Kurz und kritisch

Zwischen Geschichte und Gegenwart

25.05.2014
Der Journalist Ulrich Chaussy überrascht mit historischen Recherchen zum Attentat auf das Münchner Oktoberfest 1980. Und Thomas Medicus berichtet über die Nazi-Vergangenheit von Kleinstadtbewohnern.
1980 tötete auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe 13 Menschen und verletzte 200 weitere teilweise schwer. Das war das schlimmste Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt. Über die polizeilichen Ermittlungen berichtete Ulrich Chaussy von Anfang an.
Und der Münchner Journalist blieb auch dran, als das öffentliche Interesse erlahmte und sich damit abfand, dass der Anschlag von einem einzelnen Täter verübt worden sei, der dabei selbst ums Leben gekommen ist, und zwar von einem 22-jähriger Studenten aus Donaueschingen.
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Cover: "Oktoberfest – Das Attentat" von Ulrich Chaussy© Ch. Links Verlag
Bereits 1985 bezweifelte Chaussy diese Einzeltäterthese. Vielmehr macht er polizeiliche Fehler, Indiskretionen und Interessen der Staatsregierung Bayerns dafür verantwortlich, dass Spuren verwischt wurden, die das Umfeld des Attentäters hätten aufklären können.
Der alte Kriminalfall blieb nicht nur aktuell, weil seine Wiederaufnahme gefordert wurde, sondern auch, weil 2011 bekannt wurde, dass Ermittlungspannen von Polizei und Verfassungsschutz verhindert hatten, eine Mordserie der Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" frühzeitig zu unterbrechen.
Spannend zu lesen, ernüchtert die historische Recherche - und ihr Ergebnis macht wütend.

Ulrich Chaussy: Oktoberfest – Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann
Ch. Links Verlag, Berlin 2014
272 Seiten, 19,90 Euro

Er ist 1953 im oberfränkischen Gunzenhausen geboren, riss früh von dort aus und kehrte nur ungern dorthin zurück. Heute lebt Thomas Medicus als Publizist in Berlin und hat sich auf die Suche nach seiner Heimat begeben.
Sicher, auch ihn prägen zärtliche Kindheitserinnerungen. Doch seine geliebte Großmutter deutete vage an, dass es in seinem tristen und provinziellen Geburtsort einst jüdische Familien gab, die nicht mehr existierten. Erst Mitte der 80er-Jahre liest er in der Süddeutschen von dem Pogrom, das die SA 1934 hier inszenierte, dem ersten dieser Art in Hitlers Deutschland.
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Cover: "Heimat - Eine Suche" von Thomas Medicus© Verlag Rowohlt
Älter geworden, arbeitet er die fürchterlichen Geschehnisse auf, lernt die Kleinstadt und die eigene Familie besser kennen, erfährt zudem, dass der Schriftsteller Jerome D. Salinger als Angehöriger der amerikanischen Besatzungstruppen in Gunzenhausen stationiert war, um Nazis aufzuspüren. Und plötzlich geht die persönliche Spurensuche über Heimat und Provinz hinaus, wird betroffenmachende deutsche Geschichte.
Medicus erzählt, wie solche Kleinstädte und deren Bürger ins Dritte Reich verstrickt waren, versteht, was Eltern und Großeltern ihm verschwiegen und gewinnt, in dem er und eine neue Generation die verschüttete Nazi-Vergangenheit aufarbeitet, seine Heimat in Gunzenhausen wieder zurück.

Thomas Medicus: Heimat - Eine Suche
Verlag Rowohlt, Berlin 2014
288 Seiten, 19,95 Euro

Um die sudetendeutschen Landsmannschaften ist es ruhiger geworden. Doch es gibt sie weiterhin. Und es gibt darüber hinaus viele Menschen, die bis heute von der Vertreibung aus Böhmen und Mähren betroffen sind, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Tschechien und Österreich, nicht nur deutsche Nachfahren, sondern auch tschechische.
Sie alle geben neue, interessante, ja verheißungsvolle Antworten, wenn sie nach den Folgen dieser Vertreibung gefragt werden. 15 Einzelgeschichten hat der Journalist Ralf Pasch aus Thüringen aufgeschrieben. Von Trauer und Verlust ist weniger die Rede als von Neugier und Verständnis. Seine Protagonisten reichen einander über Grenzen hinweg die Hände, wollen Zukunft gemeinsam gestalten, ohne die Familiengeschichte zu verdrängen, ohne in aggressive Reflexe zu verfallen.
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Cover: "Die Erben der Vertreibung. Sudetendeutsche und Tschechen heute" von Ralf Pasch© Mitteldeutscher Verlag
Dies hat etwas mit Trauerarbeit zu tun, gerade wenn erst ein Enkel darüber öffentlich reden kann, was die Großeltern als Vertriebene erlebten, als sie 1946 in die sowjetische Besatzungszone kamen und sich in der DDR nie organisieren durften.
Vor ihnen also, den Nachfahren, muss niemand politisch Angst haben. Im Gegenteil: Sudetendeutsche und Tschechen organisieren heute gemeinsam Jugendcamps oder machen deutsch-tschechische Geschichte in Tschechien wieder sichtbar.

Ralf Pasch: Die Erben der Vertreibung. Sudetendeutsche und Tschechen heut
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2014
232 Seiten, 14,95 Euro