David Foster Wallace

Ein großer Humanist der Popkultur

Buchcover: David Foster Wallace: Die wahre Traurigkeit der Erwachsenen (Hörbuch)
In den vier Essays und Reportagen hinterfragt Wallace den Zeitgeist und geht bis auf den Grund der (eigenen) Depression. © ROOF Music Verlag / imago/AFLO
Von Andi Hörmann · 10.09.2018
In David Foster Wallaces "Die wahre Traurigkeit der Erwachsenen" steckt ein Unbehagen in Lebensalltag und Kultur: Ein eindringlicher, sarkastischer, doch stets hoffnungsvoller Blick auf das Thema Depressionen, vorgetragen von hochkarätigen Sprechern.
"Früher habe ich mir irgendwie immer vorgestellt, eine Depression wäre einfach eine total intensive Traurigkeit, so wie das Gefühl, wenn einem der Hund stirbt, oder wenn in "Bambi" Bambis Mutter stirbt", so heißt es in "Die wahre Traurigkeit der Erwachsenen" von David Foster Wallace.
Wie körperlich und geistig lähmend eine Depression aber tatsächlich ist, schildert der Schriftsteller so eindringlich und offen, dass sein Text selbst zur beinahe körperlichen Erfahrung wird: "Ich nehme jetzt seit, mal überlegen, rund einem Jahr Antidepressiva. Und ich würde mal sagen, da kann ich ganz gut einschätzen, wie die so sind. Sie sind eigentlich ganz okay, aber so, wie es okay wäre, auf einem anderen Planeten zu leben…"

Triefend vor naivem Humor

"Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache", 1984 erstmals erschienen in der literarischen Studentenzeitschrift "The Amherst Review". Damals war Wallace 22 Jahre alt. Der Name des fiktiven Planeten "Trillaphon" – ein Sinnbild für die außerweltliche Erfahrung einer Depression – geht auf die "Trizyklische Antidrepressiva" und das Medikament "Tofranil" zurück. Und mit die "Üble Sache" ist das Gefühl der Depression gemeint – und das ganz wörtlich. Sarkastisch, triefend vor naivem Humor, wird das Krankheitsbild wie aus der wissenschaftlichen Kinderbuchreihe "Was ist was" beschrieben:
"Jedem Elektron ist schlecht. Es trudelt unkontrolliert durch sein Juxhaus-Orbital, wo dicke gelbe und violette Giftgase durcheinander wabern, alles umwuchtig und schwummrig. Quarx und Neutrinos eiern ausgetickt und kotzübel durch die Gegend…"

Viele verschiedene Stimmen, hochkarätige Interpreten

Eine gewisse Übelkeit steckt in allen vier Texten des US-amerikanischen Schriftstellers, die als Hörbuch unter dem Titel "Die wahre Traurigkeit der Erwachsenen" erscheinen – eine Art Unbehagen in Lebensalltag und Kultur. Hochkarätige Interpreten mimen immer genau den richtigen Sprecher zum jeweiligen Sujet.
Die Geschichte über die Depression liest der vielseitig talentierte Schauspieler Lars Eidinger, der passend zum Text etwas verschnupft und niedergeschlagen klingt: "Wenn von draußen keine Geräusche mehr kamen, produzieren nämlich die Härchen an meinem Trommelfell ihre eignen Geräusche…"
Der Schriftsteller Moritz von Uslar mit seinem tiefen, verrauchten und oftmals auch holperndem Stimmorgan übernimmt wiederum die 1998 im Magazin "Premiere" erschienene Reportage "Der große rote Sohn" über den Besuch einer Porno-Messe: "Jasmine Sinclair lässt sich wohl, um ihren Kultstatus zu untermauern oder noch zu vergrößern, mit einem Venenkatheter Butangas in den Dickdarm pumpen, das dann als Flatulenz abgefackelt wird und in "Blow it out your ass", Cream Productions, 1998, einen meterlangen, analen Gasbrenner erzeugt…"
Und Christian Ulmen liest den nicht weniger absurden und entlarvenden Text "Am Beispiel des Hummers":"Erst steht man in einer Schlange, so lang wie vor Disneyland und dann findet man sich in einer Fußballzelt großen Camping-Kantine wieder, wo wildfremde Leute Backe an Backe gedrängt an endlosen Biertischen sitzen und in einem Fort Schalen knacken, kauen und kleckern…"

Eine Prise Sarkasmus

David Foster Wallace seziert in dieser 2004 im Magazin "Gourmet" erschienen Reportage die Scheinmoral der Mensch-Tier-Beziehung. Die Prise Sarkasmus in Christian Ulmens Ton passt perfekt: "Wohlgemerkt: Ich möchte niemanden in eine bestimmte Richtung drängen. Es interessiert mich wirklich. Denn gehört es nicht zur Definition eines Feinschmeckers, dass er sich über die Herkunft, Qualität und Verarbeitung seiner Lebensmittel und ihres Kontextes besonders viele Gedanken macht? Oder richtet der Feinschmecker seine ganze Aufmerksamkeit nur auf die sinnliche Erfahrung? Sollten Geschmack und ästhetische Präsentation alles sein, was einen Feinschmecker interessiert?"
Neben all den herausragende Sprechern fehlt nur noch: David Nathan – unter anderem die Synchronstimme von Johnny Depp und Christian Bale. Eindringlich trägt er Wallaces einzigartige Rede vor, die er 2005 im Kenyon College hielt: "Selber denken lernen heißt in Wirklichkeit zu lernen, wie man über das Wie und Was des eigenen Denkens eine gewisse Kontrolle ausübt. Es heißt, selbstbewusst und aufmerksam genug zu sein, um sich zu entscheiden, worauf man achtet und sich zu entscheiden, wie man aus Erfahrungen Sinn konstruiert." Beeindruckend – wie auch die Originalrede beweist. Auch sie ist im Hörbuch enthalten.

Ein Humanist der Popkultur

David Foster Wallace hat nicht nur in seinen Texten herausragend den Zeitgeist hinterfragt, sondern er war auch ein großer Humanist der Popkultur. Trotz seiner schweren Depressionen gelingt es ihm, mit seinen Texten immer auch Hoffnung zu vermitteln. "Die wahre Traurigkeit der Erwachsenen" – ein überaus empfehlenswertes Hörbuch!
"Die wirklich wichtige Freiheit erfordert Offenheit und Aufmerksamkeit und Disziplin und Mühe und die Empathie, andere Menschen wirklich ernst zu nehmen, und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen, völlig unsexy, Tag für Tag, das ist wahre Freiheit, das heißt es, denken zu lernen."
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