Kurz und kritisch

Scharia, Mandela, Lampedusa

Hafen auf der Mittelmeerinsel Lampedusa, Aufnahme von 2009
Hafen auf der Mittelmeerinsel Lampedusa, Aufnahme von 2009 © picture-alliance/ dpa
Von Ernst Rommeney |
Sadakat Kadri schreibt über die Auslegung der Scharia im 21. Jahrhundert, Christo Brand über seine Jahre als Gefängniswärter von Nelson Mandela auf Robben Island und Ulrich Ladurner über einen Besuch auf der Mittelmeerinsel Lampedusa.
Strenggläubige im Internet
Es sind drakonische Strafen, welche die Scharia und die religiöse Rechtsprechung des Islam in Verruf gebracht hätten. Sie seien eine Folge moralischer Rigorosität, die so erst in den letzten 40 Jahren entstanden sei. Und Sadakat Kadri sieht derzeit auch keinerlei Anzeichen für eine reformatorische Gegenbewegung.
Vorüber er sich selbst am meisten wundert, nachdem er die Geschichte des islamischen Rechts erzählt hat. Der 11. September 2001, den er in New York erlebt hat, regte ihn dazu an. Seit 25 Jahren arbeitet er als Rechtsanwalt, ist in London geboren und stammt aus einer indisch-muslimischen Familie.
Cover - "Himmel auf Erden" von Sadakat Kadri
Cover - "Himmel auf Erden" von Sadakat Kadri© Matthes und Seitz
Und dorthin in die Heimat seiner Vorfahren nach Indien und Pakistan, aber auch in den Iran und die Türkei sowie durch den Nahen Osten reiste er, um sich in die Praxis religiöser Rechtsschulen einzudenken.
Sie richten im Namen Gottes
Sie hätten sich stets in einem Wettstreit zwischen der Offenbarung des Korans, dem Vorbild des Propheten Mohammed und der Vernunft befunden, zwischen Tradition und Realität. Durch Jahrhunderte gelang es ihnen, Streitfragen der Muslime zu schlichten – durchaus systematisch in Beweisführung und Auslegung. Und sicher waren die Rechtsschulen immer auch politisch beeinflusst, lösten Inquisition und Bürgerkrieg aus.
Was ihn am meisten verwundert, ist der Gegensatz, dass heute Strenggläubige das Internet nutzen, um detailliert die letzte Kleinigkeit nach der Scharia zu regeln, während die Gelehrten im frühen Islam große Scheu hatten im Namen Gottes zu richten, ihre Rechtsmeinungen gar schriftlich zu fassen. Die strengen Regeln kamen erst mit den Gesetzbüchern, und mit dem Netz scheinen sie sich immer weiter von islamischen Quellen zu entfernen.

Himmel auf Erden. Sadakat Kadri auf einer Reise auf den Spuren der Scharia durch die Wüsten des alten Arabien zu den Straßen der muslimischen Moderne.
Aus dem Englischen von Ilse Utz.
Matthes und Seitz Verlag Berlin
320 Seiten, 22,90 Euro

Gefängniswärter Nelson Mandelas
Auf Robben Island, einer unwirtlichen Insel vor der atlantischen Küste Kapstadts, hielten die weißen Südafrikaner die Führer der schwarzen Opposition gefangen. Das jeweils andere Ufer war stets sichtbar, aber ohne Schiff oder Hubschrauber nicht erreichbar.
Christo Brand hatte sich falsche Vorstellungen gemacht, als er eine Ausbildung für den Strafvollzug dem Militärdienst vorzog. Der Drill war nicht minder hart. Die Arbeitsbedingungen empfand er als miserabel und trostlos.
Cover - "Mandela" von Christo Brand und Barbara Jones
Cover - "Mandela" von Christo Brand und Barbara Jones© Residenz Verlag St. Pölten
Dass ihm der Beruf dann doch zur Berufung wurde, lag am Zufall, als Gefängniswärter Nelson Mandela und seinen Gefährten zugeteilt worden zu sein, auch daran, dass sie im Laufe der Jahre zu guten Bekannten und Freunden wurden, die er achtete, weil er von ihnen respektiert wurde.
Sie glaubten an die Zeit danach
Als diszipliniert, als würdevoll und intellektuell rege, geradezu bildungshungrig, beschreibt er sie. Sie wollten die langen Jahre der Haft nutzen, weil sie an eine Zeit danach glaubten, auf die es sich vorzubereiten gelte.
Christo Brand hatte mit Schwarzen, mit Farbigen kein Problem. Er war mit ihnen aufgewachsen, ging in ihren Familien ein und aus. Als Sohn eines weißen Vorarbeiters auf einer Farm habe er weitab vom System der Apartheit gelebt, aber den Alltag aus Armut und harter Landarbeit gleichermaßen kennengelernt.

Mein Gefangener, mein Freund. Christo Brand über Mandela.
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Bayer, Sigrid Schmid und Wolfram Ströle.
Residenz Verlag St. Pölten, 304 Seiten, 22,90 Euro.

Ein Besuch auf Lampedusa
So wie Robben Island vor der Südküste Afrikas so ist Lampedusa vor der Nordküste eine Insel von besonderem Ruf. Nur 20 Quadratkilometer groß liegt sie als Fels mit natürlichem Hafen mitten im Mittelmeer, näher an Afrika als an Sizilien und dem italienischen Mutterland, auf halbem Weg zwischen dem Nahen Osten und Gibraltar.
Lampedusa war und ist ein europäischer Vorposten, ja ein Wallfahrtsort an der Grenze zwischen christlicher und muslimischer Welt, zwischen Armut und Reichtum, zudem ein strategischer Stützpunkt und Zufluchtsort für Handelsschiffe, Piraten und Militärflotten im Kriegseinsatz. Und jüngst - seit 1992 - erlangte es traurige Berühmtheit, weil es jeden Sommer zum Fahrtziel einer Armada kleiner überfüllter Boote mit Flüchtlingen wird.
Cover - "Lampedusa" von Ulrich Ladumer
Cover - "Lampedusa" von Ulrich Ladumer© Residenz Verlag St. Pölten
Die Toten, die sie aus dem Meer fischen
Ulrich Ladurner, Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", hat Lampedusa in der Ruhe der Vorsaison besucht, um mit den Bewohnern über ihr Leben und über die Geschichte der kleinen Insel zu sprechen.
Die Toten, die sie aus dem Meer fischen, haben sie ebenso geprägt wie die Kargheit des schon lange gerodeten Felsens. Sie fühlen sich vom fernen Staat allein gelassen, verdienen so gut es geht an Touristen wie an Flüchtlingen – und investierten zu wenig in ihr Eiland, meint jedenfalls die Bürgermeisterin.

Lampedusa. Ulrich Ladurner über die Große Geschichte einer kleinen Insel, 20 Quadratkilometer Kulturgeschichte.
Residenz Verlag St. Pölten,
144 Seiten, 19,90 Euro, auch als ebook erhältlich.