos erlebbar macht, ist eine Kunst für sich.
Aus dem Innenleben einer der Öffentlichkeit wenig vertrauten Welt erzählt auch der deutsche Film "Verfehlung". Es beginnt mit drei Freunden, die sich nach dem Fußballspielen in der Kneipe treffen:
"Du weißt schon, dass Du heute zahlst?"
"Ja, weiß ich."
"So, eure drei Kurzen, Jungs."
"Danke."
"Bitte.
Die drei Freunde verbindet ihr Job, sie sind katholische Priester. Jakob ist Seelsorger, Dominik betreut Jugendliche und Oliver wurde zum Vikar befördert. Ihre Freundschaft scheint unverbrüchlich, doch dann geschieht etwas Ungeheuerliches: Dominik wird verhaftet, weil er einen Jungen aus seiner Jugendgruppe sexuell missbraucht haben soll. Jakob glaubt zunächst an dessen Unschuld. Aber dann geht er der Sache nach, und schließlich stellt er den Freund zur Rede:
"Warum hat Dich der Junge angezeigt?"
"Was weiß ich, vielleicht hat er irgendwas falsch verstanden. Vielleicht war ich zu bemüht, Du weißt doch, wie die Jungs sind. Da verschwimmen die Grenzen manchmal. Es war im Grunde gar nichts. Es ist einfach passiert."
Es ist wahr. Jakob ist schockiert, aber unternimmt erstmal nichts – bis ihm bewusst wird, dass der Junge nicht das einzige Opfer war. Gerd Schneider seziert in seinem Debütfilm "Verfehlung" klug wie eindringlich die Mechanismen des Selbstbetrugs, die zum Schweigen über das Verbrechen führen. Oliver will den Fall innerhalb der Kirche regeln, und Jakob – von Sebastian Blomberg eindrucksvoll als Zauderer gespielt – scheut trotz seiner Bestürzung zunächst vor Konsequenzen zurück. Mit fesselnder Dramaturgie schildert Regisseur Schneider, der selbst Priesterkandidat war, diesen Entwicklungsprozess aus der Perspektive der Priester und vermeidet Stereotype. Die Geistlichen wirken nicht wie religiöse Sonderlinge, sondern im Leben stehende Menschen. Das macht die Geschichte glaubwürdig und umso beklemmender. Ein reifes Debüt, wie man es selten sieht.
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