"Kurze Interviews mit fiesen Männern" in Zürich

Porno und die große Einsamkeit unserer Zeit

12:00 Minuten
Pornodarsteller Conny Dachs im Theaterstück "Kurze Interviews mit fiesen Männern" in Zürich. Er sitzt nackt auf einem Stuhl und bedeckt seine Genitalien mit den Händen.
Pornographie als Spiegel der Gesellschaft - Pornodarsteller Conny Dachs am Schauspielhaus Zürich. © Schauspielhaus Zürich / Sabina Boesch
Yana Ross im Gespräch mit Janis El-Bira · 11.09.2021
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Das Schauspielhaus Zürich zeigt eine brisante Neuinszenierung von "Kurze Interviews mit fiesen Männern" nach David Foster Wallace. Regisseurin Yana Ross sieht die Beschäftigung mit der Pornographie im Buch durch Wallace gerade im Theater sehr gut aufgehoben.
In seinem Buch "Kurze Interviews mit fiesen Männern" ließ der US-amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace Männer in schonungsloser Deutlichkeit von ihren meist toxischen Beziehungen zu Frauen erzählen, von Sexfantasien und Machtbesessenheit, aber auch von Einsamkeit, Depressionen und Selbstekel.
Im Schauspielhaus Zürich ist nun eine Neuinzenierung des Stoffs in der Regie von Yana Ross zu sehen. Das Haus warnt deutlich vor verbaler Gewalt und Live-Sex auf der Bühne und gestattet nur Volljährigen Eintritt. Außerdem ist es möglich, die Aufführung jederzeit zu verlassen.

Die menschliche Unfähigkeit zur Kommunikation

Das Buch habe sie schon sehr lange begleitet und vor sich hingeköchelt, sagt Regisseurin Yana Ross. "Am Schauspielhaus Zürich hatten wir jetzt das Gefühl, dass das Material passen könnte, um durch die dichte Sprache eines großen Denkers wie David Foster Wallace auf die tektonischen Verschiebungen in unserer Gesellschaft zu schauen."
Der Kern des Materials sei die menschliche Unfähigkeit zu kommunizieren. "Es geht um dieses Gefühl von Lähmung, wenn man einen großen Wunsch hat, aber merkt, dass irgendetwas kaputt ist und man sich dadurch nicht mit einer anderen Person verbinden kann. Darin wohnt eine große Einsamkeit in einer Zeit, in der alles so unglaublich laut und lärmig geworden ist", sagt Ross.

Keine bloße Reproduktion toxischer Männlichkeit

Sie sehe in dem expliziten Zugang zu dem Thema - mit verbaler, emotionaler und teilweise auch physischer Gewalt gegen Frauen -, keine Gefahr einer simplen Reproduktion von toxischer Männlichkeit auf der Bühne.
"Auf der Ebene der Kunst sollte ich ein Distanzvermögen und die Fähigkeit zu kritischer Auseinandersetzung haben. Sie gibt uns die Chance, die Tabus und dunklen Seiten unserer Gesellschaft zu erkunden, aber eben durch eine sehr sichere und einvernehmliche Form."
Schauspieler Michael Neuenschwander liegt im Stück "Kurze Interviews mit fiesen Männern" am Schauspielhaus Zürich in einer ungelenken Körperhaltung halb auf dem Boden und halb auf einem Liegestuhl.
Depressionen und Selbstekel - Schauspieler Michael Neuenschwander am Schauspielhaus Zürich.© Schauspielhaus Zürich / Sabina Boesch
Bei den Recherchen zu diesem Stück sei man unter anderem zu dem Schluss gekommen, dass man Wallace' Buch auch als eine radikalfeministische Perspektive lesen kann, so Ross. "Trotzdem sind wir bei dieser Produktion sehr darauf bedacht, eine inhaltliche Warnung auszusprechen, die auch überall offen kommuniziert wird." Es gehe nicht darum, jemanden zu überraschen oder zu schockieren, sondern um die Übereinkunft unter Erwachsenen, dass hier Theater gespielt wird.
Wallace schreibe sehr explizit über Intimität, Einsamkeit und die kaputte männliche Psyche und Sexualität. "Das wird bei ihm zu einer Art von Literaturporno. Beim Lesen des Buches macht man eine ähnliche Erfahrung wie beim Anschauen von Pornographie. Es ist faszinierend und abstoßend zugleich. Und für mich war der Live-Sex auf der Bühne eine ehrliche Form, das Publikum auf diesen Literaturporno, diesen 'Mind Fuck' vorzubereiten. Denn der ist eigentlich viel verstörender als der Sex selbst."

Pornographie als Werkzeug, Gegenwart zu beschreiben

Ross sieht die Pornographie als "phänomenales Werkzeug, unsere gesellschaftliche Gegenwart zu beschreiben". Die Pornographie spiegele geradezu die Gesellschaft und es gebe viele Überschneidungen. "Denken Sie an die Pornoregisseure, die jetzt Musikvideos drehen, oder an die Rapstars, die jetzt eigene Kanäle mit Erwachsenenunterhaltung betreiben. Und es stört mich eigentlich, dass wir darauf nicht analytischer schauen wollen."
Gerade das Theater sei dafür nämlich ein geeigneter und ein sicherer Ort. "Unsere Zusammenarbeit war stark durch die Arbeit unseres Intimacy-Coaches geprägt. Wir hatten mit ihr immer jemanden im Hintergrund, der unsere Sprache zu entsexualisieren verstand und uns damit weiterhelfen konnte. Gleichzeitig war die Entspanntheit und Selbstverständlichkeit mit der die beiden Pornodarsteller agierten, sehr inspirierend für uns. Sie haben ein klares Verständnis davon, was sie auf der Bühne tun können und wir wiederum nicht tun sollten. Und umgekehrt."

Kurze Interviews mit fiesen Männern - 22 Arten der Einsamkeit
Nach David Foster Wallace
Schauspielhaus Zürich - Schiffbau-Halle
bis 15. Oktober 2021

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