Kurzkritiken

Tragische Fehler und folgenreiche Irrtümer

Blick auf das Stadtzentrum von Paris, 2008
In "3 Herzen" ist Paris der Schauplatz einer schicksalhaften Nicht-Begegnung. © picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch
Von Christian Berndt · 14.03.2015
"3 Herzen" ist ein Melodram von thrillerhafter Bedrohlichkeit, "Tristia" ein Dokumentarfilm über die Schwarzmeerküste und "A most violent Year" ein Film mit meisterhaftem Spannungsaufbau - drei Kurzkritiken.
"Entschuldigung, wissen Sie zufällig, wo ich hier ein Hotel finde? – Das ist eins. Da vorne sind noch mehr, soll ich Ihnen zeigen wo? – Ach, das wäre aber nett."
Marc spricht die Fremde, die er kurz zuvor in einer Hotelbar gesehen hat, einfach an. Der Steuerbeamte aus Paris hatte dienstlich in diesem Provinzstädtchen zu tun und seinen letzten Zug verpasst. Und jetzt diese unerwartete Gelegenheit: Marc und die geheimnisvolle Frau, gespielt von Charlotte Gainsbourg, schlendern durch die Nacht und reden bis zum Morgengrauen:
"Sehen wir uns wieder? Wo, wann, hier? – Ich kann nach Paris kommen. – Einverstanden, sehr gut. Und wann? Sagen wir nächsten Freitag? 18 Uhr? Im Jardin des Tuileries. Am Brunnen, vor der Terrasse. Am besten, wir tauschen unsere Nummern aus. – Ich werde da sein."
Nicht die Nummern auszutauschen, wird sich als tragischer Fehler erweisen - Sylvie und Marc verpassen sich. Man kennt sie aus dem Kino, diese Geschichten von schicksalhaften Begegnungen, die auch der französische Film "3 Herzen" erzählt. Aber Regisseur Benoît Jacquot gibt dem Drama um eine verpasste Gelegenheit eine weitere Drehung: Marc wird auf der Suche nach Sylvie, ohne es zu wissen, ihre Schwester kennen- und lieben lernen - woraus sich schließlich ein Melodram von thrillerhafter Bedrohlichkeit entfaltet. Leider konzentriert sich der große französische Frauenregisseur Jacquot dieses Mal derart auf die Krise seiner männlichen Hauptfigur, dass zu wenig aus der Konstellation der wunderbaren Darstellerinnen – mit Catherine Deneuve als ahnungsvoller Mutter - entsteht. Mitunter durchaus fesselnd, wirkt die fortlaufende Wiederholung des immergleichen Dramas am Ende ermüdend.
Ebenfalls von Dramen, aber auch skurrilen Erlebnissen handelt der deutsche Dokumentarfilm "Tristia – Eine Schwarzmeer-Odyssee". Regisseur Stanislaw Mucha ist 5000 Kilometer an der Schwarzmeer-Küste entlanggereist und hat Menschen im Alltag gefilmt: In Odessa schimpft man auf die Regierung, in Bulgarien gibt es Miss-Silicon-Wahlen, in Abchasien berichtet man von den Nachwirkungen der jüngeren Kriege. Und auf der Krim feiern Russen Paraden mit nordkoreanischem Charme.
Ein Panoptikum mit Pop
Man erlebt ein Panoptikum der Kulturen, in deren Alltag Folklore, Pop, Sowjet-Nostalgie, aber auch antike Mythen verblüffend präsent sind: Vom Goldenen Vlies bis zu den Amazonen, denen sich die Frauen in Georgien angesichts ihrer nichtsnutzigen Männer verbunden fühlen. Noch vor der Krim-Annexion gedreht, hat "Tristia – Eine Schwarzmeer-Odyssee" eine politische Aktualität gewonnen, die das schillernde Porträt dieses Schmelztiegels zwischen Orient und Okzident noch interessanter macht.
Eine völlig abgewrackte Welt erlebt man im amerikanischen Thriller "A most violent Year". Es ist das Jahr 1981, New York hat die höchste Kriminalitätsrate seiner Geschichte, als der eingewanderte Geschäftsmann Abel Morales beschließt, ins richtig große Geschäft einzusteigen. Aber anders als im korrupten New York üblich, will er das auf ehrlichem Weg erreichen:
"Ich führe eine seriöse und saubere Firma. Ich habe mich immer für den ehrlichsten Weg entschieden. Das Ziel steht für mich nie in Frage. Nur der Weg, über den man das erreicht."
Doch Abels Firma, die er vom Schwiegervater gekauft hat, ist weniger sauber, als er denkt. Weder hatte der Schwiegervater Skrupel, noch Abels Frau Anna, die seit Jahren die Bücher frisiert. Hinzu kommt, dass regelmäßig Tanklaster seiner Erdölfirma überfallen werden. Anna – klasse abgebrüht in der Rolle Jessica Chastain - fordert Abel auf, Härte zu zeigen:
"Das kann so nicht weitergehen, Du führst hier einen Krieg."
Oscar Isaac erinnert in der Rolle des Abel Morales an Al Pacino in "Der Pate". Er ist ein ähnlich kluger, schwer durchschaubarer Stratege, der aber - anders als der "Pate" - den Ehrgeiz hat, legal aufzusteigen. Regisseur J.C. Chandor sezierte bereits in seinem Hochfinanz-Thriller "Margin Call" das Innenleben einer skrupellosen Geschäftswelt. In "A most violent Year" erzählt er in lässigem Ambiente mit meisterhaft subtilem Spannungsaufbau von der Entstehung einer neuen Welt aus dem Geiste des modernen Kapitalismus. Bald wird das verrottete New York Vergangenheit sein, und mit dem kühl berechnenden Morales, der seine Mitarbeiter so wunderbar zur Selbstausbeutung motivieren kann, wird bereits eine neue Welt erkennbar, bei der man sich nach der alten noch zurücksehnen wird.